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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 50.1922

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Witthaus, Wernher: Räume aus dem Bonner Wohnhause des Architekten Fritz August Breuhaus
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Heckel, Karl: Kunst und Nationalität
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https://doi.org/10.11588/diglit.9143#0110

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KUNST UND NATIONALITÄT.

Alles was geschieht ist Symbol, und, indem
" £\. es vollkommen sich selbst darstellt, deu-
tet es auf das Übrige", hat Goethe an Karl
Ernst Schubarth geschrieben. In den Lehren
der Physionomik, Charakterologie, Graphologie
usw. Jiat sich die Erkenntnis, daß wir vom Ein-
zelnen auf das Ganze zu schließen vermögen,
zur Wissenschaft ausgebildet. Zeigt uns ein
beliebiger Brief durch die Handschrift: Rasse,
Temperament, Charakter, Wesen eines Men-
schen, wie viel mehr die Handschrift der Kunst.
Wer in seinen Beobachtungen die Richtung vom
Individuellen zum Typischen festhält, wie sollte
der in der Kunst eines Volkes nicht die natio-
nale Bedingtheit erkennen!

Wo über die Frage nach nationaler oder
internationaler Kunst gestritten wird, da liegt
meistens ein Mißverständnis vor. Mag man
noch so eifrig allem Chauvinismus gegenüber
betonen, daß die Kunst ihren eigenen Gesetzen
folge, die nicht durch politische Grenzen be-
stimmt werden, so bleibt doch die Tatsache
bestehen, daß die Kulturgemeinschaft in der
Kunst ihren vornehmsten Ausdruck findet. Nicht
nur die individuelle, sondern auch die typische
Veranlagung kommt in ihr zum Vorschein.

Ich besitze von Emil Lugo ein Bild der römi-
schen Campagna, dessen Wolken uns beispiel-
weise das Deutschtum des Künstlers sofort ver-
raten. Als ich im Atelier von Hans Thoma —
er halte ein Bild aus den Schweizer Alpen auf
der Staffelei — eine ähnliche Bemerkung be-
treff der in den Vordergrund gestellten Bauern
machte, da antwortete der Meister mit Humor:
„Ja, das sind gute Schwarzwälder; sie sind in
die Schweiz ausgewandert, aber doch ihrer
Heimat treu geblieben".

Soll der deutsche Künstler sich Einflüssen
fremder Nationen verschließen? Die Antwort
auf diese Frage kann verschieden lauten. Wenn
er nicht eigen-persönlich genug ist, um sich
trotzdem zu bewahren, dann: Ja. Aber heißt
deutsch sein, nicht zuletzt überdeutsch sein?
Auch für die Kunst steht das Ideal des „guten
Europäers" am Horizont. Wie der junge Künst-
ler, der zunächst nur aus dem Unbewußtsein
schafft, sich ganz anders einstellen muß, sobald
das Bewußtsein eine Revolution in seinem
Wesen entfacht, so vermag ihm auch die Ver-
tiefung in das Fremdländische eine entschie-
dene Bereicherung zu bringen.

Nicht nur im Reiche der Gedanken sollen
alle Schlagbäume in die Höhe gehen, sondern

auch im Reiche des künstlerischen Schaffens.
Es gilt letzten Endes das Höchste als solches
zu werten, aber es gilt wiederum in erster Linie,
dem was uns gemäß und vertraut ist, unsere
Pflege angedeihen zu lassen. Jeder Anfänger
läuft Gefahr, das Allgemeine für ein Besonderes
und Charakteristisches zu halten; erst der Ver-
gleich erschließt ihm mit der Zeit, wo die Son-
derheit liegt. Nicht anders verhält es sich in
der Frage nationaler Kunst. Das Organische
enthüllt sich uns, wenn wir den spezifischen
Volksgeist in seiner allmählichen Entwicklung
verfolgen. Auf das Nationale verzichten, führt zu
unorganischer Verschwommenheit, das Interna-
tionale ausschließen, sehr leicht zur Erstarrung.

Gerade weil die Kultur, wie Jakob Burckardt
so richtig erkannt hat, nicht notwendig uni-
versal ist und anderseits keine Zwangsgeltung
für sich in Anspruch nimmt, besteht bei ihr ein
Wechselverhältnis von Bedingtem und Bedin-
gendem, dem sie ihre Selbstheit und doch zu-
gleich auch ihre Hingebung an ein Allgemeines
verdankt. In der künstlerischen Kultur legen
die Völker die Substanz ihres eigenen Wesens
nieder und spinnen doch zugleich die Fäden zu
allen beseelten Wesen. Sie verdankt sich einem
geistigen Überschuß, der sich von der Heimat
aus ein Weltbild schafft. Sie stellt ein höheres
Leben dar, das sich frei weiß von nationaler
Bedingtheit und das dennoch aus dem Boden der
Rasseneigentümlichkeit seine Nahrung gewinnt.

Wer nur nach der Vervollkommnung der
Technik strebt, hat keine Ursache sich als
Künstler seine Nationalität zu wahren und zu
vertiefen, aber wer in der Kunst etwas Außer-
ordentliches sieht, das lebendig aus dem Unter-
grund des individuellen und typischen Wesens
erwächst, der fühlt recht wohl, was er seiner
nationalen Kulturgemeinschaft verdankt. So
kommen wir zu dem Schluß, daß die Kunst in
der heimatlichen Kultur wurzelt, daß sich ihre
Äste und Zweige aber mit gutem Recht über
die Mauern ausbreiten, die politische und wirt-
schaftliche Verhältnisse aufbauten. Je nationaler
ein Werk in seiner Wurzel ist und je weiter es
zugleich seine Zweige ausstreckt in Luft und
Licht, die Allen gemeinsam sind, je mehr wird
es auch den Angehörigen fremder Nationen
Achtung abgewinnen, soweit ihr Verständnis
nicht versagt. Hüten wir uns also in der Kunst
vor jedem Chauvinismus, bewahren wir uns
aber auch die Bodenständigkeit; denn dort
fließen die Quellen unserer Kraft, karl heokel.

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