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Nr. 36. HEIDELBERGER 1846.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.

Zur Gescliiclitsliteratur der Schweiz.

(Schluss.)
Der Verfasser stellt sich nicht über alle Parteien; denn in seinem Va-
terlande, sagt er, ist es keinem mehr erlaubt, so vornehm zu seyn,
er wolle sich denn in sein Studirzimmnr einschliessen. Dieser Standpunkt
ist, um eine laufende und verständliche Redensart zu gebrauchen, der
liberal-konservative, der bürgerlich-aristokratische,
welcher Reform nach historischen Momenten, nicht Revolution nach
abstrakt-idealen, den geschichtlichen Prozess ignorirenden Principien er-
strebt und scharfe Gegensätze hasst. Für den Geschichtschreiber,
weniger für den Staatsmann, Bürger und Feld her rn, ist eine ge-
rechte Mitte — ein juste milieu — der Art sicherlich zweckmässig,
wenn auch nicht alleingültig und ausschliessend richtig; schwierig aber
wird die Stellung, wenn das theologische Element in die politisch —
historische Betrachtungsweise eindringt und hier ihre Rechte geltend
macht. Denn in einem solchen Fall regt sich bei einem sonst tüchtigen,
geistvollen und gründlichen Beobachter sogleich, wie das Sprüchwort lau-
tet, der alte Adam; der moralisirende und abkanzelnde Theolog setzt
sich an die Tafel und verzehrt Stück vor Stück den Historiker. Diess
geschieht um so leichter, je häufiger und unverschämter die religiös-
kirchliche Koketterie oder Gefallsucht hervortritt und in den bürger-
lich-geschichtlichen Entwickelungsgang der Völker legislativ einzugreifen
sucht. In der k a t h ol is c h e n Welt geschieht das vornämlich durch die
Jesuiten, in der protestantischen durch die üb er gläubig
Frommen. Letztere schwatzen und handthieren für den christlichen
Staat, den Teutsch-christlichen Gottesstaat, wie wenn man bisher
Ileidenthum und keine mühsam bewerkstelligte evangelische Union
besessen hätte. Dieser theologisch-sittliche Beigeschmack eines
Predigers in der Wüste tritt nun auch in den sonst trefflichen Vor-
lesungen IIOttingers hervor und gibt dem historisch-politischen Bo-
den bisweilen eine breiartige, hemmende Weichheit. Urtheile und Rä-
sonnements des Geschichtschreibers sollen in der Regel nur den Staat,
XXXIX. Jahrg, 4. Doppelheft.

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