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162 Caglivstro und s«

„Arme Frau!" lächelte sie, „ich habe sie furchtbar erschreckt.
Doch was soll man thun? Dir zu Liebe thue ich Alles, währt
es doch nun nicht mehr lange." Caglivstro lächelte.

In diesem Augenblicke wurde die in das anstoßende Gemach
führende Glocke gezogen.

„Ah," machte der Graf Caglivstro, „Jacques ruft mich.
Sehen wir, was er will." Und er begab sich in das vorige
Zimmer.

„Der Graf Tesvans!" meldete der Diener. — „Der
Graf Desvans?" wiederholte Cagliostro. — „Zu dienen." Cag-
liostro lächelte vergnügt. „Gut, verweilen Sie zwei Minuten
draußen im Corridor und führen Sie dann den Grafen in das
Zimmer Nr. 1, haben Sie verstanden? In das Zimmer, in
dem ich die Dame empfangen habe." — „Ganz Recht." Und
der Diener that, was man ihn geheißen.

„Hast Du gehört, Kleine," sagte Cagliostro, zu Lorenza
zurückkehreud, „hast Du gehört, was mir Jacques gesagt? Ah,
es ist zum Todtlachen, der Gemahl dieser Dame ist auch schon
hier. Ich sage Dir, Lorenza, cs wird lustig werden; bei Gott,
es wird lustig werden. Nun schnell auf Deinen Posten, Lorenza,
schnell. Ich will den Grafen empfangen."

Lorenza eilte auf demselben Wege, den sie gekommen war,
in das geheime Tapetengemach, während Cagliostro, die Thüre
hinter sich schließend, sich ebenfalls in das erstgenannte Zimmer
begab. Eine Sekunde später trat auch der Graf Desvans in das-
selbe ein. Cagliostro ging ihm auf halbem Wege entgegen und
verbeugte sich. Der Graf Desvans verbeugte sich ebenfalls.

„Guten Abend, mein Herr," sagte Letzterer, „ich störe
doch nicht?

„Der Graf von Cagliostro wird stets und immer gestört,"
erwiderte der Zauberer, „doch er läßt cs gerne geschehen, inso-
ferne er der Menschheit nützen kann."

„Und Sie können mir wahrlich nützlich sein!" ries der
Graf lebhaft aus, „Sie können mich von einer Seelenqual be-
freien, die mir das Leben verbittert, die mich weder bei Tage
noch bei Nacht in Ruhe leben, in Ruhe schlafen läßt. O, mein
, Herr Graf Cagliostro, „sagte er bittend, „führen Sie mich zu
j Ihrer Somnambule, sie soll mir Auskunft geben ..."

„Ob sie betrogen seien, oder nicht," unterbrach ihn Ca-
| gliostro, „nicht so?"

„Wie? ..." stammelte der Graf, „ob ich betrogen sei
I oder nicht? Was wollten Sie damit sagen?"

„Das will sagen," antwortete Cagliostro, „ob Ihre reizende,
junge Gemahlin, die Sie vor kaum einem Jahre in Brisseau,

| einem Städtchen der Auvergne, geheirathet haben, ob Ihre
! junge Gemahlin während Ihrer Abwesenheit einen gewissen
jungen Mann, Namens D' Ortalan oder ihre Tante empfangen
habe. Jst's wohl dies;?"

„Mein Herr," rief der Graf außer sich vor Schreck und
Erstaunen, „woher wissen Sie dieß?"

Cagliostro richtete seine dunklen, blitzenden Augen auf das
bleiche Antlitz des Grafen.

„Ter Graf Cagliostro," erwiderteer, „der Graf Cagliostro
weiß Alles. Der Mann, der bereits das tausendste Jahr zurück-

ine Somnambule.

gelegt, der mit Hölle und Teufel gerungen und sie überwunden,
dem die Geister des Feuers und des Wassers, der Luft und der
Erde, der Geburt und des Grabes, des Lebens und des Sterbens
dienstbar sind . . . ist es ein Wunder, wenn dieser Mann Alles
weiß, Alles kann, Alles vollbringt? Antworten Sie sich selbst,
Herr Graf!"

Der Graf Desvans, verblüfft und eingeschüchtcrt, wagte
kein Wort des Erstaunens mehr zu äußern, er trat zwei Schritte
zurück und bat um die Beantwortung seiner gestellten Frage.

„Ich könnte wohl auf diese Frage allein antworten," ent-
gegnete stolz Cagliostro, „doch ich lasse lieber die Somnambule
sprechen. Kommen Sie, ich will Sie zu ihr führen." Und er i
bedeutete dem Grafen, ihm zu folgen.

Die Venetianerin schlüpfte zum zweiten Male aus ihrer
Tapctenthüre und begab sich wieder auf den früher inncgehabtcn
Stuhl. Nicht lange darauf trat auch Cagliostro mit dem Grafen ein.

„Sie schläft," sagte Cagliostro, zum Grafen gewendet,
„sie schläft, treten Sie langsam auf, lassen Sie sich auf diesen
Stuhl dort nieder."

Die Comödie begann zum zweiten Male. Auch jetzt hielt
Cagliostro seine beiden Hände über Lorcnza's Haupt, auch jetzt
begehrte er irgend einen Gegenstand, auch jetzt erzitterte die ;
Somnambule, auch jetzt antwortete sie, doch mit dem Unter-
schiede, daß sie weniger Zuckungen, weniger Grimassen machte
und weniger schrie.

„Was siehst Du, Lorenza?" fragte Cagliostro.

„Ein kleines Städtchen in der Auvergne," war die Antwort.

„Mit Namen?"

„Brisseau."

„Und was siehst Du noch?"

„Ein schönes, jugendliches Mädchen an der Hand eines
jungen Mannes spazieren."

„Wie heißt das Mädchen?"

„Marie."

„Wie. alt?"

„Neunzehn Jahre."

„Und der junge Mann?"

„Zweiundzwanzig."

„Sein Name?"

,,D' Ortalan."

Der Graf machte eine Bewegung.

„Fahre fort," sagte Cagliostro.

„Sie lieben einander, die Beiden, sie schwören für immer
einander gehören zu wollen. Doch der Vater des Mädchens
leidet es nicht. Ein Freund von ihm, Graf Desvans, General-
pächter der Staatsdomänen, hält um die Hand seiner Tochter j
an, sie wird ihm versprochen. ... O, das Mädchen weint, !
es will anfangs nicht cinwilligen, doch der junge Mann er-
mahnt sie, dem Willen des Vaters nicht Widerstand zu leisten, |
sich zu ergeben, wenn auch ihm darob das Herz brechen müsse.. • '
O der Garstige hat sie nicht wahrhaft geliebt!"

„In Wahrheit?" rief der Graf Tesvans mit einem Ruse
der Freude und der Ueberraschung. „In Wahrheit? O sprechen j
Sie weiter!"
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