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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 47.1920-1921

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Jaumann, Anton: Tragödie?
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https://doi.org/10.11588/diglit.9122#0292

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Tragödie ?

professor franz seeck.

die Deutungen und Titeigebungen waren nichts
als Humbug. Und mit an den falschen Namen
geht die Richtung vorzeitig zugrunde.

Ein anderer Entwicklungssträng, im Sinn voll-
kommen entgegengesetzt, führte her von Münch.
Münch hat sich nie Expressionist genannt, und
doch war er ein solcher im vollsten Sinne. Er hat
das hohe Ziel einer durchseelten Malerei ge-
sehen und instinktiv den rechten Weg erkannt.
Man vergleiche seine Holzschnitte etwa mit
denen von Toorop, der auch Beseelung an-
strebte und „Literatur" gab.

Münch braucht keine symbolischen Arme
und Augen und Flügel. Seine Wolken drohen.
Die Wege keuchen. Er malt Entsetzen, Angst.
Er macht die Steine reden. Und alles mit
rein malerischen Mitteln. Immerhin — auch
sein Werk ist nur ein Anfang. Es harrt der
Vollendung. Aber nur wenige haben ihn ver-
standen und mühen sich um seine Nachfolge.
Denn das, was Münch wollte, ist schwer, un-
geheuer schwer, und die Jugend liebt die rasche
Produktion, den Schmiß. Die Beseelung aber
will erarbeitet sein. Drum haben sie nur seine
Marotten kopiert und vermehrt.

Der Weg zum wahren, seelischen Expressio-
nismus ist sehr schmal. Dabei will ich nicht
leugnen, daß auch andere Lösungen als die von
Münch — Heckel usw. möglich sind. Aber sie
sind noch kaum gestaltet. Und nur ein kleiner
Bruchteil unserer Künstler wird für diese Arbeit
die Ruhe und Kraft aufbringen. Die meisten

»vorhof mit blick zum friedhof«

lieben das Spiel der Pinselstriche, der Farben,
die Schilderei oder die Dekoration viel zu sehr,
sie sind und wollen nichts sein als „Maler".
Und wir würden ihnen Unrecht tun, sie mit
tieferen Aufgaben zu belasten. Wir haben sie
jetzt unglücklich gemacht, weil wir von ihnen
den Fortschritt erwarteten, und sie in den
Taumel der „—ismen" gejagt haben. Gebt sie
frei von diesen Forderungen! Sie mögen ver-
suchen, zu sich selbst zurückzufinden und Bil-
der zu malen, wie sie ihre Hand, ihre Phantasie
ihnen schenkt. Dann ist das Tragische im heu-
tigen Kunstschaffen beseitigt.

Unsere ganze Hoffnung wollen wir nun
aber auf die wenigen setzen, die das Schiff
unserer Kunst weitertreiben, die uns den er-
sehnten verinnerlichtenExpressionismus bringen
können. Manche Ader ist im Hochbetrieb
unserer letzten Erfinderjahre, in dieser wilden
Gründerzeit von Sekten und Richtungen, an-
geschlagen worden, die Gold zu führen scheint.
Wir müssen nur tiefer schürfen. Das Elend
in unserem Kunstschaffen rührte von der Ober-
flächlichkeit, mit der man von Reiz zu Reiz
taumelte. Man geriet in Entzücken, wenn in
einem Bild Farben und Linien auf irgend eine
neue raffinierte Art zusammengebracht waren.
Zum Ausbau, zur Vertiefung nahm man sich
nicht die Zeit. Soll nun das ganze Bergwerk
mit den unzähligen Stollen verschüttet werden,
weil man auf härteres Gestein trifft, das strenge
Arbeit fordert?.......... anton jaumann.
 
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