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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 50.1922

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M., H.: Der Künstler und seine Person
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https://doi.org/10.11588/diglit.9143#0055

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DER KÜNSTLER UND SEINE PERSON.

Person und Persönlichkeit sind zweierlei. Das
erste bezeichnet das gesellschaftliche Sein
des Menschen, im Gegensatz zu seinesgleichen.
Das zweite bezeichnet den schöpferischen, ein-
maligen Inhalt des Ich; es bezeichnet die be-
stimmte Welt, die mit und in einem einzelnen
Menschen geboren ist. So wertvoll und ergiebig
für das Kunstschaffen das zweite ist, so be-
denklich sind die Störungen, die sich aus dem
ersten ergeben. Die Persönlichkeit darf und
muß der Künstler pflegen, die Person aber muß
er überwinden.

Das ist keine neue Weisheit. Sie findet sich
ausgesprochen und tätig bewährt in allen Zeiten
starker und lebendiger Kunst. Insbesondere
alle mystische Weisheit ist durchdrungen da-
von. „Le Moi est toujours hai'ssable", sagt
Pascal. Von Laotse, dem gewaltigen und wun-
derbaren Lehrer des Tao, sagt der Biograph,
daß er sich in die Einsamkeit zurückzog und
inbekannt zu bleiben wünschte. Bernhard von
Clairvaux, der Prediger mystischer Demut,
betete zu Gott: „Da mihi nesciri!" (Gib mir,
daß icn unbekannt bleibe).

Und es ist wirklich so, daß die „Person" das
schwerste Hemmnis aller echten Menschentat

XXV- April 1922. 6

ist. Vor allem aller echten künstlerischen Lei-
stung. Der Künstler, der seine „Person" nicht
überwindet, wird nie in den Vollbesitz der
Schaffenskräfte kommen. Dieses Überwinden
bedeutet ja nicht eine Besitzminderung, eine
Verarmung. Die „Person" ist geradezu der
Pfropfen, der den Quell der Schaffenskräfte ver-
schließt. Erst wenn er herausgezogen wird, be-
ginnen jene zu sprudeln. Überwindung der
„Person" bedeutet Durchbruch zur Persönlich-
keit. Person ist das Ich als Negativum, als Ver-
neinung und Ausschließung des Göttlichen.
Persönlichkeit ist das Ich als Ort der Einmün-
dung göttlicher Kraftströme in das Wesen des
Menschen. Allen Ernstes ist künstlerisches
Schaffen Dienst am Göttlichen.

Nie werden wir die Höhe vergangener Kunst-
leistung erreichen dadurch, daß wir ihre Kom-
positionsschemata nachrechnen, ihre Farben
psychologisch enträtseln und etwas abstrahieren,
was so aussieht, als ob wir es rezeptartig für
unsre eignen Werke verwenden könnten. Son-
dern nur dann können wir hoffen, zu jenen
Großen aufzusteigen, wenn wir ihre Seelen-
lage begriffen und uns womöglich zugeeignet
haben........................ h. m.

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