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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 49.1921-1922

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Esswein, Hermann: Willi Geiger
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https://doi.org/10.11588/diglit.9142#0229

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Willi Gcigrr.

Blumenstücke ins Treffen zu führen. Das Still-
leben dieser Art bleibt, auch wenn es sich um
lebendige, im Topf oder im Boden wachsende
Pflanzen handelt, zumeist Stilleben, nature
morte, was gar nicht immer ein Fehler sein muß,
denn die Mehrzahl dieser Dinge ist nun einmal
auf schöne, schmückende Schaubarkeit gestellt
und Mal-Aufgabe im allereigentlichsten Sinne.
Auch bei Geiger bleiben diese Sachen in
manchem Fall und bis zu einem gewissen Grad
schöne Malerei, aber nicht um der schönen Ma-
lerei willen. Diese still vor sich hinwachsenden
Dinge, am liebsten Orchideen um ihrer in sich
selber verkrausten Formenkrämpfe willen, wer-
den geistig, indem sie lebendig werden, aber
das ist nicht etwa der realistische Kunstgriff,
Organisches als organisch fühlbar zu machen,
sondern es handelt sich um etwas Irrationales,
Unheimliches: Diese kompliziertenWesen selber
und die simplen Töpfe, in die man ihre gierigen
Wurzeln eingefangen hat, das Licht, das sie
umgleißt mit der Überhelle und der aufregenden
Farbigkeit apokrypher Strahlungen, sind dämo-
nisch. Diese Pflanzen verlieren mit der bota-
nischen Bestimmbarkeit und der kunstgewerb-
lich so oft ausgeschlachteten traulichen Bizar-
rerie ihrer Formen und Farben gleichsam alle
menschliche Bezogenheit.

Fleurs du mal? — Nein, — das wäre eine
allzubillig literarische Erinnerung, die sich zu-
dem schlecht mit banalen irdenen Blumentöpfen
vertrüge. Blumen können von einer völlig sata-
nesken Symbolik völlig durchtränkt und doch
nur — symbolistisch sein. Wir reden lieber von
gemalten Abbauvorgängen in einem überemp-
findlichen Künstlerhirn, die mit dem Notbehelf

„Orchidee" etwas völlig Transzendierendes auf
die Projektionsfläche bringen. Nicht doch! In
den Projektions-Lichtraum, müssen wir sagen,
denn Licht, Raum, Körper sind von Geigers gar
nicht anämisch verkultivierter, gar nicht teppich-
hafter Kunst nicht zu trennen. Geiger ist nichts
weniger als ein Spiritist der Malerei, aber viele
dieser Blumenstücke sind okkult, und eben
deshalb machen wir, angegriffen, gepeinigt, er-
regt, entzückt von ihnen, nicht die schwerflüs-
sigen Worte um sie her, bei denen den Spiri-
tisten wohl wird, sondern wir werfen lieber noch
einen letzten Blick auf die Tatsache, daß des
Künstlers vorläufig letzte Etappe auf seinem
neuen weit von der Münchener Zeitgenössisch-
keit hinwegführenden Weg figurale Komposi-
tionen sind, die viel, aber nichts legendenmäßig
Bestimmtes erzählen: Menschen-Agglomerate
von einer ganz und gar seelischen Wirkung ihrer
Massen und doch dampfend von der Schwere
der Leiber und dröhnend von dem Rhythmus
ihrer Gestik. Einmal, viel stärker noch als der
hier gezeigte Mann mit der am Pfeilschuß da-
hinsterbenden Hand, zwei Gestalten, vor denen
sich unwillkürlich auf die Lippen dräDgte: Aus
einem Ölberg!

Geht es also nach dorthin weiter? — Der
religiöse Maler setzt eine Kirche seiner Religion
voraus, und die moderne, dogmenlose, heimat-
lose Religiosität der Geiger'schen Kunst hat
keine Kirche, kann sie nicht haben. Der reli-
giöse Maler Geiger ist heute schon Tatsache —
als ein individueller Wert. Um sozialer Wert
und soziale Macht zu werden fehlt seiner Kunst
der große Gegenstand, fehlt ihr die unbefleckte
Legende.........hermann esswein-münchen.

WILLI GEIGER. KLEINES GEMÄLDE »REH«
 
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