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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 50.1922

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Roessler, Arthur: Einiges über Bildnismalerei: aus einem Ateliergespräch
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https://doi.org/10.11588/diglit.9143#0361

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ARCHITEKT KARL HOFFMANN—WIEN.

»BIBLIOTHEK MIT KAMINECKE«

EINIGES ÜBER BILDNISMALEREI.

AUS EINEM ATELIERGESPRÄCH.

Der Maler legte Pinsel und Palette weg, ver-
tauschte den Arbeitskittel gegen einen
Hausrock, zündete eine Zigarre an, setzte sich
in einen Lehnstuhl und sagte, wobei ein Lächeln
den sonst ernsten Mund seines strenglinigen
Antlitzes umhuschte, zu seinem Gesellschafter:
„Sie schwiegen lange genug, darf ich Siebitten,
nun zu sprechen? Ich sah es dem wechselnden
Ausdruck Ihres Gesichtes ab, daß in Ihnen, wäh-
rend Sie mir saßen, allerlei Gedanken auftauch-
ten, verweilten, hin und hergewendet, zerfasert,
abgetan, von andern, nachdrängenden abgelöst
wurden und vermute, daß Sie die Malerei zum
Gegenstand hatten, etwas also, das mich inte-
ressiert. Wollen Sie mir mitteilen, was Sie
dachten, derweilen ich. verstummt an Ihrem
Bildnis arbeitete?"

„Gerne will ich das tun", erwiderte das
Modell, „wenn ich auch nicht sicher bin, Ihnen
vom Grund aus Neues kundtun zu können. Ich
dachte, daß für die Beurteilung der künstlerischen
Wertgrädigkeit der Werke verschiedener Kunst-

epochen doch wohl die jeweilige Bildnismalerei
einen der tauglichstenMaßstäbe darbieten dürfte.
Das Bildnis läßt nämlich, worauf es in der Malerei
hauptsächlich ankommt, den Ernst und die
Geistigkeit der Auffassung, sowie die handwerk-
lich mehr oder minder meisterlich ausgebildete
Formgestaltung, am untrüglichsten erkennen.
Nirgendwo, wie mich dünkt, entlarvt sich das,
was bloß Mache, was grob und deutlich gesagt
Schwindel ist, so leicht und rasch wie in der
Bildnismalerei. Trotzdem sich keinem andern
Werk der bildenden Kunst gegenüber die große
Menge der Laien in gleichem Maße für so „kom-
petent" zum Urteil erachtet wie just dem Bild-
nis gegenüber, das sie nach dem Grade der Täu-
schung, der vermeintlichenNaturtreue einschätzt.

Für den Wissenschaftler ist die Individualität
der Erscheinung nichts anderes als der natur-
gesetzlich bestimmte Ausdruck bedingter Ab-
wandlungen der im Urstoff wirkenden, allge-
meinen Lebensgesetze. Diese tausendfältigen
Abwandlungen bewirken die auffälligsten Unter-

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