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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 49.1921-1922

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Reifenberg, Benno: Die Erweiterung des Städelschen Museums
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https://doi.org/10.11588/diglit.9142#0047

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Die Erweiterung des Städelschen Museums.

bedeutendstem Werk, den „Armen Leuten"
und Steinhausens „Christophorus" bilden eine
Gruppe Frankfurter Malerei, die zu Gunsten des
Eindringlichen selbstbescheiden auf starkeFarbe
verzichtet. Aber schon tauchen neue Instrumente
in dem deutschen Malerorchester auf. Da er-
innert eine „Villa am Meer" an die wilde Thea-
tralik der Boecklinschen Palette, unerbittlich
malt Leibi sein „Ungleiches Paar" zu einem
kolossalischen Genre hinauf, und der ehrlichste
seiner Schüler, Trübner, stellt den Dichter Martin
Greif vor, so selbstverständlich wie der Meister,
nur um einen Grad weicher, stimmungshafter,
mit Maiglöckchen in der Hand.

Die Richtungen fliehen auseinander. In dem
anschließenden Saal, dessen braunrote Bespann-
ung zur Not die Einheitlichkeit wahrt, tritt die
Divergenz in der Malerei s e i t 7 0 erschreckend
zu Tage. Da hängt, nüchtern und kalt, der

iStarnb

ergsee", ein später Trübner, neben dem
blassen Puvis de Chavannes. Liebermanns „De-
"la , mehr noch die „Judengasse" mag mit dem
zerfahrenen Stadtbild Corinths mit der Impro-
visation Slevogts zum „Sommernachtstraum" im
empo des Strichs, in der sprühenden Art,Tat-
sächliches vorzutragen, noch zusammengehen.
Aber was hat ein Bild wie Hodlers „Mädchen"
»nmitten dieser wilden Jagd nach dem Momen-
tanen zu suchen? Diese seltsame Mischung aus
raffinierten Farben und archäisch strenger Pro-
»lierung, diese Vereinigung von Schlafwandler-
ischem und Brutalität? Das Gemälde bildet ge-
meinsam mit dem unheimlichen, wie aus Ruß zu-
sammengewehten Porträt Kokoschkas die Nach-
barschaft des „Dr. Gachet", des höchsten Wer-
kes des van Gogh. Diesem Stück blauer Unend-
lichkeit könnte nur ein eigener Saal die schul-
dige Ehrfurcht erweisen.

Im östlichsten Raum des Traktes taucht dann
A wSite Versuch zur Synthese in den Arbeiten
aer Maler unserer Tage auf. Hier allein ist direk-
tes Uberhcht und infolgedessen die Kühle der
al lrCj verschwunden. Aber es scheint,

j ^drucke auch die Hitze die Leidenschaft
dbut ampfes' der um die Manifeste der Unbe-
snan t ^^zxs und Heckeis Nervosität

berge«'S fT" die farb*e Festi£keit Bab"
Schüle md.L,ßmannsi Matisse überstrahlt den

großen Zl^Tl ""f? ^ StÜcke. deS
stillen Bild H m Slch £egenüber e,nem
Holzrahme 1 * ders°bn, und aus nacktem
Krpi^aK^u aStet Beckmanns ungeheuerliche

Wir kp3 6 ^ den «genRaum -
SM1 N k /Utfick in den westlichen Mittel-
bUd'J> A t" bekannten, starken Boehle-
dunll C ^^Pfungst glüht ein einsames,
dunkles Gemälde auf. Es Ist von Hans von

x*v. Okt.-Nov. l<ßl. 4

Marees. Nichts als zwei Jünglinge, als eine Hand-
bewegung, begleitet von dem milden Klang der
Hügellinie. Ein Nichts an Motiv, ein Alles an
Gestaltung.

Vor diesem Einsamen wirkt Viktor Müller
als ein Vielgewandter. Er hatte den „ Mut zur
Literatur", wenn er auch in den Opheliaden,
den Historien von Taunusrittern künstlerisch
sich nicht behauptet. Aber was malte er nicht
alles außerdem. Malte er nicht auf dem großen
Stück zu Viktor Hugos „Les miserables" die
träumende Abendlandschaft zu einem Religioso,
wie es kaum Steinhausen inniger gelang? Malte
er nicht die Grazie selbst in seinem „Sneewitt-
chen" ? Und wer wird Viktor Müller das Genia-
lische abstreiten, der dem „Jungen Mädchen"
von ihm begegnete; dieser leidenschaftlich über-
hitzten, flämischen Mona-Lisa, in deren Lächeln
nicht allzuweit der Irrsinn lauert?

Damit sind wir zum Kern und Prunkstück,
zum Saal der großen Franzosen gelangt.
Hier allein ist einreihig gehängt, als Hintergrund
ein stumpfes Braun-Rot gewagt. Vieles wurde
anders, seit wir die vertrauten Bilder das letzte
Mal sahen; wie grell war die absolute Farbig-
keit, an die inzwischen sich die Augen gewöhnten,
und doch —■ wie leuchtet alles nach kurzem
Verweilen in Schöne auf. Da ist Degas' ge-
heimnisvoller Orchesterausschnitt wieder, düster
leuchtet über tiefstem Wasser der Horizont auf
Courbets Woge. Da ist das Gartenstück Manets,
der Daubigny (ein ganz spätes Werk, reif, gleich
herbstlichem Obst), Renoirs „Frühstück" sendet
seinen lieblichen Hauch von Flieder und Veilchen.
GroßüberschattetMonets „Dejeuner" die Wand,
malerisch wie je ein niederländisches Stilleben,
voll Begebenheit wie ein Roman. Hie faßte ein
Bild mehr das Unwägbare der Zeit, nie war eins
weniger Tendenz, und nie wurde das Gefährliche
der Anekdote, das Genre schlagender über-
wunden. — Wieder rührt Vincents unbeholfene
Hütte, überrascht die deutsche Landschaft
Thomas, die er in Italien malte. Neben Sisley,
Delacroix ordnen sich einige Neuerwerbungen
bescheiden: ein mit Sonne gekneteter Monticelli,
Scholderers „Geiger", frisch wie Schwinds
„Morgenstunde" und sachlich wie ein Menzel__

Der westlichste Raum soll den Neuerwer-
bungen der gesamten Galerie vorbehalten
bleiben, auf die an dieser Stelle nicht eingegangen
zu werden braucht. — Die vorgelagerten Ka-
binette geben die Begleitmusik für die Haupt-
säle ab. Im östlichen Trakt eröffnet ein Stein-
hausen-Segantini-Zimmer, daran schließen sich
Frankfurter von Heute und Gestern: Jakob
Nußbaum mit einer guten Landschaft, die Röder-
stein, das begabte Selbstporträt von Hans Sutter,

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