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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 49.1921-1922

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W. F.: Zur Seelenkunde des Künstlers
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https://doi.org/10.11588/diglit.9142#0347

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Zur Seelcnkunde des Künstlers.

mühungen tiefer zu legen und das Lebendige
in echteren Verkörperungen zu fassen, die mit
weniger abtrennbaren oder nachahmlichen Füt-
tern behängt sind. Die neueste Kunst, der Ex-
pressionismus, verdankt der Mode und den Mit-
läufern sehr vieles an Abklärung und Vertiefung.
*

Man ruft heute nach der einen, großen, ver-
bindenden Religion, die allein die Menschen-
kraft gesammelt und im Künstler verdichtet
vor das Problem künstlerischer Gestaltung führen
könne. Die Beispiele alter, religiös beflügelter
Kunstepochen sind in der Tat eine starke Mah-
nung und Verlockung. Stellt man aber das Pro-
blem ernstlich so: Entweder eine neue, all-
seitige religiöse Ergreifung der Menschheit oder
Verzicht auf Kunst, so hieße dies nur das letztere:
Verzicht. Doch scheint es mir falsch, die Re-
ligion und die Bindung, die sie schenkt, für das
einzige tragfähige Fundament der Kunst zu

halten. Ich glaube, der Künstler denkt richtiger,
wenn er sich klarmacht, daß es für ihn heißt: Hin-
untergehen in die Tiefen, in denen die Mensch-
heit heute noch verbunden und gebunden
ist. Gegenfrage zur Aufklärung: Kann ernstlich
hehauptet werden, die Menschheit sei heut e wirk-
lich atomisiert und jedes Ich vom Urmutterboden
getrennt, freischwebend im luftleeren Raum?
Das kann ernstlich nicht behauptet werden,
denn damit wäre die Menschheit und ihr ganzer
Planet erledigt. Es müssen also heute nochTief en
existieren, in denen die Menschheit kompakt
zusammenhängt. Diese Schichten können Kunst
tragen, heute wie je. Abteufen bis auf diese
Schichten muß also Aufgabe des heutigen Künst-
lers sein. Sie sind zu erreichen mit äußerster
Frommheit, mit Hinabtauchen auf das letzte
stichhaltige Müssen. Wenn nicht alles täuscht,
sammelt die Menschheit Kraft und Atem, die-
sen Vorstoß zu unternehmen.......w. f.
 
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