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Neueste Literatur auf dem Gebiete der antiken Vasenkunde.

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sondern Helena, welche die Ursache des ganzen Leides, nun da-
vonschreite an der Hand des frühem Gatten.
Die ganze Darstellung erweckt bei wiederholter Betrachtung
erneute Freude an der wahrhaft künstlerischen Behandlung des
Ganzen, an der einheitlichen und doch wieder so fein sich corre-
spondirenden Gliederung, die nicht darauf ausgeht eine Reihe ein-
zelner, bekannter Scenen des Unterganges locker aneinander zu
reihen, sondern den erschütternden Vorgang in gewaltigen Zügen
vorzuführen. Brunn hat darauf mit vollem Rechte aufmerksam
gemacht. Ich möchte hier nur noch darauf hinweisen, wie die
beiden Seiten zugleich so trefflich contrastiren ; hier noch der letzte
verzweifelte Kampf, der die Leidenschaft der Heldenfrau zur ge-
waltigen That hinreisst, dort völlige Wehrlosigkeit, völliges Leiden
des untergehenden Hauses. Deshalb erscheint mir aber auch die
Auffassung der fortgeführten Frau als Helena als eine verstandes-
mässig wohl gerechtfertigte, aber künstlerisch hier nicht begrün-
dete, abgesehen davon, dass wir die Begegnung der Helena und
des Menelaus mit durchaus anderer Motivirung durchgängig dar-
gestellt finden. Nein, ist es nicht hier ein einfaches Ausklingen
des ganzen Leidens: »und die Fürstentöchter werden in Gefangen-
schaft geführt«? Hier ist kein leidenschaftliches Pathos mehr an-
gebracht, wie dort auf der andern Seite in der davoneilenden Frau,
es ist ein schmerzvolles Zurückblickeu, aber passives sich Fort-
führen lassen, wie es Christodor (Ecphras. 200) so schön an Po-
lyxena schildert: αεδομένη μεν αλίγκεος άλ£ ενί &νμω πέν&ος
εχει,ς. Und trefflich schliesst hier Anfang und Ende zusammen:
dort ein Entkommen des jungen Trojaners in hastiger Flucht, hier
das stille Loos der Gefangenschaft der troischen Töchter. Dass
jener Enteilende derselbe sei, der dann von Neoptolemos hinge-
schleudert wird, wie Heydemann glaubt, fällt natürlich bei der
einheitlichen Auffassung weg. Dass weiter mit Brunn die Doppel-
beziehung: Volk und Fürstenhaus bat scharf hervorgehoben werden
sollen, das glaube ich, ist nicht für die Gesammtauffassung nöthig.
Warum sollen wir nicht auch auf der andern Seite eine Kampf-
scene aus dem Bereiche der troischen αριβτήες annehmen? Wie
wir aus der Odyssee (VIII, 518) den gewaltigen Kampf um Dei-
phobos Haus, dem Helena nach Hektors Tod zugefallen war, in wenig
Worten erwähnt finden, seine Gestalt und dessen Kampf in Erz
verkörpert später im Zeuxippos zu Byzanz stand (Christodor Ecphr.
1 ff.), wie Polites nach dem Vater Priamos selbst niedergestossen
wird, wie wir aus Vergils Schilderung eine Reihe einzelner Kampf-
scenen kennen, so mag ein solcher letzter Verzweiflungskampf An-
dromaches nicht der Sage fremd gewesen sein. Ihr Sohn wie ja
z. B. bei Euripides (Troad. 710 ff.) erst später unmittelbar vor
der Abfahrt von Troia ihr entrissen, war also vorher beim Mor-
den gerettet. Und liegt nicht gerade in der herrschenden Fassung
der Sage, dass Andromache dem Neoptolemos zugesprochen wird,
 
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