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Pantel, Etta [Hrsg.]
Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland: Baudenkmale in Niedersachsen (Band 9, Teil 1): Stadt Wolfenbüttel — Braunschweig, 1983

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https://doi.org/10.11588/diglit.44416#0098
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Grundriß der Stadt Wolfenbüttel im Jahre 1754 von A. Haacke, kopiert 1790.
Niedersächsisches Staatsarchiv in Wolfenbüttel, K 5538. Ausschnitt: Juliusstadt


JULIUSSTADT
Der historische Kern der Juliusstadt liegt
östlich der Heinrichstadt und wird im Nor-
den und Osten von dem Straßenzug Jäger-
meisterstraße (B 4)/Leipziger Straße, im Sü-
den durch den Hauptfriedhof an der Lin-
dener Straße und im Westen durch die ehe-
maligen Befestigungsanlagen begrenzt.
Seit der 2. Hälfte des 19. Jh. ist sie über die
Marktstraße mit Juliusstädter Brücke und
Wallstraße an die Heinrichstadt angebunden,
nachdem die frühere direkte Verbindung
nach der Schließung des Kaisertores im 17.
Jh. unterbrochen war.
Die Juliusstadt zeigt in ihrem markanten
Grundriß die Ansätze einer auf die Heinrich-
stadt ausgerichteten Radialanlage. Der mitt-
lere Straßenzug weitet sich an seinem West-
ende zu einem Platzbereich aus. Dieser hi-
storische Marktbereich wird von dem alten
Weg in das Dorf Linden, jetzt Friedrich-
Wilhelm-Straße/Lindener Straße, in Nord-
Süd-Richtung durchquert. Östlich der histo-
rischen Ansiedlung kreuzen sich außerdem
der frühere Fernhandelsweg von Braun-
schweig nach Leipzig/Halberstadt, die Leipzi-
ger Straße, und die Landstraße nach Ahlum.
Die Leopoldstraße, der nördliche der histori-
schen Straßenzüge, konnte durch den Neu-
bau der Jägermeisterstraße vom Durchgangs-
verkehr der B 79 freigehalten werden.
Der planmäßige Ausbau der zunächst „Got-
teslager" genannten Siedlung erfolgte im 16.
Jh. unter der Regentschaft Herzog Julius
(1568—89). Erst 1897 wurde sie nach ihrem
Erbauer in „Juliusstadt" umbenannt.
Zu der Idee des Herzogs, an dieser Stelle
eine großzügige Vorstadt zu errichten, trug
sicherlich die verkehrsgünstige Lage des
Bereichs bei. Die Siedlung sollte innerhalb
des Gesamtsystems der Stadt eine besondere
Rolle spielen. Als leistungsfähiges Handels-
zentrum mit 32-36000 Einwohnern, das 4
Kirchen, 4 Klöster und 12 der benachbarten
Dörfer aufnehmen sollte sowie eine von

Helmstedt hierher verlegte Universität, hatte
es die Aufgabe, durch Konkurrenz die auto-
nome wirtschaftliche Stellung Braunschweigs
zu erschüttern, um es wieder unter die Ober-
hoheit des Herzogs zu bringen.
Doch dieses, die Möglichkeit des Fürsten-
tums Wolfenbüttel übersteigende Projekt,
war wohl nicht nur ein Ergebnis von wirt-
schaftspolitischen Überlegungen. Eine wei-
tere Erklärung ist auch Julius' Begeisterung
an idealistischen Theorien der Renaissance,
mit denen er während seines Studiums in
den Niederlanden konfrontiert war, und die
er durch die Beziehung zu dem deutschen
Idealstadttheoretiker seiner Zeit, Daniel
Speckle, intensivierte. Dieser setzte sich zwar
nachdrücklich für die Durchsetzung des ra-
dialen Grundrißschemas in Deutschland ein,
er lehnte jedoch 1583 in seiner Schrift
„Architectura von Vestungen" einen Plan
des Herzogs von ca. 1571 als zu phantastisch
ab, in dem 5 rhombenförmige Siedlungsbe-
reiche von Wolfenbüttel zu einem Stern
zusammengefügt waren.
Verwirklicht wurden drei in ost-/westli-
cher Richtung divergierende Straßen, Julius-
straße, Juliusmarkt, Leopoldstraße und Fer-
dinandstraße mit jeweils einer südseitigen
Bebauungsreihe. Es ist jedoch nicht zu bele-
gen, ob diese nur die Anfänge einer geplan-
ten vollständigen Radialanlage waren. Trotz
Verordnungen, Privilegien und Bauprogram-
men — nach dem Bauprogramm von 1571
wurden in der Heinrichstadt abgebrochene
Häuser vermutlich im Gotteslager wieder er-
richtet — ging die Besiedlung der wohl 1576
fertiggestellten Straßen nur langsam voran.
1585 waren wohl erst 31 Häuser errichtet
worden.
Um 1588 erfolgte die Ausstattung mit städti-
schen Einrichtungen wie einem Versamm-
lungshaus (Komisse), einem Waagehaus,
Krambuden, Krügen und Herbergen, Gar-
küchen und einer Pfarrkirche (hier Dreifaltig-
keitskirche).

