Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten (49.1921-1922)

Haus Dr. L. in Wetzlar.

PROFESSOR BRUNO PAUL.

»GARDEROBE • HAUS DR. L.«

kennt mein liebenswürdiger Freund. Und jetzt
ist er entzückt und wird diesen Brief halten wie
der Marquis d'Aimart das Billet der schönsten
Gräfin in seinen Händen hielt —, oder Goethe
einen Brief seiner Lotte? Aber nein, der Arme
hatte für Posen keine Ruhe. Er war deshalb
schon damals nicht mehr 18. Jahrhundert, dachte
ich bei mir. Die Erinnerung an seine Leiden
überkam mich. Dazu das Pflaster, seufzte ich,
und eins wird das andere gesteigert haben.
Verstehen kann das nur, wer selbst einmal wie
er auf hohen Hacken die Stadt durchstiegen hat.
Als ich mir den Dom ansah, habe ich Sie ent-
behrt. Ohne Zahlen und Daten mußte ich ihn
nun hinnehmen wie einen Menschen, dessen
Namen, Alter und Stand man nicht kennt. Aber
wenn man sehen möchte und still ist, kommt
es zu uns und das beste gibt sich uns zu ver-

stehen. Toll und aufregend sind die Wasser-
speier. Sie kamen mir vor, wie bildgewordene
Sünden, die die Kirche gebändigt hat und sogar
zu ihren Dienern gemacht. Drei von den Un-
geheuern hatten sich losgerissen und in die Tiefe
gestürzt, waren aber wieder, wohl vom Pfarrer,
in Reih' und Glied auf grünen Rasen gesetzt.
Ruhelos würgten sie sich nun wieder in die
Höhe, aber vergeblich. Harmlos spielten da-
neben die Kinder und unfern stand das fromme
Küsterhäuschen.

Das Haus, das ich aufsuchen wollte, lag an
einem anderen Hügel und wurde ab und zu
sichtbar, als sich bei meinem Abstieg die engen
Gassen gelichtet hatten. Ich kam noch an alten
grauen Mauern vorbei, durch Torbögen und an
Türmen, Reste der alten Stadtmauer. Der Weg
zu dem Haus von Dr. L. war steil und herz-