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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 50.1922

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Kirchner, Joachim: Die neue religiöse Malerei
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https://doi.org/10.11588/diglit.9143#0029

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GIOTTO. ARENA IN PADUA.

»AUS NEBENSTEHENDEM BILDE«

DIE NEUE RELIGIÖSE MALEREI.

VON JOACHIM KIRCHNER.

Das metaphysische Bedürfnis, sich von der
Sinnenwelt und ihren vergänglichen Er-
scheinungsformen zu lösen, und sein Schaffen
ganz in die Sphäre gefühlsstarker Innerlichkeit
zu erheben, hat die Künstler der abendländi-
schen Malerei zu allen Zeiten zur Darstellung
religiöser Stoffe veranlaßt. Mit gläubigem Sinne
nahten die mittelalterlichen Maler den Legenden
des christlichen Zyklus; Fra Angelico, Stefan
Lochner und so viele andere, durch die mysti-
sche Gottseligkeit ihrer Zeit inspiriert, trugen
jene hingebungsfreudige, schlichte Frömmigkeit
in sich, die uns als bedeutsam für die Weltseele
jener Tage entgegentritt. Vielleicht dürfen jene
Künstler auch heutzutage noch als die berufen-
sten Führer und Deuter im Reiche göttlicher
Geheimnisse und Wunder gelten. Gleichwohl
ist bei ihnen das Göttliche nichts Erdenfernes,
nichts Jenseitiges; das Unfaßbare ist durch ihren
künstlerischen Gestaltungswillen des scholasti-
schen Schwergewichts entkleidet, es ist ver-
menschlicht und läßt in seiner irdischen Form
seinen göttlichen Ursprung durchschimmern.
Das Bild der Maria mit dem Kinde und die Dar-

stellung des gekreuzigten Gottessohnes sind
zum Sinnbild einer sich ewig gleichbleibenden
höchsten Liebe geworden, deren reine Flamme
auch auf die menschlichen Verhältnisse ihre
milden Strahlen ergießt. Das formale Be-
dürfnis einer zu höherer Technik entwickelten
Kunst ließ bisweilen den Reiz jener gefühls-
mächtigen Innigkeit der primitiven Malerei zu-
rücktreten. Und doch vermochten sich auch
die Künstler späterer Zeiten nicht der sugges-
tiven Kraft jener ursprünglichen Religiosität zu
entziehen, die ihnen in den Werken jener alten
Maler am Anfange der abendländischen Kunst
entgegentrat. Die Neubelebung jener primitiven
Malerei konnte allerdings nur zu einer wenig
glücklichen Episode in der Geschichte der bilden-
den Künste werden. Die Klosterbrüder von St.
Isidoro, jener Künstlerkreis um Overbeck, haben
der Kunstgeschichte den Beweis geliefert, wie
gefährlich es ist, selbst bei verwandten gefühls-
mäßigen Voraussetzungen sich in die Gefolg-
schaft längst verklungener Traditionen zu be-
geben. Was im 14. und 15. Jahrhundert als
ursprünglich und echt empfunden gelten durfte,

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