Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 50.1922

DOI Artikel:
Gorge, Hugo: Typenform und Endform
DOI Artikel:
Schiebelhuth, Hans: Zur Kunstbetrachtung
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.9143#0244

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Typenform und Endform.

234

ausgehen. Dem Architekten kann es sich immer
nur darum handeln, den Rhythmus des Ent-
stehens und den Rhythmus des Zwecks zu einem
Rhythmus von Wechsel-Wirkungen zu gestalten,
zu „raumdynamischen Beziehungen". Diese Be-
ziehungen lassen sich vollkommen durch Maße
und Verhältnisse im Raum ausdrücken, durch
logisches Gegenüberstellen der wichtigen Raum-
bestandteile: Fenster, Ofen und Türen. Sie
machen den Raum behaglich oder geben ihm
jede gewünschte Laune, — bevor er noch „ein-
gerichtet" ist. Diese „Maße und Verhältnisse"
sind die Vorbedingung für alle Wechsel-Wir-
kungen, die zwischen Möbel und Raum in der
weiteren Gestaltung herzustellen sind.

Jede „Typisierung" ohne wesentlichen und
engen Zusammenhang mit dem Raumgedan-
ken bedeutet ein Steril-Werden des Formge-
fühls, eine Erstarrung, die immer wesensleer
bleiben muß. Ein wirklich gutes Möbel wird
der naiv-handwerklichen Art der Ent-
stehung nie entbehren können, es soll diese in
ihrer unmittelbaren Wirkung wiedergeben und
nicht zu verbergen suchen. Diese „Primitivität"
des Handwerklichen ist selbstverständlich nicht

als Unvollkommenheit, sondern als Höchst-
leistung sorgfältiger Handwerks-Arbeit gedacht.
Ob solche echte Handwerks-Kunst heute noch
in der Großstadt gedeihen kann und hier nicht
als lächerlich, nebensächlich und unzeitgemäß
betrachtet, sondern in ihrem Wert wieder er-
kannt wird, — das ist die wesentliche Frage.

Ich glaube, daß die Loslösung der rein
handwerklichen Arbeit von der maschi-
nellen Massen-Produktion das Heil für unsere
Wohnungen bedeuten wird. Die Leistung jedes
einzelnen Kunsthandwerkers muß wieder „für
sich" sprechen. Dem Begriff der „Maschine"
darf dabei nie mehr Bedeutung zugelegt werden,
als dem eines „rascher arbeitenden" Hobels
oder einer „schneller schneidenden" Säge. Von
der Maschine aber die „Endform" irgendwie
abhängig machen zu wollen, wird stets den Nie-
dergang des Handwerks bedeuten. . . .

Der natürliche Konflikt zwischen H a n d, M a -
terial und Werkzeug muß wieder zur „hand-
werklichen Romantik" werden, — als charak-
teristisches Zeugnis für die Rückkehr des neuen
Menschen zum „Individuum", — zur indivi-
duellen Gestaltung..........hugo gorgk.

ZUR KUNSTBETRACHTUNG.

Die Menschen, die in Kunstausstellungen und
Galerien gehen, sei es auch noch so ob-
jektiv, aufnahmewillig und offenherzig, sie alle
glauben an den einfachen Tatbestand, daß sie
es sind, die die Kunstwerke ansehen und be-
prüfen. Daß aber ein echtes Kunstwerk ein
geistiges Wesen ist, eine Wirklichkeit, der es
gegeben ist, aktiv zu sein, daran denken sie
meistens nicht. Zwar sagen sie leichthin: „dieses
Bild wirkt stark auf mich", aber es fällt trotz-
dem nur den wenigsten ein anzunehmen, daß
das bewunderte und wirksame Werk vielleicht
auch Sehorgane habe, mit denen es sie beblickt,
anschaut und prüft. Die Dichter haben diese
Einstellung von jeher zu eigen gehabt, man
findet bei Goethe und Schiller Beispiele genug,
daß ein Kunstwerk sie ansah und zu ihnen
sprach, Hölderlin und Novalis geben man-
ches Beleg hierfür, und auch der skeptische
und sarkastische Heinrich Heine erzählt, daß
die Mona Lisa des Lionardo da Vinci, genannt
die Gioconda, ihn im Louvre zu Paris zwang,
fromm zu sein, seine Individualität zu vergessen,
so sehr, daß er in die Knie brach und stumm
und anbetend blieb. Ein starkes Beispiel gibt
der zeitgenössische Dichter Rainer Maria Rilke,

der ein Gedicht auf den archäischen Torso
Apollos mit den Versen schließt: „Denn da ist
keine Stelle, die Dich nicht sieht. Du mußt
Dein Leben ändern". Wenn auch kein Beweis,
so sind diese Tatsachen doch dienliche Stützen
für eine Maxime, die erklärt, daß das eigentlich
Aktive, das geistig Arbeitende bei der Betrach-
tung von Kunstwerken die Kunstwerke zunächst
sind und nicht der Beschauer. Diese starken
Erregungen haben natürlich meist erst statt,
wenn der Beschauer die Reizzone des Gegen-
ständlichen durchschritten hat und der meta-
physischen Macht des Kunstwerks die letzte
Tür öffnet. Gewiß, in einem Menschen, der die
Landschaft am Meer liebt, wird eine Darstel-
lung dieses Sujets gewisse Gefühlswerte aus-
lösen, ein Madonnenbildnis wird als solches
seelisch stärker erschüttern können, als das
Porträt einer Dame Y. Aber im Letzten ist das
Gegenständliche nie maßgebend. So wenig, wie
je die Dinge, die leicht eingehen, die bestim-
menden sein müssen. Denn man behält auch
einen minderwertigen Gassenhauer, den ein
Vorbeigehender pfiff, oft quälend lang im Sinne,
da er leichter zufällt wie die göttlichen Klänge
Mozart'scher Sphärenmusik........ h. sch.
 
Annotationen