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Görling, Adolph; Woltmann, Alfred [Oth.]; Meyer, Bruno [Oth.]
Deutschlands Kunstschätze: eine Sammlung der hervorragendsten Bilder der Berliner, Dresdner, Münchner, Wiener, Casseler und Braunschweiger Galerien : eine Reihe von Porträts der bedeutendsten Meister (Band 1) — Leipzig: Verlag von A. H. Payne, 1871

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https://doi.org/10.11588/diglit.62315#0062
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28 / Deutfchlands Kunſtſchätze.

„Aber ich will nur künſtleriſche Wahrheit, Meiſter Rembrandt!“

„Ihr wollt über die Natur hinaus und erreicht ſie nie“, erwiederte Rembrandt. „Sie, nur ſie,
iſt die ewige Mutter aller Kunſt. Sie kann ſchaffen; der Menſch nie. Er kann aus ihren einzelnen
Zügen eine Art Ganzes zuſammenſtoppeln, das nennt Ihr: nach der Phantaſie malen; aber dies
werden Undinger. Ihr könnt nichts geben, als was Ihr der Natur abſchriebt, ſtahlt; das iſt echt,
das iſt vortrefflich, wahrhaft lebendig! Seht dieſe Schnitterinnen, das ſind prachtvolle niederlän-
diſche Mädchen, zum Küſſen, zum Anbeißen; ſie können lachen, ſcherzen, lieben, trinken und unver-
ſchämten Liebhabern Ohrfeigen geben. Was aber gedenkt Ihr, Meiſter Van Dyck, mit dieſer
unvollendeten Hauptfigur im Vordergrunde anzufangen?“

„Es iſt die Königin der Schnitterinnen! Sie iſt die Trägerin des idealen Lebens in meinem
Bilde; ſie erſt ſoll dem gemeinen, alltäglichen Leben den künſtleriſchen Stempel verleihen . . .“

„Ihr wollt alſo jedenfalls ein Unding in das Bild bringen. Dann verlange ich es nicht.“

„Nein, einfach eine ideale Geſtalt“, ſagte Van Dyck, „aber ich habe mir ſie im Geiſte noch
nicht klar genug gemacht, um ſie malen zu können.“

„So geht doch und ſucht Euch Eure Königin der Schnitterinnen. Fangt Euch ein Mädchen,
wie Ihr ſie braucht, portraitirt ſie, und gebt mir dann Eure Moiſſonneurs.“

„Ich brauche ſie nicht zu ſuchen, denn ein lebendes Frauenbild wird dennoch nie an mein
Ideal hinanreichen.“

„O, Prahler!“ rief Rembrandt ſehr aufgeweckt; „ſeht Euch vor, daß Ihr nicht etwa einem
Mädchen begegnet, an welchem Euer Pinſel zu Schanden wird, vor welchem Ihr geſtehen müßt:
meine Kunſt iſt, dieſer Natur gegenüber, todt.“

Van Dyck richtete ſich ſtolz auf. Rembrandt aber nahm lächelnd Abſchied und ermahnte ihn
abermals, ſich ein ſchönes, wirkliches Modell für die Königin der 6 zu ſuchen, und ging
fort. Zu Hauſe angekommen, ſagte er zu ſeiner Frau:

„Kennſt Du Van Dyck?“

„Ich habe ſein Portrait geſehen“, antwortete Jantje.

„Kennſt Du den goldenen Kirchenſtuhl neben dem Herrenſtande in der Kathedrale?“

„Ei, ja, es iſt derjenige des Stadthouders!“

„Gut, ſchmücke Dich und geh gleich zur Kirche. Der Stadthouder und Van Dyck werden
nicht fehlen. Setze Dich ihnen gegenüber und ſorge, daß Mynheer Van Dyck Dich, ſchönes Frauchen,
ſo genau als möglich ſieht. Verſtehſt Du?“

„Aber wozu?“

„Er hat ein Modell nöthig, welches er nicht aus der lieben Gotteswelt, ſondern aus ſeinem
Gehirn holen will. Er wird aber Dich ſehen und, marblex! er wird Dich malen wollen, und wird
Dich auf mein Bild malen. Ich werde dieſem Stolzen eine Schlappe beibringen; ich bin entſchloſ-
ſen, ihm gegenüber Recht zu behalten. Geh, Jantje, ſei liebenswürdig; verſtehe mich: aber nicht
zu ſehr!“

Jantje begriff lächelnd und ſchmückte ſich wie eine Königin, ging zur Kirche und nahm den
verabredeten Platz ein. Van Dyck erſchien ſehr bald an des Bürgermeiſters Seite. Sein Blick
fiel auf das ſtrahlende, blühende Geſicht der Frau des jovialen Rembrandt, welche, ſanft lächelnd,
den blitzenden Blick der Augen des jungen Malers aushielt. Sie ſchien Van Dyck, welcher unge-
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