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Görling, Adolph; Woltmann, Alfred [Oth.]; Meyer, Bruno [Oth.]
Deutschlands Kunstschätze: eine Sammlung der hervorragendsten Bilder der Berliner, Dresdner, Münchner, Wiener, Casseler und Braunschweiger Galerien : eine Reihe von Porträts der bedeutendsten Meister (Band 1) — Leipzig: Verlag von A. H. Payne, 1871

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.62315#0064
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Der Schreibmeiſter.

Von Gerard Dow.

Einen ungemein lieblichen, reizenden Eindruck macht es, wenn man unter den hollandiſchen
Meiſterwerken der Kunſt den Bildern des Gerard Dow begegnet.

Während die Bilder ſeiner Kunſtgenoſſen, das niedere, nicht ſelten rohe Leben mit faſt abſicht-
licher Verſchmähung jeder Veredlung der Figuren darſtellend, ſich drängen, iſt bei Dow Alles voll
zarteſter Harmonie. Sanft und wohlthuend angeſprochen, bewundern wir in ſeinen Gemälden einen
idylliſch milden, wahrhaft poetiſchen Hauch.

Auch Dow band ſich genau an die Wirklichkeit, genauer, als vielleicht irgend ein anderer
Maler. Die geringſten Einzelnheiten ſind bei ihm mit ſtaunenswürdigſter Sorgfalt gearbeitet; er
iſt derjenige Holländer, welcher drei volle Tage nöthig hatte, um einen gewöhnlichen Beſenſtiel
darzuſtellen. Aber eben durch dieſe minutioſe Sorgfalt, durch dieſe vollkommenſte Wiedergabe der
unbedeutendſten Dinge erreichte Dow die bewunderungswürdige Höhe in dem ihm eigenthümlichen
Streben. Er ſtellt das unendliche Behagen der heimiſchen Exiſtenz, den vollen Frieden, die genuß-
reiche Ruhe der Häuslichkeit dar.

Dieſer „Schreibmeiſter“ erſcheint als eine vollendet reine Perle Dow'ſcher Kunſt. Jeder Zug,
jede Linie im Bilde iſt lebendig, und wenn jemals, ſo iſt hier die gemüthlichſte Ruhe, die heiterſte
Selbzufriedenheit mit dichteriſcher Meiſterſchaft gemalt. Es iſt vorzugsweiſe ein Bild, welches keine
kritiſche Beſchreibung erträgt, ſondern empfunden ſein will. Könnten wir daher auf den Inhalt
des Gemäldes mit liebevollerer Genauigkeit eingehen, als dadurch, daß wir, während der Beſchauung
deſſelben, ein Stück poetiſchen Stilllebens hervorrufen? — Wir ſind gewiß, daß wir damit zugleich
die eigenthümliche Stimmung in Dow's Werken bezeichnen.

Gerard Dow konnte nicht, wie die Teniers, Oſtades, Brouwers und Begas die Vorbilder
ſeiner Schöpfungen, den realen Grund ſeiner künſtleriſchen Phantaſie und Conception, in jeder
Dorf- oder Matroſenſchenke finden. Er bedurfte eben ſo eigenthümlicher als anſpruchsloſer Charak-
tere und Situationen, welche ſich zu Trägern der in dem häuslichen Leben ſich ſpiegelnden Inner-
lichkeit eigneten. Ein wahres Prachtoriginal dieſer Gattung fand Dow's ſechzehnjährige Tochter
Duyveke in einem alten, zu einer Armenſchule eingerichteten Franciscanerkloſter. Es befand ſich


gar keine der Kinder des gelobten Landes innerhalb ſeines Weichbildes duldete. Auf dies dunkle
Gäßchen ſahen einige der gewölbten Fenſter des Kloſters, und vor demjenigen, welches am meiſten

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