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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 47.1920-1921

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Osborn, Max: Karl Hofer
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https://doi.org/10.11588/diglit.9122#0309

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sächlich auf einen Kernpunkt des Unterschiedes
hingewiesen. Sobald wir über den bunten und
mannigfachen Anblick der Umwelt hinaus unsere
Existenz im Raum empfinden, nähern wir uns
dem gefühlsmäßigen Verständnis für das Grund-
problem unseres Daseinsbewußtseins. Unser
Leben im Raum ist das große Rätsel, um das
unsere ganze Sinnenwelt kreist. Kein Maler,
kein bildender Künstler überhaupt geht an dieser
Wurzelfrage vorüber — doch es ist etwas an-
deres, ob sie mit andern Fragen zusammen be-
achtet und behandelt wird, oder ob sie einen
schöpferischen Kopf so mächtig erfüllt, daß er
ganz damit beschäftigt ist. Tiefer als Böcklin
war Marees vollauf in diese Betrachtung ver-
strickt. Und Hofer trat als ein Abkömmling des
Marees auf. Freilich, als ein höchst selbständi-
ger Nachfolger, der garnichts Geprägtes über-

nahm, sondern von vornherein seine Vorstel-
lungen aus innerstem Kampf und mit eigenem,
zähem Willen in Formgebilde umgoß. Die Jahr-
zehnte, die seit Marees verstrichen waren, hatten
Denken und Leben von Grund aus umgewandelt.
Was er wollte, mußte er erst mühsam von der
Naturgebundenheit ablösen, die zu seiner Zeit
alles in Bann hielt. Die Fesseln hatten sich in-
zwischen gelockert. Der Subjektivismus, den
die Impressionisten auf den Thron gesetzt hatten
— man übersieht heute oft die entscheidende
Bedeutung dieser Tat, ohne die auch die spätere
und heutige Entwicklung undenkbar wären —
der Subjektivismus hatte allem gegenüber, was
nach Spiegelung des Gesehenen aussah, eine
neue Freiheit geschaffen. Es war nun möglich,
dem Sinn des Raum- und Körperproblems un-
mittelbarer und näher auf den Leib zu rücken.

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