Die Beschreibung des Kunstwerks.
blutet, das drittemal innerlich glühend. Und die
Skala dieser Modulationen ist auch schon still-
schweigende Wertung. Ebenso wirken Ver-
gleiche : stelle ich ein Werk ein in die Reihe an-
erkannter Meisterleistungen, wird es dadurch
gehoben, geadelt, durch die Aufnahme in diese
erlesene Gesellschaft als ebenbürtig erklärt;
ziehe ich aber Künstler vierten oder fünften
Grades heran, ist gleich [klar, daß wir uns auf
einer tieferen Ebene bewegen, in einem minder
gesiebten Kreise. Der geschickte und instinkt-
sichere Kritiker weiß sehr gut, was für ein
Mittel er gerade im Einzelfall anwenden darf.
Aber die genannten und ähnliche Wege mittel-
barer Wertung genügen nicht; denn bisweilen
tut offene, beherzte Aussprache not: eine
Ablehnung muß begründet werden, ein begei-
stertes Lob erheischt ebenso Rechtfertigung,
soll es nicht an Gewicht verlieren. Niemals
frommt aber eine Wertung, die bloß wie eine
Zensur als Anhängsel der Beschreibung ange-
flickt wird. Über den Geschmack läßt sich nicht
streiten, gewiß nicht! Aber eine ersprießliche
Aussprache ist sofort möglich, wenn objektive
Formprobleme in Frage stehen. Auch hier wird
sich nicht immer ein allseits versöhnender Aus-
gleich erzielen lassen, jedoch scheint viel be-
reits gewonnen, wenn ich wenigstens den
gegnerischen Standpunkt verstehen kann. Und
so lernt man allmählich die Wertungsweise eines
Kritikers kennen; man weiß, was ihm liegt und
was ihm widerstrebt. Seine Individualität läßt ihn
einiges geradezu hellsichtig erfassen, versperrt
ihm dafür den Zugang zu anderem. Und
diese pointierte Subjektivität, die letztlich in
individueller Eigenart wurzelt, fördert nur, so-
lange sie — so paradox es klingen mag —
sachlich bleibt. Und Sachlichkeit bedeutet hier:
nicht schwärmen und träumen, sondern Gründe
angeben in der Erscheinung und Formwelt des
Kunstwerks. Denn dort hört jede Willkür auf.
Der eine bemerkt mehr, der andere weniger;
der verhält sich so, und der andere wieder
anders dazu. Aber gerade in diesem Wandel
dürfen wir nie die Tatsachen verlieren, denn
sie sind das Bleibende und Ruhende. Diese
wenigen Andeutungen haben ihren Zweck er-
füllt, wenn es gelang, die ganzen Schwierig-
keiten kunstschriftstellerischer Arbeit flüchtig
zu beleuchten und die eigentlichen Aufgaben
dieses Amtes zu kennzeichnen. Ihren wissen-
schaftlichen Unterbau suchte ich darzulegen im
zweiten Bande meiner „Grundlegung der allge-
meinen Kunstwissenschaft"......... e. u.
JOSUA L. GAMPP. »GEBURTS-ANZEIGEt
holzschnitt.
blutet, das drittemal innerlich glühend. Und die
Skala dieser Modulationen ist auch schon still-
schweigende Wertung. Ebenso wirken Ver-
gleiche : stelle ich ein Werk ein in die Reihe an-
erkannter Meisterleistungen, wird es dadurch
gehoben, geadelt, durch die Aufnahme in diese
erlesene Gesellschaft als ebenbürtig erklärt;
ziehe ich aber Künstler vierten oder fünften
Grades heran, ist gleich [klar, daß wir uns auf
einer tieferen Ebene bewegen, in einem minder
gesiebten Kreise. Der geschickte und instinkt-
sichere Kritiker weiß sehr gut, was für ein
Mittel er gerade im Einzelfall anwenden darf.
Aber die genannten und ähnliche Wege mittel-
barer Wertung genügen nicht; denn bisweilen
tut offene, beherzte Aussprache not: eine
Ablehnung muß begründet werden, ein begei-
stertes Lob erheischt ebenso Rechtfertigung,
soll es nicht an Gewicht verlieren. Niemals
frommt aber eine Wertung, die bloß wie eine
Zensur als Anhängsel der Beschreibung ange-
flickt wird. Über den Geschmack läßt sich nicht
streiten, gewiß nicht! Aber eine ersprießliche
Aussprache ist sofort möglich, wenn objektive
Formprobleme in Frage stehen. Auch hier wird
sich nicht immer ein allseits versöhnender Aus-
gleich erzielen lassen, jedoch scheint viel be-
reits gewonnen, wenn ich wenigstens den
gegnerischen Standpunkt verstehen kann. Und
so lernt man allmählich die Wertungsweise eines
Kritikers kennen; man weiß, was ihm liegt und
was ihm widerstrebt. Seine Individualität läßt ihn
einiges geradezu hellsichtig erfassen, versperrt
ihm dafür den Zugang zu anderem. Und
diese pointierte Subjektivität, die letztlich in
individueller Eigenart wurzelt, fördert nur, so-
lange sie — so paradox es klingen mag —
sachlich bleibt. Und Sachlichkeit bedeutet hier:
nicht schwärmen und träumen, sondern Gründe
angeben in der Erscheinung und Formwelt des
Kunstwerks. Denn dort hört jede Willkür auf.
Der eine bemerkt mehr, der andere weniger;
der verhält sich so, und der andere wieder
anders dazu. Aber gerade in diesem Wandel
dürfen wir nie die Tatsachen verlieren, denn
sie sind das Bleibende und Ruhende. Diese
wenigen Andeutungen haben ihren Zweck er-
füllt, wenn es gelang, die ganzen Schwierig-
keiten kunstschriftstellerischer Arbeit flüchtig
zu beleuchten und die eigentlichen Aufgaben
dieses Amtes zu kennzeichnen. Ihren wissen-
schaftlichen Unterbau suchte ich darzulegen im
zweiten Bande meiner „Grundlegung der allge-
meinen Kunstwissenschaft"......... e. u.
JOSUA L. GAMPP. »GEBURTS-ANZEIGEt
holzschnitt.