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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 49.1921-1922

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H. R.: Kraftquellen
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H. FRANK-
BERLIN.

Deutsche Kun^t
u,Dekoration >

EIN ANKAUF
MARK 300.

KRAFTQUELLEN.

Die Menschenwelt und die Naturwelt liegen
in einem ewigen Streit. Der Schauplatz
dieses Kampf es ist nicht die äußere Welt, sondern
der Geist des Menschen. Immer wieder stellt
sich dem Menschengeist die Frage: Gebe ich
mich dem großen Schwall der Natur hin als ein
nebensächlicher Bestandteil, der im Ganzen
aufgeht, oder bringe ich mich als gesetzgebende
und wertbestimmende Macht darin zu vorherr-
schender Geltung? Auf beiden Anschauungs-
weisen haben sich große und erfurchtgebietende
Kulturen erhoben. Die alten asiatischen Kul-
turen bauten sich durchaus auf dem Gefühl ge-
waltiger Naturverschlungenheit auf. In Assur
und Babylon herrscht das Gesetz, das Schicksal,
das nichts anderes ist als die religiöse Widerspie-
gelung der Natur im Geist des Menschen. Der
Mensch steht als Glied in einer ungeheuren
Verkettung von gesetzmäßigen Abläufen. Ge-
bannt in Zwang und Zusammenhang, sieht er
in jedem Stern einen harten, herrischen Willen,
in allen Ereignissen göttliche Despotie. Sein
Dasein hat nur Sinn als Gegenstand, an dem
sich die Gesetze demonstrieren. Daher wachsen
auf diesem Boden die Gottesdienste der hem-
mungslosen, ja orgiastischen Selbstaufgabe, des
Rausches, der Selbstvernichtung.

Bei dem Versuch, nach Europa überzugreifen,
begegnen diese asiatischen Kulturen dem Wider-
stand des griechischen Geistes. Die äußere,

geschichtliche Symbolik dieses Widerstandes
liefern die Perserkriege. In Wirklichkeit kämpfte
Griechenland schon lange vorher gegen Asien
an, indem es dem Schwall naturhafter und be-
sinnungsloser Selbstopferung an seinen Küsten
Halt gebot und ihm gegenüber das europäische
Element der Besinnung, der Besonnenheit
zur Geltung brachte. Diese Besonnenheit ist
die Gegenwehr gegen das Aufgehen im Natur-
ganzen, sie ist die Aufreckung zur Menschlich-
keit, in der die Seele zum ersten Mal einen
bestimmten Eigenwert für sich beansprucht.
Wir pflegen zwar heute von unserm christlichen
Standpunkt aus das griechische Altertum immer
noch als einen Zustand vorwiegender Natur-
verschlungenheit zu betrachten. Aber in Wirk-
lichkeit hält der griechische Geist zwischen der
reinen Naturhaftigkeit und der reinen Geist-
haf tigkeit die Mitte; er gehört halb zu Asien,
halb zu uns und ist eine ungeheure Gleichge-
wichtsleistung zwischen zwei heftig gegenein-
ander erbitterten Elementen. Im historischen
Ablauf erscheint das alte Griechentum ganz
eindeutig als die erste „humanistische" Auf-
bäumung gegen den besinnungslosen Orgiasmus
des Ostens und damit als die Überleitung zu
unserer christlich-nordischen Geisteslage.

Auch für uns Heutige gibt es im Denkerischen
und Künstlerischen einen Kampf um Besonnen-
heit. Von der orgiastischen Naturhingabe sind

XXV. Februar 1922. 7
 
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