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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 49.1921-1922

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Niebelschütz, Ernst von: Die Orientalische Frage in der Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.9142#0390

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Die orientalische Frage in der Kunst.

ernst pfeiffer—münchen. »geschnitzte spiegel«

haben, ob diese Anomalie mehr als die Ver-
zweiflungstat eines Bankerottiers ist — mit
andern Worten, ob wir von einer Kunst, für
die uns alle Voraussetzungen — klimatische,
soziale, religiöse — fehlen, eine Neubelebung
unserer Zeugungskraft erwarten dürfen. Die
dem Orient eigentümliche Entwicklungslosigkeit,
seine überschäumende Mystik und Weltmüdig-
keit bergen Gefahren, die wir Westländer
gerade in unserer heutigen Seelenlage zu fürch-
ten alle Ursache haben — keiner aber mehr
als der deutsche Geist, der in seinem transzen-
dentalen Radikalismus heute am liebsten das
halbe Indien in seinen kimmerischen Norden
versetzen möchte. Daß wir im Anblick der
großartigen Totalität der indischen Kultur wie
verzaubert stehen, daß uns neue und reichere
Möglichkeiten dämmern — wer möchte uns das
verargen? Nur sollten wir bedenken, daß diese
östliche Einstellung ganz andere Ergebnisse zei-
tigen wird als der alte historische Drang nach
dem klassischen Süden, oder der Zug nach dem
romanischen Westen. Hier suchten und fanden
wir Ergänzung unseres Wesens durch die edle
lateinische Form, die wir als Korrektiv der
eigenen Regellosigkeit brauchten. Indien aber

— so steht zu befürchten — wird uns nur be-
stärken in einer Richtung, die, maß- und gren-
zenlos, das Unmögliche will, immer zum Unbe-
dingten strebt und darum selten das Ziel er-
reicht. Seien wir überzeugt — Europa kann
letzten Endes nur durch Europa genesen,
durch Besinnung auf seine originalen Kräfte.
So wenig uns mit Hilfe eines platten Realismus
die große Kunst, nach der wir uns sehnen,
kommen wird, so wenig werden wir auf dem
Wege über eine totale Auflösung des Ich, die
uns doch nie von Herzen kommt, dazu gelangen.
Von der Natur können wir uns nicht losreißen,
ohne innerlich zu verbluten. Aber in allem Ir-
dischen ein Symbol des Göttlichen zu sehen —
dies ist es, was wir wieder lernen müssen.
Mag sein, daß unser Weltgefühl dem des Orients
an Tiefe und Größe nachsteht — besser, im
engeren Kreise sich selbst zu verwirklichen,
als die Geste einer uns wesensfremden Erhaben-
heit annehmen. Abendländische Kunst ist
beseelte Physis, ist idealisierte Natürlichkeit,
oder, wie Goethe, diese höchste Aufgipfelung
europäischen Menschentums, sich ausdrückt:
„Der Geist des Wirklichen ist das wahrhaft
Ideelle"............ ernst v. niebelschütz.
 
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