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Heidelberger Volksblatt (1) — 1868

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Nr. 1 - Nr. 6 (10. Juni - 27. Juni)
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ſehen, — er hatte ſie aufgeſucht. Und a
Mutter gefunden, als er in ihrem⸗ Blicke Wertehmn

geleſen, an ihrer Bruſt geruht, da ſchmolz das erſtarrte

Herz, und er weinte wie ein Kind. Seine Seele ſchüt-

telte gleichſam die dazwüſchen liegenden. Zeiten abund
fühlte ſich zurück in die Zeit, wo er, in unſchuldigem
Frieden, außerhalb: dieſer. Wände nichts kannte. Aber

die Erinnerung kehrte wieder, er ſeufzte tief, rang die
Hände und ſchlug ſich an die Bruſt. Aber ſie löſite
ſanftindie krampfhaft⸗ zuſammengepreßten Finger; don
einander, trocknete ſeine ſeuchte Stirn und lehnte ſei-
Haupt an ihr Herz. Vielleicht war ſie ſich ſelbſtnicht
aller der liebevollen, tröſtenden Worte bewußt, die von
ihren Lippen floſſen, wie ein Wiegengeſang ſeiner Lei-
den; aber nach und nach hatte ſie den Troſt, ihn ſchluch-
zen zu⸗ hören, ſein Auge ſucht ihr Auge, ſeine Arme
drückten ſie an ſeine Bruſt, und der-Ausdruck in ſei-
nem Geſicht hatte ſich aus einem Fluch⸗ in einen Se-
gen verwandelt. Da⸗wagte ſie es, von einem tugend-
haften Leben, von einer Verſöhnung zu ihm zu reden.

5Gedenke, Mutter! Deiner eignen Worte!“ unter-

brach er ſie wild, „die Menſchen laſſen ſich nie ver-

ſöhnen, eine ſchlechte That läßt ſich nie wieder gut
machen, — und ich — mit Schande bedeckt,
markt⸗ für ewig —
„Ja, gedenke meiner Worte!“ erwiderte ſie; „die
Menſchen laſſen lſich nie verſöhnen,

ſchrecklich zu ertragen iſt; aber wer irre gegangen, muß

mühſam den rechten Pfad wiederzufinden ſuchen. Aber

willſt Du denn, Richts Gottes wegen thun? Willſt Du

nicht der Sünder ſein, worüber Freude iin Himmel
Komm, mein Sohn, laß uns arbeiten;'der Ver-
dienſt 4il hier nicht Geld' und Ehre, nein, wir ſelbſt
In der

iſt? 7

ſind es, die wir uns wieder gewinnen ſollen.
Arbeit liegt' viel, — Zufriedenheit und Seeligkeit, ja

ein großer Segen ſür die Seele liegt⸗ darin; wir wol⸗ ö

len arbeiten.“

„Ja, arbeiten“, wiederholte er finſter, „wer würde

mir Arbeit anvertrauen. wollen 23

„Ich will Dein Bürge ſein,“ antwortete ſie, „und

Niemand wird Dir Arbeit verweigern. Wenn Du
verzagen willſt, bin ich bei Dir;

Kinder, Alles für Dich ſein“.
„Meine Frau“, ſagte er zögernd. „ie will much
nicht mehr anerkennen z. ſie hat ſich von mir ſcheiden
laſſen, hat. mir meinen eurhrten Namen amiſck ge-
geben.“
„Die Schande des Mannes ſallt ſdwer auf die
Gattin!“ ſagte die Mutter mit abgewandtem Ceſicht.
„Und meine Kinder!“ fuhr er fort, „ja meine
Kinder!“ und ein Ausbruch des Schmerzes begleitete
dieſe Worte; „o, was habe ich gethan! Mutter! kann
ich ſie nie mehr wiederſehen?ꝰ ?
„Ja, mit Gottes Hilfe!“ antwortete ſie und blickte

gen Himmel; aber es lag Etwas in ihrer Stimme,

das den Sohn mit Verzweiflung traf.
„Ich verſtehe Dich, Mutter!“ flüſterte er und warf

gebrand-

aber Gott kann
vergeben. Ich weiß es wohl, daß ein Leben in Schande ö

heryorbrachte.