Der Sohn Herzog Julius', Herzog Heinrich
Julius (1584—1613), gab den unrealistischen
Plan der Handelsgroßstadt „Gotteslager" auf
und verlegte die wirtschaftlichen Einrichtun-
gen der Siedlung in die Heinrichstadt, so wie
die gesamte bauliche Entwicklung sich wie-
der dorthin verlagerte (siehe auch heinrich-
stadt'). Nur Bürgerproteste verhinderten
wohl den gesamten Abriß. Die Siedlung
entwickelte sich zu einer wenig bevorzugten
Wohn-Vorstadt. Seit 1606 war sie durch
Gräben, Wälle und Schanzen befestigt. Zeuge
hierfür ist möglicherweise die Rote Schanze,
gelegen im Südosten des Bereichs, südlich der
Leipziger Straße. Sie ist noch als veränderter,
z.T. abgetragener Hügel vorhanden, von dem
man einen Überblick über die gesamte Stadt
hat.
Ebenso wie in den anderen Siedlungsteilen
war auch in der Juliusstadt ein Großteil der
Häuser im Dreißigjährigen Krieg zerstört
worden. Unter der Regentschaft von Herzog
August dem Jüngeren (1635—1666) wurde
1655 die noch unzerstörte Bebauung im
westlichen Siedlungsbereich des „Gottesla-
gers" abgerissen, um im Zuge der Verstär-
kung und Erneuerung der Befestigung der
Heinrichstadt Platz für die Bastion Corne-
liusberg zu schaffen. Abgebrochene Häuser
wurden wohl in der Ersatzanlage August-
stadt (siehe dort) wieder errichtet. In diesem
Zusammenhang ist 1655 auch die Dreifaltig-
keitskirche abgerissen worden, deren Ge-
meinde zunächst Räume über dem damaligen
Kaisertore zugewiesen wurden. Nach dem
Ausbau zur St. Trinitatiskirche im 18. Jh.
(siehe Holzmarkt) siedelte die Gemeinde
endgültig in die Neue Heinrichstadt über. Der
verbliebene Teil der Siedlung wurde erneut
bebaut und besiedelt, so daß die frühesten,
heute noch erhaltenen Gebäude aus dieser
Zeit stammen. Der Wiederaufbau mit einfa-
chen Fachwerk-„Buden" entsprechend der
Vorgängerbebauung verlief zunächst zö-
gernd, meist in offener Bauweise, und der
Verdichtungsprozeß hält bis heute an.
Während die Häuser aus der Zeit des Wieder-
aufbaus nach dem Dreißigjährigen Krieg bis
ins 18. Jh. heute hinter breiten Vorgärten
zurückliegen und damit den ursprünglichen
unregelmäßigen, weiten Straßenraum aufzei-
gen, richtet sich dagegen die Neu- oder Er-
satzbebauung des späten 19. Jh. nach gera-
den, den Straßenraum verengenden Flucht-
linien.
Diese unterschiedliche Lage zur Straße
macht die Bebauungsentwicklung der histo-
rischen Siedlung deutlich (vgl. historische
Karten von 1754 und 1890).
Durch Kriegseinwirkung im Zweiten Welt-
krieg wurde der mittlere Bereich der histori-
schen Anlage der Juliusstadt weitgehend
zerstört. Dieser wurde nach 1945 zunächst
maßstäblich wieder aufgebaut. In jüngster
Zeit entstanden hier auch mehrgeschossige
Wohn- und Geschäftshäuser.

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