DOI Artikel:
Stanger, Franz: Religiöse Stickereien von Lilly Vetter
DOI Seite / Zitierlink: https://doi.org/10.11588/diglit.9143#0317
LILLI VETTER—HOHENASCHAU.
BILDSTICKEREI »VERTREIBUNG«
RELIGIÖSE STICKEREIEN VON LILLI VETTER.
Zu den Dingen, die leichtlich Freunde finden,
weil sie darauf angelegt sind, dem geltenden
Geschmack zu schmeicheln, kann man die reli-
giösen Stickereien von Lilli Vetter nicht zählen.
Sie sind auch nicht als Ergebnis eines klug ge-
leiteten Willens zu werten, der mit wohlbe-
rechneten Schritten seinem Ziel entgegengeht.
Aber es handelt sich um Früchte eines über-
mächtigen Dranges, das eigene religiöse Emp-
finden vor sich selber zu offenbaren und ihm
in Formen und Farben dauernde Gestalt zu
geben. Aus traumhaften Visionen steigen die
Bilder empor, dunkles Erinnern an eigenes Er-
leben spielt hinein und zwingt zur Form.
Lilli Vetter, die sich in die Einsamkeit
der Berge nach Hohenaschau zurückgezogen
hat, ist sich wohl bewußt, mit ihren religiösen
Arbeiten gegen den Strom zu schwimmen. Sie
hat sich damit abgefunden, daß das Tiefste, was
sie schafft, woran sie mit ganzem Herzen hängt,
nur von dem engen Kreis der Gleichgesinnten
gewürdigt wird. Deshalb sind ihr auch die
Stunden, die sie diesen Arbeiten widmen kann,
nachdem das tägliche Mühen um das liebe Brot
vollbracht ist, die schönsten des Tages.
Von der strahlenden Pracht der Werke geben
die hier gezeigten Wiedergaben kaum einen
Schein. In ungekannter Glut leuchten die Sei-
denfäden ; Lilli Vetter hat mit eigener Hand
das Material bereitet und jeden Ton gefärbt.
Jeder Stich, woraus das Bild sich baut, hat
Leben und zeugt von der sichern Hand, der
schnellen Entschlossenheit, dem offenen Auge,
dem ehrlichen Sinn und der vollendeten Technik
der Künstlerin. Jeden Zufall weiß sie geschickt
zu nutzen; naturhaft groß ist ihre Art, zuweilen
auch urgewaltig schreckhaft. Ihr Wirken ist
teils ein kindhaft frohes Spiel, teils ein tapferes
Mühen, teils ein rasender Kampf um die Form
und gegen die Widerwärtigkeiten des Lebens.
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BILDSTICKEREI »VERTREIBUNG«
RELIGIÖSE STICKEREIEN VON LILLI VETTER.
Zu den Dingen, die leichtlich Freunde finden,
weil sie darauf angelegt sind, dem geltenden
Geschmack zu schmeicheln, kann man die reli-
giösen Stickereien von Lilli Vetter nicht zählen.
Sie sind auch nicht als Ergebnis eines klug ge-
leiteten Willens zu werten, der mit wohlbe-
rechneten Schritten seinem Ziel entgegengeht.
Aber es handelt sich um Früchte eines über-
mächtigen Dranges, das eigene religiöse Emp-
finden vor sich selber zu offenbaren und ihm
in Formen und Farben dauernde Gestalt zu
geben. Aus traumhaften Visionen steigen die
Bilder empor, dunkles Erinnern an eigenes Er-
leben spielt hinein und zwingt zur Form.
Lilli Vetter, die sich in die Einsamkeit
der Berge nach Hohenaschau zurückgezogen
hat, ist sich wohl bewußt, mit ihren religiösen
Arbeiten gegen den Strom zu schwimmen. Sie
hat sich damit abgefunden, daß das Tiefste, was
sie schafft, woran sie mit ganzem Herzen hängt,
nur von dem engen Kreis der Gleichgesinnten
gewürdigt wird. Deshalb sind ihr auch die
Stunden, die sie diesen Arbeiten widmen kann,
nachdem das tägliche Mühen um das liebe Brot
vollbracht ist, die schönsten des Tages.
Von der strahlenden Pracht der Werke geben
die hier gezeigten Wiedergaben kaum einen
Schein. In ungekannter Glut leuchten die Sei-
denfäden ; Lilli Vetter hat mit eigener Hand
das Material bereitet und jeden Ton gefärbt.
Jeder Stich, woraus das Bild sich baut, hat
Leben und zeugt von der sichern Hand, der
schnellen Entschlossenheit, dem offenen Auge,
dem ehrlichen Sinn und der vollendeten Technik
der Künstlerin. Jeden Zufall weiß sie geschickt
zu nutzen; naturhaft groß ist ihre Art, zuweilen
auch urgewaltig schreckhaft. Ihr Wirken ist
teils ein kindhaft frohes Spiel, teils ein tapferes
Mühen, teils ein rasender Kampf um die Form
und gegen die Widerwärtigkeiten des Lebens.
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