LOVIS CORINTH—BERLIN.
»SELBSTBILDNIS« 1921.
CORINTH, DER EWIG JUNGE.
VON JOACHIM KIRCHNER.
Nicht von jenem Corinth, der bei mehr oder
weniger verständnisvollen Sammlern plötz-
lich mode geworden ist und zu immensen Preisen
auf dem Kunstmarkte gekauft wird, soll hier
die Rede sein, Ebenso liegt es mir fern, den
zahlreichen klugen Betrachtungen, die sich an
die letzte Kollektivausstellung der Werke des
Meisters im Kunstsalon von Fritz Gurlitt-Berlin
knüpften, eine weitere Kritik hinzuzufügen: ver-
messen schiene es mir, das Lebenswerk eines
Dreiundsechzigjährigen, das so wechselreiche,
interessante Phasen umschließt, in den Rahmen
eines kurzen Aufsatzes einzuzwängen. Ich will
dem ewig jungen Corinth einige Worte widmen,
dem Künstler, der überall da, wo er sich regte,
als eine überragende starke Persönlichkeit her-
vortrat. Es ist sicherlich nicht die Eigentümlich-
keit seines Talents oder die Besonderheit der
Mache, die ihn in den Augen des Publikums über
die gleichzeitig mit ihm Strebenden herauszu-
heben vermochte, auch kaum die Eigenart seiner
Sujets, die ihn beliebt gemacht hätte, alles dies
trug im Falle Corinth eher dazu bei, ihn un-
populär zu lassen. Die selbstverständliche
Schlichtheit seines Wesens, die sich jedem, der
mit ihm zusammenkommt, sofort mitteilt, ver-
langt nicht nach den billigen Erfolgen eines
Routiniers, dem die Größe der Triumphe mehr
bedeutet als die Größe seiner Kunst. Die Zeiten
prunkhafter Festzüge, wo es sich ein Makart
leisten konnte, auf goldstrotzendem Pferde
im Sammetkostüm mit weißbefiedertem Barett
durch die Straßen Wiens zu ziehen, um die
Huldigungendes „Volkes" entgegenzunehmen,
sind vorüber. Ein wahrer Künstler hat nicht
nötig, Theater zu spielen und auf diese Weise Re-
klame für sich herauszuschlagen. Echte Kunst
erwächst dem inneren Zwange, der Leidenschaft,
der Empfindung einer starken Persönlichkeit,
sie erzieht sich ihr Publikum und zwingt es all-
mählich in ihren Bann.
Hierin ist Corinthfür uns vorbildlich geworden.
Er ist durch die Tat der künstlerische Erzieher
seines Volkes und seiner Zeit geworden. Alles
Modische lag diesem intuitiv Schaffenden fern.
Es gibt keine gröbere Verkennung seines Wesens
und seines Künstlertums, als wenn man be-
haupten wollte, er sei mit den Akademikern
akademisch, mit den Impressionisten impres-
sionistisch gewesen und mit den Modernen
133
XXV. Juni 1922 . 3*
»SELBSTBILDNIS« 1921.
CORINTH, DER EWIG JUNGE.
VON JOACHIM KIRCHNER.
Nicht von jenem Corinth, der bei mehr oder
weniger verständnisvollen Sammlern plötz-
lich mode geworden ist und zu immensen Preisen
auf dem Kunstmarkte gekauft wird, soll hier
die Rede sein, Ebenso liegt es mir fern, den
zahlreichen klugen Betrachtungen, die sich an
die letzte Kollektivausstellung der Werke des
Meisters im Kunstsalon von Fritz Gurlitt-Berlin
knüpften, eine weitere Kritik hinzuzufügen: ver-
messen schiene es mir, das Lebenswerk eines
Dreiundsechzigjährigen, das so wechselreiche,
interessante Phasen umschließt, in den Rahmen
eines kurzen Aufsatzes einzuzwängen. Ich will
dem ewig jungen Corinth einige Worte widmen,
dem Künstler, der überall da, wo er sich regte,
als eine überragende starke Persönlichkeit her-
vortrat. Es ist sicherlich nicht die Eigentümlich-
keit seines Talents oder die Besonderheit der
Mache, die ihn in den Augen des Publikums über
die gleichzeitig mit ihm Strebenden herauszu-
heben vermochte, auch kaum die Eigenart seiner
Sujets, die ihn beliebt gemacht hätte, alles dies
trug im Falle Corinth eher dazu bei, ihn un-
populär zu lassen. Die selbstverständliche
Schlichtheit seines Wesens, die sich jedem, der
mit ihm zusammenkommt, sofort mitteilt, ver-
langt nicht nach den billigen Erfolgen eines
Routiniers, dem die Größe der Triumphe mehr
bedeutet als die Größe seiner Kunst. Die Zeiten
prunkhafter Festzüge, wo es sich ein Makart
leisten konnte, auf goldstrotzendem Pferde
im Sammetkostüm mit weißbefiedertem Barett
durch die Straßen Wiens zu ziehen, um die
Huldigungendes „Volkes" entgegenzunehmen,
sind vorüber. Ein wahrer Künstler hat nicht
nötig, Theater zu spielen und auf diese Weise Re-
klame für sich herauszuschlagen. Echte Kunst
erwächst dem inneren Zwange, der Leidenschaft,
der Empfindung einer starken Persönlichkeit,
sie erzieht sich ihr Publikum und zwingt es all-
mählich in ihren Bann.
Hierin ist Corinthfür uns vorbildlich geworden.
Er ist durch die Tat der künstlerische Erzieher
seines Volkes und seiner Zeit geworden. Alles
Modische lag diesem intuitiv Schaffenden fern.
Es gibt keine gröbere Verkennung seines Wesens
und seines Künstlertums, als wenn man be-
haupten wollte, er sei mit den Akademikern
akademisch, mit den Impressionisten impres-
sionistisch gewesen und mit den Modernen
133
XXV. Juni 1922 . 3*