Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 49.1921-1922

DOI Artikel:
Schiebelhuth, Hans: Kunstgläubigkeit
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.9142#0132

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
KUNSTGLÄUBIGKEIT.

Der Barbar und der Verbarbarte stumpfen am
Kunstwerk wie an den tausend Wundern
der Welt vorüber ohne sie zu beachten. Was
sind ihm Sterne, was ist ihm ein gutes Bildwerk,
ein schönes Gedicht? Nichts, denn er würdigt
sie nicht, er kann sie und will sie nicht wür-
digen, ihm fehlt das Aufnahmevermögen für
diese Dinge; fehlt es ihm wirklich, so kann es
ihm eingepflanzt werden, schlummert es nur,
dann soll es geweckt werden. Wohlan!

Der gebildete zivilisierte Mensch hat die
Leidenschaft zu verstehen und den Hunger zu
wissen. Er züchtet das Kunstverständnis
und pflegt die Kunstwissenschaft. Er wird
Kenner und Kundiger, er wird Gelehrter. Wenn
er soweit ist, daß er Kunstwerke anstatt ihres
Inhaltes (Sujets) vor sich sieht, erforscht er die
Kunstformen, grübelt über die Seele im Werk,
verspürt die geistige Macht, kurz, er versteht
das Kunstwerk. Der gebildete kultivierte
Mensch erlebt das Kunstwerk. Ihn adelt seine
Erlebnisfähigkeit. Wie er in seinem Garten
nicht in erster Linie Botaniker, sondern Blumen-
freund, wie er vor dem Tierreich nicht zunächst
Zoologe, sondern Tierliebhaber ist, so steht er
auch zum Kunstwerk nicht zuvor als Kenner
und Kundiger, als Erkennender und Wissen-
wollender, sondern mit Sinnen und Seele be-
rauscht, entzückt, bezaubert, angewundert, um-
rätselt, als ein Liebender, Gläubiger, Empfin-
der, kurz, er erlebt das Kunstwerk.......

Das Kunstverständnis wurzelt im Boden der
bewußten Aufnahmefähigkeit, der Vorgang ist
intellektuell-geistiger Art. Das Kunsterlebnis
sprießt aus der Kunstgläubigkeit, der Vor-
gang ist seelisch-geistiger Natur. Die wahrhafte,
tiefreligiöse Kunst-, Gott- und Weltgläubigkeit
ist der Grund für unsere größten und höchsten
Beglückungen. Der Künstler lebt sein Werk,
der kunstsinnige, kunstwillige Mensch soll es
in erster Linie erleben, soll es erleben wollen.
So scheint das Wichtigste in diesen Dingen
damit getan, daß jeder die Kunstgläubigkeit in
sich erhält, pflegt und behütet, damit sie als
große Grundlage alles Kulturwerdens bewahrt
bleibt. In den geistigen und seelischen Gemar-
ken ist nichts, wenn man nicht glaubt, geschieht
nichts, wenn man nicht erwartet, stößt einem
nichts zu, wenn man nicht erhofft. Es ist wie
in der Religion. Wem genügte dies, Gott zu
wissen, eine Kraft, die die Welt schuf und in
selbsttätigen Gesetzen regiert, wenn der Gott-
gläubige in den Gärten der Lebensliebe wan-
delt, keine Sekunde ohne die Hoffnung, daß
ihm das Wunder begegnet? Kunstsinn, Kunst-
wille, Kunstliebe sind wahrlich Religiosität,
der Glaube, der hier hilft, ist der an das
Göttliche im Menschen. An die Kunst glau-
ben, ist alles! Der Idealmensch, der große
ewige Denkbild - Mensch, er wird sicherlich
gläubig - aufnehmend , gleichzeitig verstehend
erleben können........ hans schikbelhuth.
 
Annotationen