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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 49.1921-1922

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Ewald, Reinhold: Moderne Raumprobleme und Konrad Witz
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https://doi.org/10.11588/diglit.9142#0287

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Moderne Raumprobleme und Konrad Witz.

um dahinter zu kommen, folgende zwei Gegen-
strömungen beachten: die eine besteht aus dem
frontal zum Beschauer von links hinten auftre-
tenden Haus mit den vier Loggien; die Be-
wegung des Hauses geht von rechts nach links
oder links nach rechts, wie man will. Dazu
muß man mit dem beschauenden Auge auf links
Engel, dann Petrus, dann wieder Engel und
wieder Petrus einstellen, die positiv formal
dieselbe von rechts nach links pendelnde und
ziehende Bewegung machen.

Zwiefach dazwischen nun, als Zweites kubisch
schräg gestellt, wie abgehackte Elemente des
formalen Ganzen, die Wächter in klappernden
Rüstungen und als das Stärkste der formal dra-
matischen Mittel: die konsequent schräg, bald
positiv, bald hohl hingestellten Häuser und
Quader, die unter sich und von der Haupt-
handlung durch unendlich scharfe Hohlräume
getrennt, wie entwurzelt und aus ihrem ursprüng-
lichen Grundriß gezerrt erscheinen. Dies er-
innert an das große Ereignis des Risses des
Vorhangs im Tempel. Die ganze Komposition
des Bildes wirkt wie durch ein Erdbeben er-
schüttert. Der dramatische Moment einer Be-
freiung ist wohl kaum reiner zu lösen.

Ganz nebensächlich erscheint es mir, ob Witz
solche Mittel theoretisch erkannt hat oder nicht.
Jedenfalls hat er es so gemacht oder machen
müssen. Kaum ist ein Künstler wohl stärkeres
Durchgangsobjekt für absolute Raumgestaltung
gewesen wie er. Ein Stadium der Raumgestal-
tung, wie es in Picasso'schen Landschaften zur-
zeit etwa festgelegt erscheint, dürfte mit dem
hier eingefügten wundervollen Bild des Car-
paccio angegeben werden.

Man schreibt im allgemeinen Witz, um ihn
als Deutschen nebenbei auf das sogenannte
„romantische Innenleben "zu bringen, eine große
Kunst des formalen „Abstreicheins" der Ge-
wänder.Rüstungen und kristallisierenden Einzel-
bestandteile seiner großen Schöpfungen zu, ja,
man lobt ihn in Handbüchern als den frühen
und ganz späten naturbeschwängerten Land-
schaftsempfindenden. Mir scheinen dagegen
nicht nur seine Frühwerke wie die Einzelfiguren
des Basler Altars Vorstaffeln der Hochperiode,
als auch sein Spätwerk der Kreuzigung in Berlin
schon abflauende Kraftäußerung zu sein.....

Zur Zeit hat man in Würzburg Gelegenheit
Entwürfe von Balthasar Neumann im Original
zu sehen. Diese scheinen mir außergewöhnlich
wichtig, besonders im Hinblick auf ihre geistige
Parallele und ihre raumbeherrschende Überein-
stimmung mit etwa romanischen und frühgoti-
schen Bauideen, z. B. des Bamberger Doms. Ich
fühle mich genötigt, so weit dies scheinbar ab-
schweift, auf den räumlichen Nenner hinzu-
weisen, den diese Erscheinungen mit etwa Witz-
scher Kunst haben. Worauf ich hier eigentlich
hinweisen möchte, ist mit kurzen Worten etwa
folgendes: daß diese Architekturen nicht nach
zweckmäßigen, raumschützenden Gesichtspunk-
ten gebaut sind, ferner daß sie nicht nach ihrem
konsistenten Vollkörper zu bemessen sind, der
als konsistentes Ganzes entworfen, hernach
schlechtweg banal eben einen Raum ergibt,
sondern daß von vorneherein bei ihrem künst-
lerischen Erstehen in Bewegung befindliche und
als solche sinnlich erfaßte Hohlräume gegen-
einanderarbeiten und in Fluß geraten, gehemmt
und schier wie in Bamberg im Dom bekämpft
von plötzlich auftretenden Mauern, Vollkörpern,
fühlbaren zweiten und dritten formal kleineren
Kirchen im Innern des Gesamthohlraums, ein
Entstehen von Krypten, hohlen schwälenden
Raumbildungen unwirklich unter dem Dom.

Diese ewig lebendige Wechselwirkung von
Raum gegen Raum, von Hohl gegen Konsistent,
motorisch bewegt, sodaß der Ruhe- und Aus-
gangspunkt der Energien etwa vom Boden in
eine hohe feste Brüstung verlegt wird, die kon-
sistenten Säulen aber schier in beweglichem
Sumpf erscheinen und die Netzwerke der Decke
aufsaugend wirken, diese höchste Entfaltung
des Begriffs Raum und Form hat wohl Ro-
ritzer erreicht, als er den Chor der Lorenzo-
kirche in Nürnberg erfand.

Bei Neumann kämpfen in dem Entwurf für
„Vierzehnheiligen" kubische Karree - Räume
gegen ganz anders geartete kubische Oval- und
Kuppelräume. Aber ob Barock bei Neumann
oder Romanisch in Bamberg oder Gotisch im
Lorenzochor, der Nenner dürfte derselbe sein:
Raum und Massierungen, die motorisch genannt
werden müssen. Der kapriziöse Beweis für
diese Bewertung sind die Kapitale der Groß-
figuren in Bamberg am Dom. reinhold ewald

XXV. Februar 1922 . 3
 
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