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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 49.1921-1922

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Heckel, Karl: Das Ziel der Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.9142#0326

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DAS ZIEL DER
KUNST.

Es ist gefährlich,
von den Zielen
der Kunst zu spre-
chen. Gegenüber
jedem „die Kunst
soll" meldet sich
sofort eineSentenz,
die der Kunst ihre
Selbstherrlichkeit
wahren will. Zum
Beispiel: „L'art
pour l'art". Es ist
bezeichnend, daß
wir diesen Aus-
spruch immer in
fremderSprache zi-
tieren ; denn das
besagt, daß wir ihn

als fremd empfinden. L'art pour l'art betont
die formelle Selbstherrlichkeit der Kunst, nicht
aber ihre ideelle. Das widerspricht unserem
deutschen Empfinden. Übersetzen wir ihn mit
„Kunst um der Kunst willen", so ergibt sich
zunächst nur ein Gegensatz zur Kunst als Erwerb,
wohl auch zur Kunst als Gewerbe; kaum mehr.
Wohl könnte er auch besagen: die Kunst ist
sich selbst Zweck. Aber sonderbar, wir zögern
der Sentenz diesen Sinn zu geben. Wohl in
der Erkenntnis, daß die Kunst eben doch nicht
in sich selbst allein ihr Ziel findet.
\' Goethe hat den Ausspruch getan: „der
Zweck des Lebens ist das Leben selbst". Dieses
Wort können wir
in vollem Umfang
gelten lassen. Denn
Leben ist nicht nur
Sein, sondern Wer-
den, getragen vom
unbewußten schöp-
ferischen Willen.
Wer den Mysterien
des Lebens ehr-
fürchtiggegenüber-
steht, der sagt sich,
daß auch alles Den-
ken, als Wertset-
zung der Vernunft,
und aller Glauben,
als Wertsetzung
der Religion, im
Dienste des Lebens
erfolgt. — Das Me-
dium der Wissen-
schaft ist die Er-
kenntnis, das Me-

ELFENBEINKAMM« WIENER WERKSTATTE. ENTWURF FOLTIN

»ELFENBEINKAMM« WIENER WERKSTATTE. ENTWURF FOLTIN.

dium der Religion
ist das Gefühl, das
Medium der Kün-
ste sind die Sinne.
Wohl vermögen
geschichtliche Er-
kenntnisse und re- "-
ligiöse Gefühle mit-
zuschwingen , das
Entscheidende blei-
ben die Sinne, auch
dann, wenn wir sa-
gen: das Ziel der
Kunst untersteht
dem Leben. — Es
liegt uns gewiß
fern, das schlecht-
gemalte Bild einer
Madonna höher
einzuschätzen als
irgend ein gut gemaltes Porträt, und doch ergibt
sich eine Rangordnung in der Kunst. Gewiß,
der Gegenstand an sich entscheidet nicht. Aber
ob ein Werk das Schauen eines Einzelnen indivi-
duell, oder das gemeinsame Fühlen eines Vol-
kes typisch, oder endlich das Einheitsgefühl der
Menschheit mysteriös offenbart, wirkt auf un-
sere Rangbestimmung ein. Mag man es dahin
umkleiden, daß die Persönlichkeit, deren in-
neres Schauen einen weiteren Horizont um-
schließt und tiefer im Grunde des Unbewußten
wurzelt, uns reicher beschenkt, als jene ohne
persönliche Höhe und Tiefe, immer ergibt sich
das gleiche Urteil: das Ziel der Kunst wird

durch ihr Verhält-
nis zum ideellen
Wert des Lebens
bestimmt. — Wie-
derum bietet uns
Goethe das be-
zeichnende Wort:
„In der Natur ist
alles, was im Sub-
jekt ist, und etwas
drüber; im Subjekt
ist alles, was in der
Natur ist, und et-
was drüber". Wer
diese tiefsinnigen
Worte voll erfaßt,
dem ergibt sich die
Erkenntnis, das
höchste Ziel der
Kunst lautet: „im
Vorübergehenden
das Ewige schau-
en". . KARL HECKEL.
 
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