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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 49.1921-1922

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Redslob, Erwin: Stilwille und Raumgestaltung
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https://doi.org/10.11588/diglit.9142#0376

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CHARLOTTE
HERZFELD.
»VITRINEN-
ARBEIT«

STILWILLE UND RAUMGESTALTUNG.

VON DR. EDWIN REDSLOB.

Die Grundsätze der Wohnungs- Einrichtung
in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
lassen sich leicht umreißen: die Einrichtung ging
nur vom Einzelstück aus, nicht vom Raum.
Raum war ja auch nicht das, was man gestalten
wollte. Man dachte garnicht daran, daß bei der
Stadt-Anlage wie bei der Wohnungs-Einrich-
tung es nicht nur auf die positive Form ankommt,
sondern auch auf die räumliche Umrahmung,
den Wände und Möbel für den Menschen schaf-
fen. „Horror vacui" — die Angst vor jedem
Quadratmeter ungefülltenRaumes, ist das Motto,
unter dem man die freien Plätze zerstörte, unter
dem man die Zimmer und die Zimmerwände so
ausfüllte, daß nur jakein Platz freien Fußbodens,
kein Stück freier Wand dem Bewohner Ruhe
und Freiheit gab.

Im Gegensatz dazu sieht das Raum-Empfin-
den und damit auch die Einrichtung der heutigen
Zeit. Eine moderne Einrichtung ist nicht etwa
davon abhängig, daß all ihre Stücke auch heute
hergestellt sind: man kann alte Möbel so auf-

stellen, daß doch dem Raum-Gefühl des mo-
dernen Menschen völlig Rechnung getragen wird.

Dies Raum-Gefühl aber verlangt Bewegungs-
freiheit, verlangt Ruhe, Geschlossenheit, Zu-
sammenhang. Es verträgt starke Kontraste, be-
sonders auch in der Farbwirkung. Es wehrt
sich ebenso wie gegen das Ineinandergreifen
der Formen, auch gegen das Ineinandermischen
der Farben, die man, um 1880, möglichst alle auf
den temperamentlosen Generalnenner „Braun"
zu bringen suchte.

Im Hintergrund dieser Änderung, die Ruhe
und Freiheit, dazu aber auch kräftige Kontraste
wünscht, steht ein veränderter Menschentypus.
. . Die Zeit um 1890 war nervös, sie liebte Un-
ruhe, Auflösen der Formen und setzte damit
die um 1840 begonnene Entwicklung zur Auf-
lösung, zur Unruhe, fort. Die heutige Zeit zeigt
wohl viel Zerrissenheit, aber sie zeigt doch zu-
gleich ein deutliches Streben, vom Kontrast zur
Einheit, von der Zerreißung wiederum zu star-
ker, geschlossener Form zu kommen.

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