Unendlichkeit und Raumerlebnis in der Malerei.
Tiefe des Raumes und die Perspektive zu
den wesentlichsten Mitteln zum Ausdruck un-
endlicher Gefühlsweite. Wie kommt es aber
nun, daß der Expressionismus, der doch in be-
sonderem Maße Ausdruck einer unendlichen
Gefühlswelt sein will, auf diese Mittel ganz ver-
zichtet? Sie ermöglichen den stärksten Unend-
lichkeits-Ausdruck in einer Malerei, wo gegen-
ständliche Realität noch im Bildinhalt stehen
bleibt. Ganz anders liegen aber die Verhält-
nisse in einer Malerei, wo alles Gegenständliche
deformiert oder gar vollkommen aufgelöst wird.
Die Szenerie eines solchen Bildes ist ja gar
nicht unsere irdische, konkrete Welt, sondern
eine visionäre, geistige, phantasmagorische. Es
ist schon eine Welt der Unwirklichkeit, des
reinen Raums, des freien Schwebens, der Un-
endlichkeit. Auf Delaunay's „Eilfeiturm" ist
die Architektur zersetzt, aufgelöst, zerflatternd.
Der Kiesenbau müßte zusammenstürzen. Aber
er ist gewichtlos geworden. Mit geradezu un-
wahrscheinlicher Kühnheit hängt seine Erschei-
nung im freien Raum. Es ist nicht mehr der
Eiffelturm, sondern seine Idee: an Tollheit
grenzendes Wagnis, Geist-Getürmtes, irdisch
kaum realisierbar, ungeheurer Gedanke im un-
endlichen Raum. Picasso's „Mann mit Klari-
nette" zeigt nicht mehr menschliche Gestalt.
Sie ist von Eissturz überhangen, aufgegangen
in Kristalle, in Ur-Form. Sie ist aufgebrochen,
aufgequollen in wuchernden und doch sich glie-
dernden Raum. Sie ward Gespenst. Nun steht
sie außerhalb aller realen Zusammenhänge. Sie
duldet keinen Vergleich. So ward sie unmeßbar.
Hat sie noch Menschengröße? Es ist nicht zu
sagen. Sie kann erdrückend groß sein. Unend-
lichkeit ist im Begriff, uns ihr Gesicht zu zeigen.
Hier ist das Raumerlebnis von äußerster
Stärke. Es hat nur gegen früher andere Symbol-
Form. Wird sich eines Tages das so gestaltete
Raumerlebnis ausgelebt haben und die Malerei
sich wieder der Natur-Form zuwenden, so wird
ganz notwendigerweise wieder Unendlichkeit
in dem früheren Raum-Symbol uns anblicken.
A. HENSLER-WIESBADEN »MÄDCHENKOPF«
Tiefe des Raumes und die Perspektive zu
den wesentlichsten Mitteln zum Ausdruck un-
endlicher Gefühlsweite. Wie kommt es aber
nun, daß der Expressionismus, der doch in be-
sonderem Maße Ausdruck einer unendlichen
Gefühlswelt sein will, auf diese Mittel ganz ver-
zichtet? Sie ermöglichen den stärksten Unend-
lichkeits-Ausdruck in einer Malerei, wo gegen-
ständliche Realität noch im Bildinhalt stehen
bleibt. Ganz anders liegen aber die Verhält-
nisse in einer Malerei, wo alles Gegenständliche
deformiert oder gar vollkommen aufgelöst wird.
Die Szenerie eines solchen Bildes ist ja gar
nicht unsere irdische, konkrete Welt, sondern
eine visionäre, geistige, phantasmagorische. Es
ist schon eine Welt der Unwirklichkeit, des
reinen Raums, des freien Schwebens, der Un-
endlichkeit. Auf Delaunay's „Eilfeiturm" ist
die Architektur zersetzt, aufgelöst, zerflatternd.
Der Kiesenbau müßte zusammenstürzen. Aber
er ist gewichtlos geworden. Mit geradezu un-
wahrscheinlicher Kühnheit hängt seine Erschei-
nung im freien Raum. Es ist nicht mehr der
Eiffelturm, sondern seine Idee: an Tollheit
grenzendes Wagnis, Geist-Getürmtes, irdisch
kaum realisierbar, ungeheurer Gedanke im un-
endlichen Raum. Picasso's „Mann mit Klari-
nette" zeigt nicht mehr menschliche Gestalt.
Sie ist von Eissturz überhangen, aufgegangen
in Kristalle, in Ur-Form. Sie ist aufgebrochen,
aufgequollen in wuchernden und doch sich glie-
dernden Raum. Sie ward Gespenst. Nun steht
sie außerhalb aller realen Zusammenhänge. Sie
duldet keinen Vergleich. So ward sie unmeßbar.
Hat sie noch Menschengröße? Es ist nicht zu
sagen. Sie kann erdrückend groß sein. Unend-
lichkeit ist im Begriff, uns ihr Gesicht zu zeigen.
Hier ist das Raumerlebnis von äußerster
Stärke. Es hat nur gegen früher andere Symbol-
Form. Wird sich eines Tages das so gestaltete
Raumerlebnis ausgelebt haben und die Malerei
sich wieder der Natur-Form zuwenden, so wird
ganz notwendigerweise wieder Unendlichkeit
in dem früheren Raum-Symbol uns anblicken.
A. HENSLER-WIESBADEN »MÄDCHENKOPF«