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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 49.1921-1922

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Usinger, Fritz: Unendlichkeit und Raumerlebnis in der Malerei
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https://doi.org/10.11588/diglit.9142#0293

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UNENDLICHKEIT UND RAUMERLEBNIS IN DER MALEREI.

VON DR. FRITZ TJSINGER.

Wenn wir Landschaften von Claude Lorram
betrachten, sind wir bezaubert von der
Weite und Tiefe des Raumes, der sich in diesen
Bildern auf tut. Wir stehen plötzlich unter einem
tiefen Bann. Etwas Unausschöpfbares, Undefi-
nierbares, Unendliches hat sich uns eröffnet.
Es ist nicht das Detail der Landschaft, das uns
fesselt, so fein gegeben es auch sein mag, es
ist nicht Wiese, Fluß und Wald, Berg oder
Burg, viel eher schon der Horizont, jene Grenze
des Kenntlichen, wo alles sich in Duft und
Bläue auflöst und verliert. Aber es ist mehr
als das. Es ist der gesamte Tiefenblick, vom
Standpunkt des Beschauers aus bis ins Unmeß-
bare. Das Unendliche des Raumes rührt an
das Unendliche in uns. Das Unendliche aber
ist das Übermenschliche, Göttliche. Eins der
einfachsten und größten Symbole wird hier un-
mittelbar erfühlt. Die europäische Malerei hat
hierin eines ihrer wesentlichsten Ausdrucks-
mittel geschaffen, ein Symbol ihres tiefsten
Lebensgeheimnisses unbewußt gestaltet. Der
nordische Mensch ist ein Liebender der Unend-
lichkeit und der Hintergründe. Aus der Un-

sicherheit und Ungleichheit der Natur flüchtet
er zu dem sicheren Bestand des Geistigen. Das
aber ist das Unräumliche, Überräumliche, Un-
endliche. Überall in seiner Kunst bricht sich
das Bahn. Tritt es nicht begrifflich ins Bewußt-
sein, so befreit es sich unbewußt. Der Norden
ist das Land der Mystik, die Heimat des Mei-
sters Ekkehart, Johann Tauler, des Verfassers
der „Theologia teutsch", des Jacob Böhme,
Jan van Ruisbroeck, Angelus Silesius, Alfred
Mombert. Der Süden kennt die größere Be-
harrung in der diesseitigen Welt, in der ge-
gebenen Wirklichkeit. Die Kulmination des
griechischen Menschen bringt die griechische
Plastik hervor, diese diesseitigste, irdischste,
unmetaphysischste aller Künste, die sich genügt
in der Begrenzung des schönen Leibes. Wenn
man sehen will, was im Norden aus der Plastik
wird, so betrachte man die Uta von Naumburg :
in dem mächtigen Gewand die zierliche Frauen-
gestalt, von deren Schönheit nur das schmale,
scheue Gesicht und die mit unsäglicher Fein-
heit gebildete Hand künden. Und nun das Un-
geheure: auf der einen Seite hebt sie den
 
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