Der Graben zieht ſich an einem waldbewachſenen
Berge hin; damals — ich will nichte zurück iefleetiren
und frühere Tage mit angedichteten Empfindungen ver-
golden — ergriff uns nicht die romantiſche Lage des
Berges, von dem aus die ganze⸗Stadt ſichie ein Pa-
noram hausbreitet und gewiß einen freundlichen Anblick
bietet, auch nicht das Säuſeln und Rauſchen des Wal-
des der Eichendorff'ſche ſtille Wieſengrund er war uns
damals- nur deßhalb liebzund werth, weil er uns Holz
zu unfern Mühlen lieferte, die egt mit emſiger Ge-
ſchäftigkeit in unſerm Graben ö
Ein ſtämmiger, robuſter Knabe, mit illge,
that ſich darin beſonders hervor ma
Mühlen und beanſpiuchte
m Lillge,
or, mächte vie gangbarſten
Ohrrmühle allein zu häben, was vft zu argem Conflict
führte, wenn er uns diiich „Schützen“ das untere Mahl:
wäſſer abzuſchneiden ſuchte. An ihn mußté ich denken
und in die Sehnſucht nach der
derzeit miſchte“ ſich
noih ein anderes Geſutt die chnui i den ſh.
lenden Freund. Wir konnten tranlich Händ in Hand
dieſe goldene Träume nicht mehr zurückträumen. Er
war todt.
Ein Jugendfreund iſt ein unendlicher Schatz; fin-
den wir ihn nach langem Lebensirren wieder, dann
guillt doppelt friſch und melodiſch die Erinnerung frü-
herer Tage qus dem Herzen. Das Wiederfinden eines
Jugendfreundes iſt ein lieblicher Schluß des Lebens-
märchens; es dünkt uns dann Alles, was da kam, ſo
harmoniſch, ſo ineinanderſchließend, weil wir an einem
Herzen ruhen, das uns das reinſte Verſtändniß unſers
vergangenen Lebens gewähren klann.
Mein Genuß der Erinnerurgem hatte eine Lücke durch
das Hinſcheiden des Freundes. Aus der Schule war
er durch unſers Rectors Empfehlung, weil er ein offener
Kopf war, zu einem Apotheker in die Lehre gekommen.
Er hatte bereits ausgelernt, da erhielt ich plötzlich die
Nachricht, daß er, wahrſcheinlich am unvorſichtigen Ein-
athmen von Gift, geſtorben. Ich ſah damals die
Mutter wankend⸗gebrochen zum Begräbniß ihres Sohnes
reiſen, weiter erfuhr ich nichts mehr.
zu. Da kommt mir ein einſomer Waller antgegen.
Ich blickte auf, und waren es die Gedanken an den ge-
„So in Gedanken verſunken, wanderte ich der Stadt
ſtorbenen Freund, die mich allzulebhaft beſchäftigt,
oder war es ein Spiel der Natur, ich mußte, von der
Aehnlichkeit des Fremden mit dem Geſtorbenen frappirt,
Dieſelben dunkel blitz-
einen Augenblick ſtehen bleiben.
enden Augen, die glatte Stirn und römiſche Naſe, ja
ſelbſt der Gang erinnerte mich an meinen Freund.
Nur das Haar des Fremden hing ſchlicht und ſchnee-
weiß um die Stirn, während ſonſt das braune Geſicht.
des Freundes ein glänzend ſchwarzes Haar umrahmte.
Der Fremde blickte ebenfalls auf und lag plötzlich
mit einem Ausruf der Freude mir in den Armen. —.
„Rudolf! Rudolf! erkennſt Du mich denn nicht, oder
willſt Du mich nicht erkennen? Ich bin ja Lillge —
Heinrich Lillge!“ — Ich wich unwillkürlich, von dem
Spotte oder dem Blödſinne des Fremden peinlich be-
rührt, zurück und erwiederte;: „Lill
eiſt todt — mein
Herr; — aber wer ſind Sie? — ich finde —“
Er ſchien betroffen, ließ die Arme ſinken, ſtrich die
Haare von ſeiner Stirn zurück und ſagte: „Kennſt Du
die Schwarren nicht, die ich von unſerm Mühlenbau
da erhielt? Auch Du willſt mich nicht kennen? — Ich
ſühl' es wohl, wer einmal eingeſargt, der darf nicht
leben!“ ö
„Freund! iſt es möglich, Du lebſt?“ Jetzt war
u öffnen.
es an mir, ihm meine Ar
„So ſchauderſt Du nicht vor mir zurück, Du al-
ter Getreuer?“ ſagte er weich und rührend, und ich
kann meinen Schme neiner empfindenden
Bruſt ausweinen!
