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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 50.1922

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Bendemann, Eduard Julius Friedrich: Jean François Millet
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Hildebrandt, Hans: Kunst und Nationalität
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https://doi.org/10.11588/diglit.9143#0338

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Jean Franfois Millct.

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Es gibt kaum ein Bild von Millet, in dem
sich nicht eine solche Unstimmigkeit fände, ein
solches Nichtzuendegehen im Ausdruck, und
doch bleibt in seinem Werk etwas Unverlier-
bares und Vorbildliches auch für unsere Zeit.
Kein geringerer als van Gogh hat Millet wie
einen Vater verehrt und nicht nur als Menschen
sondern auch als Künstler; denn er wurde nicht
müde, Gestalten von ihm zu kopieren und in
seine Sprache umzusetzen. Er suchte bei ihm
Halt für seine gewaltige und wilde Phantasie

und ein festes Gefüge für seine sich in Farben-
rausch auflösende Malerei. Bei ihm suchte er
vor allem das zu gewinnen, was ihm fehlte, was
zu einer wahren Volkstümlichkeit der Kunst,
die ihm als letztes Ziel vorschwebte, nötig war:
die Einfachheit und Schlichtheit eines allgemein-
menschlichen Gegenstandes. Dies ist dasselbe,
was auch uns Heutigen fehlt, um der Kunst
wieder einen Platz in der breiten Masse des
Volkes zu schaffen, und was Millet als selbst-
verständlichen Besitz in sich trug..... e. v. b.

KUNST UND NATIONALITÄT.

VON PROF. DR. HANS HILDEBRANDT.

Zwei Schlachtrufe streiten widereinander. Der
eine klingt: „Die Kunst soll national sein!"
oder vielmehr, sofern er in unserem Vaterlande
erhoben wird: „Die deutsche Kunst soll deutsch
seinl" Der Gegner antwortet: „Die Kunst ist
international!" Zu welcher von beiden Parteien
sollen wir, denen es Ernst ist um die Kunst, uns
schlagen — und ist nicht vielleicht eine Ver-
söhnung möglich, sobald wir nur den sich befeh-
denden Forderungen die richtigeDeutung geben ?

Untersuchen wir kurz die Rechtsansprüche,
die beide Widersacher geltend machen können.

Wer sich die Erklärung zu eigen macht, daß
die von Deutschen unserer Tage erzeugte Kunst
auch deutsch sein müsse, stützt seine Ansicht
auf gewichtige Tatsachen der Vergangenheit.
Noch jedes Volk von wahrhaft ausgeprägter
Eigenart hatte auch eine Kunstkultur, die sich
von der anderer Völker aufs deutlichste unter-
schied. Was ein Aegypter, und was ein Grieche
schuf — was eines Deutschen, eines Italieners,
eines Franzosen oder eines Spaniers Hand ent-
wuchs — was ein Chinese, und was ein Inder
hervorbrachte: wir kennen es auf den ersten
Blick auseinander. So verschieden geartet die
einzelnen Schöpferpersönlichkeiten innerhalb
jedes Volkes, selbst wenn sie Zeitgenossen
waren, sein mochten: Gemeinsames, das schwer
verstandesmäßig zu erforschen, schwer zu nen-
nen, aber leicht zu erfühlen ist, bindet sie alle.
Darum scheint auch der Anspruch wohlgegrün-
det, die deutsche Kunst der Jetztzeit solle deutsch
sein. Freilich klingt er zugleich so selbstver-
ständlich, daß seine Aufstellung unnötig dünken
müßte, falls nicht eine ganz andere Forderung
sich in ihm verberge: jene nämlich, daß das
Charakteristisch-Deutsche in der Kunst ge-
züchtet werden müsse. Und gar, daß das
Werturteil über ein Kunstwerk davon abhänge,
ob das, was gemeinhin als „deutsche Wesensart"
gelten mag, sich augenfällig in ihm verkörpere.
Darüber, ob diese weitgehende Forderung zu

Recht besteht oder vielleicht gar dem Wesen
der Kunst widerstreitet, kann der Spruch erst
gefällt werden, wenn wir uns Klarheit verschafft
haben über die Meinung der Gegenpartei.

Diese besagt, daß die Kunst international sei.
Sie leugnet natürlich nicht, daß bestimmte
Rassen zu bestimmten Zeiten einen gerade ihnen
und nur ihnen eigentümlichen Stil entwickelt
haben. Ihre Widerlegung wäre ja sonst sehr
leicht. Ganz anderes drückt der Spruch, daß
die Kunst international sei, aus. Nämlich die
Überzeugung, daß das Wesen des echten Kunst-
werks weder abhängt von der Eigenart eines
bestimmten Volkes noch von einer bestimmten
Zeit, ja nicht einmal von einem bestimmten Stil,
in dem Geistiges und Materielles in sich ge-
schlossener Kultur dank schweigender Über-
einkunft aller sich verdichten. Das Wesen des
Kunstwerks ist gestaltete Vollkommenheit. Es
offenbart sich als notwendige und harmonische
Einheit aller zu seinem Aufbau verwendeten
Elemente. Zu diesen zählen jedoch nicht nur
die rein formalen. Vielmehr ist das Geistige,
das vom Schöpfer des Werkes stammt, auch
einbegriffen in die Zahl der Autbauelemente,
und zwar gewiß nicht als letztes und unbedeu-
tendstes. Einzig die gestaltete Vollkommenheit
ist ein Vollkunstwerk. Damit rücken alle Fragen
des Stils, alle Fragen der Rasse, ja selbst alle
Fragen der Persönlichkeit in die zweite Reihe.
Was der Künstler vorfindet an Formelementen,
an technischen Hilfsmitteln und Kunstgriffen,
was die Überlieferung ihm bietet; selbst was er
in seinem eigenen Innersten entdeckt, ist alles
nur Rohmaterial, das seines bildenden Geistes
und seiner bildenden Hände harrt. Wichtig ist
allein, ob ihm die hohe Gabe ward, aus diesem
Rohstoff eine harmonische Einheit, eine gestal-
tete Vollkommenheit zu schaffen. Die Gesetze
des künstlerischen Gestaltens sind unveränder-
lich und bindend. Ihre Auslegung und Anwen-
dung nur unterliegt vieltausendfältiger Deutung.
 
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