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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 47.1920-1921

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Jaumann, Anton: Tragödie?
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https://doi.org/10.11588/diglit.9122#0289

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Tragödie ?

wir haben sämtliche Möglichkeiten erschöpft,
sagen sie, wir haben gelallt wie die Kinder,
getobt wie die Wilden, irre geredet wie die
Kranken. Wir haben philosophische Kurven
gemalt, wir haben Stereometrie modelliert.
Wir haben die Einheit des Bildes gesprengt und
bald das Gleichzeitige , bald das Nacheinander
in den Rahmen eingefangen. Wir sind bis
zum Ornament, zur Stenographie gekommen.
Was bleibt uns noch zu tun übrig? Die Besin-
nung rührt daher, daß sie plötzlich die Wege
in ihrem Labyrinth alle erschöpft sehen. Sie
wissen nicht weiter. Der Atem ist ihnen aus-
gegangen. Sie sehen mit Schrecken , daß ihre
Ausstellungen der letzten Jahre sich fatal glei-
chen. Muß das nicht Langeweile erzeugen?
Aus ihrer seltsamen Kunstauffassung heraus ist
der Zusammenbruch zu verstehen, er ist die
letzte Konsequenz. Aber eine innere Umkehr
bedeutet er noch lange nicht.

In unserem tottraurigen Deutschland gibt es
jetzt doch einige Leute, die sich wahrhaft freuen.
Dieses „Ende des Expressionismus", das sie
immer voraussagten und herbeiwünschten, jetzt
ist es endlich gekommen. (Glauben Sie!) Sie
brauchen sich nicht mehr zu winden und zu
drehen und sich Lobsprüche auf die Jüngsten,
wenn sie Erfolg haben, abzuquälen. Die Götter
gelten wieder, zu denen sie heimlich immer
gebetet. Nun dürfen sie die Jungen höhnen!
Denn sie haben nicht vergessen! Und Rache
muß bekanntlich kalt genossen werden.

Ich fürchte und hoffe, auch diese Kategorie
von Menschenfreunden täuscht sich über die

momentane „Gefechtslage". Und sie werden
sich bestimmt täuschen, wenn die jungen Künstler
selbst den Sinn der Stunde erkennen, wenn sie
es endlich aufgeben, nach immer neuen Effekten
und Richtungen Ausschau zu halten, und in die
längst fällige ernste Revision unseres Kunst-
betriebes eintreten.

Der Expressionismus ist nicht tot, er ist kaum
noch recht zum Leben erwacht. Nur seine miß-
verstandenen Abkömmlinge haben sich als nicht
lebensfähig erwiesen. Um sie ist es nicht schade,
wenn sie verdorren. Das Unheil ging aus von
Cezanne. Er hat, mehr durch seine dunkle
Theorie als durch die in Gesundheit ausge-
glichenen Werke, die Abstraktion der Farbe
und der Form eingeleitet. Picasso zeigte sofort,
wohin dieser Weg führte. Die Kurven, Kegel,
Kuben machten sich selbständig, die Farben
lösten sich vom Gegenstand. In den „bahnbre-
chenden" Werken von Picasso sehen wir Anfang
und Ende dicht beisammen. Diese Methode
mußte unweigerlich zum Ornament führen, und
sie hat uns tatsächlich auch ein neues Ornament
gegeben. Noch heute ist es mir unklar, warum
die Franzosen nicht selbst die Zersetzung des
Bildes zum dekorativen Stil durchführten. Mir
ist aber auch unklar, warum diese Seite der
Bewegung unter dem Namen Expressionismus
begriffen wurde. Es war ein Spiel der Formen,
ein neuartiges, sehr effektvolles, aber — sollte
denn „das Mädchen mit der Geige", aus Recht-
ecken dargestellt, etwas ausdrücken, irgend
einen Seelenzustand, eine Gemütsbewegung,
eine Leidenschaft? Nichts von alledem. All

»VORHOF
DER EIN-
SEGNUNGS-
HALLE«

HP

NT".
 
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