„Aber ſage I ir nür,
erſtanden?“ rief ich aus, nac
Erſtaunen erholtrtee. ö
„Alles ſollſt Du wiſſen!“ unterbrach mich der
Freund. „Laß uns wieder in's Freie wandern, nur
nicht in die Stadt! Dort fühl' ich mich noch einmal
begraben. Ich bin dem Tode entronnen und nur an
wie biſt Du vom Tode
ich mich von meinem
ö dieſem weißen Haar hat er mich gezeichnet.“
„Du weißt, ſo erzählte nun der Freund, „däß ich
von der Schule ſofort in jene Apotheke kam. Ich
lerute und gewann mir! das Vertrauen des Prinzi-
pals und, was mich noch unendlich mehr.beſeligte, die
Liebe ſeiner Tochter, auf die der Vater mit bewilli-
genden Augen blickte. Was ſoll ich von dieſen Tagen
erzählen? Ich darf nicht ian das Glück jener Stun-
den denken, denn es liegt zertrümmert . Eines
Abends ſaß ich an der Seite meiner jungen Braut,
wir malten uns ein zauberiſches Stillleben; ſie ſang
mir mit ihrer ſchinelzenden Stimme eines ihrer hüb-
ſchen Lieder zum naheſtehenden' Clavier. Da traf es
plötzlich meine Bruſt wie ein vernichtender kalter
Schlag, der ſich in ſtarken Wellen über den übrigen
Körper breitete und ihn völlig kähmte. Die Sprache
verſagte mir, eine Todeserſtarrung folgte. Nur ver-
worren ſind die Bilder, die mir aus dieſem Zuſtande
geblieben. Ich fühlte nur noch die warme, helfen-
wollende Hand meiner Geliebten, die übrige Welt
war mir verſchleiert. Ich hatte nuri ein halbes Be-
wußtſein . .. Man hielt mich für todt. Meine
Braut wich nicht von meinem Lager — ich ſah wie
aus weiter Ferne ihr in Thränen gebadetes Antlitz,
fühlte ihren brennenden Kuß, ihre Thränen auf mei-
nen Lippen. Ich hätte aufſchreien- mögen, und doe
lag ich in Todesbanden gefeſſelt und mein Wollei.
machte die wie mit Blei ausgegoſſenen Adern nich!
flüſſig. Glaube mir, das Leben iſt kein Traum, denn
der Tod, dieſer Schlußſtein deſſelben, iſt rauhe, fürch-
terliche Wirkſamkeit! Es heißt den Tod leben, dies
bewußte Gelähmtſein des Körpers, dies vergebliche
Ringen aus den eiſernen Armen der Erſtarrung. Ich
fühlte, ein einziges Zucken der Lippe löſ'te den Zau-
ber, ließ mich wieder den lichten Tag des Lebens, den
blauenden Himmel in den Augen meiner Geliebten
finden, und doch vermochte ich nichts über meinen
Körper. Schluß folgt.) —
Berge hin; damals — ich will nichte zurück iefleetiren
und frühere Tage mit angedichteten Empfindungen ver-
golden — ergriff uns nicht die romantiſche Lage des
Berges, von dem aus die ganze⸗Stadt ſichie ein Pa-
noram hausbreitet und gewiß einen freundlichen Anblick
bietet, auch nicht das Säuſeln und Rauſchen des Wal-
des der Eichendorff'ſche ſtille Wieſengrund er war uns
damals- nur deßhalb liebzund werth, weil er uns Holz
zu unfern Mühlen lieferte, die egt mit emſiger Ge-
ſchäftigkeit in unſerm Graben ö
Ein ſtämmiger, robuſter Knabe, mit illge,
that ſich darin beſonders hervor ma
Mühlen und beanſpiuchte
m Lillge,
or, mächte vie gangbarſten
Ohrrmühle allein zu häben, was vft zu argem Conflict
führte, wenn er uns diiich „Schützen“ das untere Mahl:
wäſſer abzuſchneiden ſuchte. An ihn mußté ich denken
und in die Sehnſucht nach der
derzeit miſchte“ ſich
noih ein anderes Geſutt die chnui i den ſh.
lenden Freund. Wir konnten tranlich Händ in Hand
dieſe goldene Träume nicht mehr zurückträumen. Er
war todt.
Ein Jugendfreund iſt ein unendlicher Schatz; fin-
den wir ihn nach langem Lebensirren wieder, dann
guillt doppelt friſch und melodiſch die Erinnerung frü-
herer Tage qus dem Herzen. Das Wiederfinden eines
Jugendfreundes iſt ein lieblicher Schluß des Lebens-
märchens; es dünkt uns dann Alles, was da kam, ſo
harmoniſch, ſo ineinanderſchließend, weil wir an einem
Herzen ruhen, das uns das reinſte Verſtändniß unſers
vergangenen Lebens gewähren klann.
Mein Genuß der Erinnerurgem hatte eine Lücke durch
das Hinſcheiden des Freundes. Aus der Schule war
er durch unſers Rectors Empfehlung, weil er ein offener
Kopf war, zu einem Apotheker in die Lehre gekommen.
Er hatte bereits ausgelernt, da erhielt ich plötzlich die
Nachricht, daß er, wahrſcheinlich am unvorſichtigen Ein-
athmen von Gift, geſtorben. Ich ſah damals die
Mutter wankend⸗gebrochen zum Begräbniß ihres Sohnes
reiſen, weiter erfuhr ich nichts mehr.
zu. Da kommt mir ein einſomer Waller antgegen.