ich werde Gattin,

ſich wieder an ihre Muuſtzr „Du allein biſt mir noch
hier auf Erden geblieben!
Und nun kamen die Tage der Arbeit, und die
waren ſchwer und mühſelig. Der Blick der Menſchen
war ihm verhaßt, und was war ihm die Arbeit? Eine
traurige, ermüdende Anwendung⸗ der Zeit, die zwar
einen geringen Vortheil brachte, aber weder Verdienſt
in den Augen Anderer, noch di
der gab. Bisweilen kam verzweifelt, müde, hoff-
nungslos heim zu ihr, die Alles ihm trug; wie
viele Geduld, Nachſicht, Milde, kurz wie viele Mutter-
liebe gehörte dazu, um die Verzagtheit in Muth, die
Hoffnungsloſigkeit in Vertrauen, die Verzweiflung in
Thränen und den Lebensüberdruß inen beruhigen-
den Blick auf das. Grab zu verwandeln. Und dazu
noch die bange Furcht, daß er einen unheilbringenden
Entſchluß faſſen möchte, der das begonnene Wert wie-
der der Vernichtung anheimfallen ließe; mit bebendem
Herzen lauſchte ſie in den langen Nächten ſeinen raſt-
loſen Schritten; ängſtlich erwartete⸗ſie, wenn er fern
von ihr war, den Augenblick der Wſte ſelt ihr ganzes
Leben ging in ſeinem Leben auf, ſie ſelbſt war der
Verbrechér, der reüevolle, verzweifelte Berbrecher, deſ-
ſen Schritte ſie bewachte. —
Es wurde faſt ruhig in ihrem Herzen, als er hin-
ſank aufs Krankenlager; was waͤren die körperlichen
Leiden gegen den nagenden Schmerz der Seele? Und
er ſelbſt wurde ruhiger, als er fühlte, daß die Rech-
nung mit der Welt. abgeſchloſſen war, er wurde matter,
ſtiller, ſanfter. Es war ihm, als kehrten ihm die
Jahre der Kindheit wieder, da ſie, die Mutter, ihm
Eins und Alles war. Sein Blick folgte ihr überall,
ſeine Stimme rief ſie, wenn ſie von ihm ging, ſein
Lächeln grüßte ſie, wenn ſie kam. Dieſer Schimmer
von Glück erquickte das gequälte Mutterherz; aber ſie
durfte nicht um ſein Leben bitten; daß es ſein Sterbe-
lager war, das war es a eigentlich, was dieſes Glück
Aber wie wachte ſie über ihn, wie hü-
tete ſie ſeinen Schlummer, wie prägte ſie ſich jeden
ſeiner Züge ein! Sie ſah nicht die fahle, bleiche
Wange, die hohlen Augen, die eingefallene Stirn; für
ſie war kein Unterſchied zwiſchen dieſen Zügen“ und
dem Geſichte das zu ihren Füßen geſpielt hatte. Die
Jahre, das war das Ganze, — ſonſt war ihr Alles
wie früher. Und da die letzten Segenswünſche auf
ſeinen Lippen verſtummt waren, da ſank fie zufammen,

wie vom Hauche des Todes berührt, — ihr Tagewerk
war vollbracht.
erfüllen; ſie führte die Kinder zu ſeinem Grabe und
ſprach mit ihnen von dem geſtorbenen Vater, erzählte

Nur eine Pflicht noch hatte fie zu

ihnen von ſeinem Verbrechen und von ſeiner Wieder-

kehr zum Guten, — und dann ging ſie heim, eine einſame
Wittwe, eine kinderloſe Wer eine Dienerin, die
ihr Werk —— —— bat. .
 
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