Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 50.1922

DOI Artikel:
Habicht, Victor Curt: Ornament und Zeichen
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.9143#0172

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Or

162

tament und Zeichen.

BRUNO PAUL—BERLIN.

Das einfachere ist das Ornament. Wie der
Name sagt ein Schmückendes. Ob ein primi-
tiver Zickzackstreifen, mit dem Nagel in einen
Topf gekratzt, ein Blattwerk eines gotischen
Kapitells, Kartusche oder Groteske, immer ist
der Sinn ein dienender. Eine heitere, unver-
pflichtende, leichte Beigabe, aus dem großen
Gesamtwollen eines Stiles spielerisch entnom-
men, bald naturalistisch, bald streng stilisie-
rend, oft einfach, häufig raffiniert. Aber das
Hauptkennzeichen, die verbindende Linie, be-
steht und beruht darin, daß der Sinn des Ur-
sprungs, der irgendwie religiös war, ganz ver-
gessen ist; sosehr vergessen, daß Ornament
und Zeichen eins werden.

Wir müssen zunächst festzustellen suchen,
was ein Zeichen ist. Hierzu gibt es keinen
besseren Führer als Goethe. Bei ihm heißt es
im Faust: „er schlägt das Buch auf und erblickt
das Zeichen des Makrokosmus".

Und nun folgen Worte, die ein Bekenntnis
des großen Magiers Goethe selbst bedeuten

minmiiimiMiiiiiiiiiHiiHi

»ANRICHTE IM ESSZIMMER«

und von denen die wichtigeren unendlich viel
mehr enthalten als dichterische Dithyramben,
nämlich Wissen. Er empfindet Wonne, neu-
glühend fühlt er junges, heiliges Lebensglück
durch Nerv' und Adern rinnen. Ein Gott scheint
ihm dieses Zeichen geschrieben zu haben, das
das innre Toben stillen, das arme Herz mit
Freude füllen, und mit geheimnisvollem Trieb
die Kräfte der Natur rings um ihn her enthüllen
kann. Was bedeutet dies? Kein ähnliches
Wort hat der kunstempfindliche Geist, dieser
begeisterte Liebende aller antiken Herrlichkeit,
je vor einem Kunstwerk gesprochen. Man
denke sie sich zu einem noch so schönen und
bezaubernden Ornament, etwa denen der Log-
gien des Vatikans, die Goethe himmlisch preist,
gesprochen — unmöglich. Es ist ein anderes
als ästhetisches Gefallen, ein im Innersten Ge-
troffensein, eine Erleuchtung, die hier als vom
eigentlichen Erleben sprechen. Goethe sagt es
selbst: „ich schau' in diesen reinen Zügen die
wirkende Natur vor meiner Seele liegen"
 
Annotationen