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Gaudy: Mein Römerzug.
Richters fehlt, und wir können nicht einmal sagen, dafs wir sie
eben vermissen. Die Naturbilder und die aus dem Kreise des
geselligen Lebens und der Gegenwart entlehnten Witze genügen
uns vollkommen. Der Verb thut dem deutschen Publikum wohl
Unrecht, wenn er behauptet, Jean Paul sey vergessen$ das aber
ist wahr, dafs man auf einen Joh. Paulus redivivus nicht recht
gefafst war, und dafs es einige Zeit bedarf, um sich an den Äl-
peniibergang Jean Pauls zu gewöhnen , der bei seines Leibes Le-
ben bekanntlich die Alpen und das gelobte Land hinter ihnen
nicht einmal von weitem, sondern nur im Traume — freilich im
herrlichen Dichtertraume — gesehen hatte. Während Herr Nico-
lai das eine Extrem ultraprosaischer, haus- und zwiebackener
Darstellung italienischer Reiseerinnerungen bildet , stellt Herr v.
Gaudy den andern Pol hyperpoetischer Auffassung dar, und wäh-
rend jenem Sonne und Boden nicht gut genug in Hesperien sind,
malt dieser, mit seines Vorbildes Pinsel, den Himmel blauer als blaii
und die Erde grüner als grün. Zwischen beiden in gerechter
Mitte steht der unmittelbare Vorgänger unseres Reisebeschreibers,
Wolfgang Menzel. Dieser kam weder mit prosaischen noch mit
poetischen Präoccupationen nach Italien; er hat Auge und Ohr
aufgethan, genossen, und in schlichter Schilderung giebt er es
wieder zu sehen, zu hören und zu geniefsen. Unbesorgt spannt
er die Netze seiner Prosa aus und fängt darin Anschauungen,
Bilder und Gedanken, wie sie eben angeflogen kommen, seinem
bekämpften Namensbruder Wolfgang hierin ähnlicher als seinem
von ihm so geliebten Jean Paul. Gaudy aber geht mit dem Letz-
teren auf die stete Bilderjagd , und immer hören wir den Schufs
vorher knallen, eh das Wild fällt. Hat man sich in dieses Treib-
jagen indessen ein wenig gefunden, so unterscheidet man bald
von der Manier den Gehalt, und während man die erstere all-
mählig vergifst oder vielmehr sich angewöhnt , zeigt sich hinter
ihr ein Schatz von interessanten Wahrnehmungen, frappanten
Wahrheiten und würdigen Gefühlen, und unter jenem Bilder-
firnisse selbst schöne, lebendige, in natürlichen Farben glän-
zende Gemälde. Rec. wäre unwahr und undankbar, wenn er
nicht gestände, dafs er die drei Bände mit nie sich verlierendem
Interesse, mit Lust und selbst mit steigendem Appetit durch-
mustert hat.
(Der Besch lufs folgt.)
Gaudy: Mein Römerzug.
Richters fehlt, und wir können nicht einmal sagen, dafs wir sie
eben vermissen. Die Naturbilder und die aus dem Kreise des
geselligen Lebens und der Gegenwart entlehnten Witze genügen
uns vollkommen. Der Verb thut dem deutschen Publikum wohl
Unrecht, wenn er behauptet, Jean Paul sey vergessen$ das aber
ist wahr, dafs man auf einen Joh. Paulus redivivus nicht recht
gefafst war, und dafs es einige Zeit bedarf, um sich an den Äl-
peniibergang Jean Pauls zu gewöhnen , der bei seines Leibes Le-
ben bekanntlich die Alpen und das gelobte Land hinter ihnen
nicht einmal von weitem, sondern nur im Traume — freilich im
herrlichen Dichtertraume — gesehen hatte. Während Herr Nico-
lai das eine Extrem ultraprosaischer, haus- und zwiebackener
Darstellung italienischer Reiseerinnerungen bildet , stellt Herr v.
Gaudy den andern Pol hyperpoetischer Auffassung dar, und wäh-
rend jenem Sonne und Boden nicht gut genug in Hesperien sind,
malt dieser, mit seines Vorbildes Pinsel, den Himmel blauer als blaii
und die Erde grüner als grün. Zwischen beiden in gerechter
Mitte steht der unmittelbare Vorgänger unseres Reisebeschreibers,
Wolfgang Menzel. Dieser kam weder mit prosaischen noch mit
poetischen Präoccupationen nach Italien; er hat Auge und Ohr
aufgethan, genossen, und in schlichter Schilderung giebt er es
wieder zu sehen, zu hören und zu geniefsen. Unbesorgt spannt
er die Netze seiner Prosa aus und fängt darin Anschauungen,
Bilder und Gedanken, wie sie eben angeflogen kommen, seinem
bekämpften Namensbruder Wolfgang hierin ähnlicher als seinem
von ihm so geliebten Jean Paul. Gaudy aber geht mit dem Letz-
teren auf die stete Bilderjagd , und immer hören wir den Schufs
vorher knallen, eh das Wild fällt. Hat man sich in dieses Treib-
jagen indessen ein wenig gefunden, so unterscheidet man bald
von der Manier den Gehalt, und während man die erstere all-
mählig vergifst oder vielmehr sich angewöhnt , zeigt sich hinter
ihr ein Schatz von interessanten Wahrnehmungen, frappanten
Wahrheiten und würdigen Gefühlen, und unter jenem Bilder-
firnisse selbst schöne, lebendige, in natürlichen Farben glän-
zende Gemälde. Rec. wäre unwahr und undankbar, wenn er
nicht gestände, dafs er die drei Bände mit nie sich verlierendem
Interesse, mit Lust und selbst mit steigendem Appetit durch-
mustert hat.
(Der Besch lufs folgt.)