Ich blickte auf, und waren es die Gedanken an den ge-
„So in Gedanken verſunken, wanderte ich der Stadt
ſtorbenen Freund, die mich allzulebhaft beſchäftigt,
oder war es ein Spiel der Natur, ich mußte, von der
Aehnlichkeit des Fremden mit dem Geſtorbenen frappirt,
Dieſelben dunkel blitz-
einen Augenblick ſtehen bleiben.
enden Augen, die glatte Stirn und römiſche Naſe, ja
ſelbſt der Gang erinnerte mich an meinen Freund.
Nur das Haar des Fremden hing ſchlicht und ſchnee-
weiß um die Stirn, während ſonſt das braune Geſicht.
des Freundes ein glänzend ſchwarzes Haar umrahmte.
Der Fremde blickte ebenfalls auf und lag plötzlich
mit einem Ausruf der Freude mir in den Armen. —.
„Rudolf! Rudolf! erkennſt Du mich denn nicht, oder
willſt Du mich nicht erkennen? Ich bin ja Lillge —
Heinrich Lillge!“ — Ich wich unwillkürlich, von dem
Spotte oder dem Blödſinne des Fremden peinlich be-
rührt, zurück und erwiederte;: „Lill
eiſt todt — mein
Herr; — aber wer ſind Sie? — ich finde —“
Er ſchien betroffen, ließ die Arme ſinken, ſtrich die
Haare von ſeiner Stirn zurück und ſagte: „Kennſt Du
die Schwarren nicht, die ich von unſerm Mühlenbau
da erhielt? Auch Du willſt mich nicht kennen? — Ich
ſühl' es wohl, wer einmal eingeſargt, der darf nicht
leben!“ ö
„Freund! iſt es möglich, Du lebſt?“ Jetzt war
u öffnen.
es an mir, ihm meine Ar
„So ſchauderſt Du nicht vor mir zurück, Du al-
ter Getreuer?“ ſagte er weich und rührend, und ich
kann meinen Schme neiner empfindenden
Bruſt ausweinen!
„Aber ſage I ir nür,
erſtanden?“ rief ich aus, nac
Erſtaunen erholtrtee. ö
„Alles ſollſt Du wiſſen!“ unterbrach mich der
Freund. „Laß uns wieder in's Freie wandern, nur
nicht in die Stadt! Dort fühl' ich mich noch einmal
begraben. Ich bin dem Tode entronnen und nur an
wie biſt Du vom Tode
ich mich von meinem
ö dieſem weißen Haar hat er mich gezeichnet.“
„Du weißt, ſo erzählte nun der Freund, „däß ich
von der Schule ſofort in jene Apotheke kam. Ich
lerute und gewann mir! das Vertrauen des Prinzi-
pals und, was mich noch unendlich mehr.beſeligte, die
Liebe ſeiner Tochter, auf die der Vater mit bewilli-
genden Augen blickte. Was ſoll ich von dieſen Tagen
erzählen? Ich darf nicht ian das Glück jener Stun-
den denken, denn es liegt zertrümmert . Eines
Abends ſaß ich an der Seite meiner jungen Braut,
wir malten uns ein zauberiſches Stillleben; ſie ſang
mir mit ihrer ſchinelzenden Stimme eines ihrer hüb-
ſchen Lieder zum naheſtehenden' Clavier. Da traf es
plötzlich meine Bruſt wie ein vernichtender kalter
Schlag, der ſich in ſtarken Wellen über den übrigen
Körper breitete und ihn völlig kähmte. Die Sprache
verſagte mir, eine Todeserſtarrung folgte. Nur ver-
worren ſind die Bilder, die mir aus dieſem Zuſtande
geblieben. Ich fühlte nur noch die warme, helfen-
wollende Hand meiner Geliebten, die übrige Welt
war mir verſchleiert. Ich hatte nuri ein halbes Be-
wußtſein . .. Man hielt mich für todt. Meine
Braut wich nicht von meinem Lager — ich ſah wie
aus weiter Ferne ihr in Thränen gebadetes Antlitz,
fühlte ihren brennenden Kuß, ihre Thränen auf mei-
nen Lippen. Ich hätte aufſchreien- mögen, und doe
lag ich in Todesbanden gefeſſelt und mein Wollei.
machte die wie mit Blei ausgegoſſenen Adern nich!
flüſſig. Glaube mir, das Leben iſt kein Traum, denn
der Tod, dieſer Schlußſtein deſſelben, iſt rauhe, fürch-
terliche Wirkſamkeit! Es heißt den Tod leben, dies
bewußte Gelähmtſein des Körpers, dies vergebliche
Ringen aus den eiſernen Armen der Erſtarrung. Ich
fühlte, ein einziges Zucken der Lippe löſ'te den Zau-
ber, ließ mich wieder den lichten Tag des Lebens, den
blauenden Himmel in den Augen meiner Geliebten
finden, und doch vermochte ich nichts über meinen
Körper. Schluß folgt.) —