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Die Sybel-Hüffer’sche Kontroverse.

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Seit Kaunitz*) fehlte es unter den östreichischen Staats-
männern nicht an Solchen, welche diesen lästigen, weit ent-
legenen Besitz lieber gegen einen näheren, bequemer gelegenen,
etwa gegen Baiern ausgetauscht hätten. Während des Feldzugs
von 1794 war die Vertheidigung Belgiens gegen die Franzosen
eine so lässige und kopflose, dass schon damals, zunächst von eng-
lischer Seite, der Verdacht aufsteigen konnte, jene anti-belgische
Partei habe im Rath des Kaisers Franz II. gesiegt, und den Be-
schluss: Belgien zu räumen, durchgesetzt. Diesen Verdacht be-
müht sich nun Sybel zur Gewissheit zu steigern, indem er nach-
weist, dass die Eifersucht gegen Preussen und die Sorge um pol-
nische Vergrösserungen den Blick der österreichischen Staatslenker
vom westlichen Kriegsschauplatz nach dem Osten abgelenkt habe.
Nach der Schlacht bei Tourcoing sei der Beschluss zur freiwilli-
gen, wenn auch langsamen Räumung des Landes von Kaiser Franz,
Thugut und Waldeck gefasst worden. Mit Berufung auf das Zeug-
niss von Friedrich Gentz (Briefe von Pilat hsggb. v. K. Mendels-
sohn-Bartholdy II S. 2. 1868) bezeichnet Sybel den 24. Mai als
den Tag, wo zu Tournay die Räumung Belgiens beschlossen wor-
deu sei (Ergänzungsheft zur Geschichte der Revolutionszeit 1868.
S. 28). Gewiss: die von Sybel beigebrachten Anklagemomente
dürfen nicht unterschätzt werden. Gewiss: die Aeusserungen Thu-
guts, die er Lord Elgin gegenüber nach der Schlacht bei Tourcoing
fallen liess, lauten sehr gravirend. Der östreichische Minister er-
klärte: »es scheine zweifelhaft, ob der Besitz der Niederlande wei-
tere Anstrengungen überhaupt noch verdiene, ja, es sei nicht seine
Schuld, dass der Kaiser nicht mit der Räumung Belgiens den Feld-
zug angefangen habe.« Gewiss: es existirte eine Partei am Wiener
Hofe, welche für das Aufgeben Belgiens agitirte. Allein es scheint
uns, dass Sybel den Einfluss dieser Partei übertreibt und in dem
Bemühen, Alles aus politischen Motiven herzuleiten, allzuwenig
Gewicht auf den militärischen Point d’honneur legt, welcher im
östreichischen Hauptquartier lebte. Mit der Behauptung, dass am
24. Mai durch förmlichen Kriegsrath die Räumung Belgiens be-
schlossen (declaröe et decidöe) ward, verträgt sich der Umstand
nicht, dass nachher bei Tournay und bei Fleurus noch blutige
Schlachten um den Besitz der Niederlande geschlagen worden sind,
dass im Kriegsrath zu Braine la Lend auf eine misstrauische An-
frage der Engländer hin, Erzherzog Karl und seine Generäle ihr
feierliches Ehrenwort abgaben: »es existire kein Befehl des
Kaisers, die Niederlande zu verlassen oder einen beschleunigten
Rückzug anzutreten; als Ehrenmänner fühlten sie sich verpflichtet,
das Land soweit es in menschlichen Kräften liege und bis auf’s
*J „Wird nun noch die Wiedereroberung Schlesiens und der Grafschaft
Glatz mit in die Wagschaale gelegt, so wäre der Verlust der Niederlande
für den grössten Gewinn zu rechnen und dem durchlauchtigsten Erzhause
könnte Nichts Glück.icheres und Erwünschteres widerfahren.“ (Worte von
Kaunitz.)
 
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