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Die Sybel-Hüffer’Bche Kontroverse.

Sybel’s Ansichten, ebenso wie die seines Freundes L. Häusser, vor
Eröffnung der Wiener Archive keinen Anspruch auf absolute Gel-
tung hatten, ist von Sybel wie von Häusser selbst bereitwillig zu
jeder Zeit zugestanden worden. Die ersten Früchte des neu er-
wachten Liberalismus, der seit 1864 in der Verwaltung der öster-
reichischen Archive sichtbar geworden ist, hat jedoch nicht Sybel,
sondern einer seiner Bonnei’ Kollegen H. Hüffer gepflückt. Es war
ihm vergönnt, auf dem geheimen Haus- und Hof-Archiv zu Wien
die auf die Verträge von Leoben und Campoformio bezüglichen
Papiere einzusehn, ebenso wie er zu Berlin die Korrespondenzen
Luchesini’s, Caesar’s, Sandoz, Rollin’s und zu Paris den Briefwechsel
des Wohlfahrtsausschusses und des Direktoriums mit Barthelemy
und Caillard einzusehn Gelegenheit hatte. Gestützt auf diese Ar-
chivalien hat Hüffer in seinem Buche »Oestreich und Preussen
gegenüber der Revolution« der Darstellung Sybel’s, wie L. Häusser’s
in einigen wichtigen Punkten lebhaft widersprochen. Sybel hat
erwiedert, Hüffer hat replicirt, und zuletzt hat Sybel, dem mittler-
weile auch die Einsicht in das Wiener Archiv gestattet worden
ist, seine Ansichten in dem Essay »Polens Untergang und der Re-
volutionskrieg« theils modifizirt, theils näher bestimmt, auf unhalt-
bare Positionen verzichtet, andere Behauptungen dagegen fester
begründet und aufrechterhalten. Zu den an Sybel aufgegebenen
unhaltbaren Positionen rechnen wir die Behauptung, dass Leopold II.
den polnischen Staatsstreich vom 3. Mai 1791 durch Intriguen
vorbereitet und gefördert habe, während der Kaiser vielmehr durch
das Ereigniss vollkommen überrascht wurde und nach Sybel’s eige-
nem Zeugniss darin eine Frucht preussischer Intriguen gesehen hat
(Geschichte der Revolutionszeit S. 271). Sybel hat denn auch diese,
hauptsächlich von Herrmann lebhaft angefochtene Argumentation
fallen lassen, und ist sogar soweit gegangen seinen Beweis als
einen »hypothetischen« hinzustellen d. h. preiszugeben. Anders
steht es mit der Sybel’schen Ansicht von der freiwilligen
Räumung Belgiens durch die Oestreicher, welche einen
Hauptgegenstand der Polemik zwischen ihm und H. Hüffer aus-
macht. Beeilen wir uns, als ein Verdienst Sybel’s anzuerkennen,
dass er auf eine Strömung in der Wiener Politik aufmerksam ge-
macht hat, welche für das Aufgeben Belgiens war. Die Nieder-
lande galten als ein dem Kaiser durch die Seemächte übertragener
Besitz, als eine Position gegen den Ehrgeiz Frankreichs, die jene
—· die Seemächte — mit zu schützen , aber auch mit zu beein-
flussen hatten. Weit entfernt von der Hauptmasse der Habsburgi-
schen Monarchie, ein Gegenstand der Sorge bei jeder im Westen
aufsteigenden Kriegsgefahr, befanden sich die belgischen Lande
auch innerlich in einer Verfassung, welche die Wiener Machthaber
mit Unruhe und Missmuth erfüllte. In Gesetzgebung, Gerichtswesen
und Finanzen bewahrten sie eine spröde Selbstständigkeit: der
Aufstand gegen Josef II. hatte bewiesen, wie energisch sie dieselbe
gu wahren entschlossen waren«
 
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