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Heffter: Geschichte der lateinischen Sprache.
ben christlichen Glaubensmuthe und derselben Ueberzeugungstreue bewah-
ren, mit welchen es ihre Väter gewonnen haben.
Die Geschichte der lateinischen Sprache während ihrer Lebensdauer.
Von Dr. HI. W. Heffter, königl. Professor und Prorector am
Gymnasium zu Brandenbtirg a. H. Zugleich eine nothwendige Zu-
gabe zu jeder lateinischen Grammatik, zu jedem lateinischen Wör-
terbuche und zu jeder Geschichte der römischen Literatur. Bran-
denburg a. H. Verlag von J. Wiesike. 1852. VII. 196. 8.
Die lateinische Grammatik beginnt in ein neues Stadium zu treten.
Vor einigen Decennien ging ihr Bestreben vorzüglich darauf aus, den
Stoff so vollständig als möglich zu geben, und ibn kritisch zu prüfen und
zu sichten. Wo die Gesichtspunkte, unter welche sich die Masse des
Empirischen zu einer Einheit zusammenfügte, sich nicht von selbst erga-
ben, da mussten sie logischen Kategorien entnommen werden. So ent-
stand ein äusserer Schematismus, in welchem das Einzelne zwar seine
Stelle fand, und einem wohlgegliederten Ganzen anzugehören schien, aber
die Principien waren von Aussen hergeholt, sie waren die Rahmen, mit
denen man das Gebilde der Sprache umschlossen hatte, sie waren bald
zu eng, bald zu weit und begriffen daher eine Menge von Erscheinungen
nuter sich, die aus ihnen nicht erklärt, unter sie nicht subsummirt werden
konnten, eine Menge von Ausnahmen, welche den aufgestellten Regeln
trotz boten und sie zu Schanden machten. Sie waren mit einem Worte
fremd, nicht die Formen selbst in ihrer Bewegung und Entwicklung, son-
dern Abstractionen derselben, zu denen man auf dem Wege verstandes-
mässiger Reflexion gelangt war. Eine zweite Hauptrichtung musste sich
daraus ergeben, dass man als Norm der Spracberscheinungen diejenigen
aufstellte, welche man in den erhaltenen Schriftdenkmälern am meisten
vorfand. Aus diesen konstruirte man das Ganze; was vereinzelt vorkam,
mochten in ihm auch die letzten Reste des ursprünglichen Organismus ent-
halten sein, trat in den Hindergrund und verlor sich in dem Dunkel der
Anomalie. Noch härteres Urtheil erging über die Zeit der Sprache, wel-
che den klassischen Producten vorauslag. Hier war Rauhheit, Unbehol-
fenheit, noch nicht die vollendete Entwicklung der Formen. Anders ward
es, seitdem ein festes Fundament auch für die lateinische Grammatik in
der vergleichenden Indogermanischen Sprachwissenschaft gelegt wurde.
Die lateinische Sprache ward nicht mehr auf sich selbst gestellt oder nicht
Heffter: Geschichte der lateinischen Sprache.
ben christlichen Glaubensmuthe und derselben Ueberzeugungstreue bewah-
ren, mit welchen es ihre Väter gewonnen haben.
Die Geschichte der lateinischen Sprache während ihrer Lebensdauer.
Von Dr. HI. W. Heffter, königl. Professor und Prorector am
Gymnasium zu Brandenbtirg a. H. Zugleich eine nothwendige Zu-
gabe zu jeder lateinischen Grammatik, zu jedem lateinischen Wör-
terbuche und zu jeder Geschichte der römischen Literatur. Bran-
denburg a. H. Verlag von J. Wiesike. 1852. VII. 196. 8.
Die lateinische Grammatik beginnt in ein neues Stadium zu treten.
Vor einigen Decennien ging ihr Bestreben vorzüglich darauf aus, den
Stoff so vollständig als möglich zu geben, und ibn kritisch zu prüfen und
zu sichten. Wo die Gesichtspunkte, unter welche sich die Masse des
Empirischen zu einer Einheit zusammenfügte, sich nicht von selbst erga-
ben, da mussten sie logischen Kategorien entnommen werden. So ent-
stand ein äusserer Schematismus, in welchem das Einzelne zwar seine
Stelle fand, und einem wohlgegliederten Ganzen anzugehören schien, aber
die Principien waren von Aussen hergeholt, sie waren die Rahmen, mit
denen man das Gebilde der Sprache umschlossen hatte, sie waren bald
zu eng, bald zu weit und begriffen daher eine Menge von Erscheinungen
nuter sich, die aus ihnen nicht erklärt, unter sie nicht subsummirt werden
konnten, eine Menge von Ausnahmen, welche den aufgestellten Regeln
trotz boten und sie zu Schanden machten. Sie waren mit einem Worte
fremd, nicht die Formen selbst in ihrer Bewegung und Entwicklung, son-
dern Abstractionen derselben, zu denen man auf dem Wege verstandes-
mässiger Reflexion gelangt war. Eine zweite Hauptrichtung musste sich
daraus ergeben, dass man als Norm der Spracberscheinungen diejenigen
aufstellte, welche man in den erhaltenen Schriftdenkmälern am meisten
vorfand. Aus diesen konstruirte man das Ganze; was vereinzelt vorkam,
mochten in ihm auch die letzten Reste des ursprünglichen Organismus ent-
halten sein, trat in den Hindergrund und verlor sich in dem Dunkel der
Anomalie. Noch härteres Urtheil erging über die Zeit der Sprache, wel-
che den klassischen Producten vorauslag. Hier war Rauhheit, Unbehol-
fenheit, noch nicht die vollendete Entwicklung der Formen. Anders ward
es, seitdem ein festes Fundament auch für die lateinische Grammatik in
der vergleichenden Indogermanischen Sprachwissenschaft gelegt wurde.
Die lateinische Sprache ward nicht mehr auf sich selbst gestellt oder nicht