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Heidelberger Volksblatt (1) — 1868

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Nr. 7 - Nr. 15 (1. Juli - 29. Juli)
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4⁷

ſeiner Geſundheit entſagen zu können glaubte. Ver-

zeihen wir ihm ſein langes Bedenken!“
Er hielt den Groſchen in ſeinen Fingern und näherte

ſich, jedoch mit ungewiſſen kleinen Schritten, dem Bier-

hauſe. Da erneuerte ſich Lieschens Bild ſo lebendig in
ſeinem Herzen, das er plötzlich ſtill ſtand. Was mit
dem Groſchen thun? Ernſter wurde jetzt die Frage
in ſeinem Innern erwogen.
Es war der hetzte Groſchen, den der Schuſter
zwiſchen ſeinen Fingern hielt. Hätte er noch ein oder
zwei derſelben in den Taſchen vorgefunden, alle Schwie-
rigkeiten würden mit einem Male verſchwunden gewe-
ſen ſein. Er würde für den einen Groſchen die Apfel-
ſine gekauft haben, wenn er überhaupt an eine ſolche
gedacht hätte, und für den andern Groſchen hätte er
ſich eine Pfeife geſtopft. So mußte er aber, wie die
pfern. ſtanden, entweder ſich oder ſein Kind
ern. 2.
— Einige Minuten blieb die Frage unentſchieden. „Ich
will mir's überlegen, bis ich zurückkomme,“ ſagte Thoſt-
mann zuletzt. Aber im Weitergehen wollten doch die
ſtreitenden Gedanken in ſeinem Kopfe ſich nicht beruhi-
gen. Sie klärten ſich allmälig und das Edle ſiegte über
die gemeine Menſchennatur. Aufopferung, Selbſtver-
leugnung, Begriffe, die dem Schuhflicker bisher wie
nebelhafte Schatten erſchienen waren, erwärmten mit
ihren wohlthuenden Strahlen ſein Herz und verhalfen
ihm zu dem Siege über ſich ſelbſt.
„Was iſt doch eine Pfeife Tabak für einen geſunden
Mann im Vergleich zu einer Apfelſine für ein krankes
Kind!“ ſo ſprach er halblaut vor ſich hin. Und ſo trat
die endliche Entſchließung zu des kranken Kindes Gunſten
ein. Der Groſchen, den er zwiſchen den Fingern ge-
halten, fiel unvermerkt in die Taſche zurük.
Auf dem Rückwege kaufte Thoſtmann eine Apfelſine.
Dies gewährte ihm ein neues Vergnügen. Er hatte
bisher für die nöthigſten Bedürfniſſe ſeiner Familie
durch ſein Tagewerk geſorgt und, wie wir wiſſen, noch
nie auf Pfeife oder Bierkrug verzichtet. Alles hatte
ſo ſeinen gewöhnlichen Gang genommen und es war
nichts geſchehen, was ein beſondsres Nachdenken erfor-
dert, Schmerz oder Vergnügen bereitet hätte. Aber die
Selbſtverleugnung, ſeine Pfeife Tabak einer Erquickung
ſeines kranken Lieschens zu opfern, war ſo außer allem
Bereiche des Gewöhnlichen bei ihm, daß ſie ihn wohl
in ganz eigne angenehme Ideen verſenken mußte.

Als der Meiſter nach Hauſe kam, ſaß Lieschen auf
den Stufen, die zur Dachkammer führten und erwartete
Er nahm ſie, wie gewöhnlich in
ſeine Arme und trug ſie auf ſeine Werkſtatt. Nachdem
er ſie ſanft auf das für ſie zubereitete Lager gelegt

ſo ſeine Rückkehr.

hatte, ſetzte er ſich auf ſeine Bank und wie er nun ſo
das bleiche eingefallene Antlitz ſeines theuren Kindes
betrachtete, und als er ihr in das große, ernſte Auge

ſah, da überkam ihn eine mehr als gewöhnliche Rüh-

rung. Ohne ein Wort zu ſagen nahm er die Apfel-
ſine aus der Taſche und gab ſie ihr in die Hand.
Augenblicklich überſtrahlte Lieschens Geſicht der
Ausdruck der herzlichſten Freude und des größten Er-

. 9 Ich hab däsmol uff Arode e annert
numme, norr zur Prob.

ſtaunens. Ein liebliches Lächeln umſpielte ihre dünnen
Lippen und im ungewöhnlichen Glanz leuchteten ihre
Augen. Raſch führte ſie die Frucht zu ihrem Munde
und trank den erfriſchenden Safft.
„Schmeckt Dir's, mein Kind 7“ fragte ſie der Va-
ter endlich, der bisher mit einem unbeſchreiblichen Ge-
fühle im Herzen ihr zugeſehen hat. —
—Das Mädchen ſprach kein Wort. Aber Worte
würden auch das Vergnügen nicht ausgedrückt haben,
welches ſich ſo beredt in dem Lächeln kund that, das
jeden Zug ihres Angeſichts verſchönte.
Während Lieschen noch mit dem Verzehren der
Apfelſine beſchäftigt war, trat ihre Mutter in die
Werkſtattttrtttttrt
„Eine Apfelſine!“ rief ſie aus, mit dem höchſten
Grade des Erſtaunens. „Wer gab Dir dieſe?“
5 Mutter,“ ſagte das Kind, „ſie ſchmeckt ſo gut!“
Dabei nahm fie den Reſt der Frucht aus ihrem Munde
und zeigte ihn der Mutter mit glücklichem Lächeln.
WWer in der Welt hat ihr das geſchenkt, Mann?“
fragte dieſe den Meiſtter
Vch habe ſie ihr für den letzten Groſchen gekauft,“
aut thu ete ihr Thoſtmmann. „Ich glaubte, es würde ihr
ut thunss —
hr „Aber nun haſt Du keinen Tabakꝰ“ —
„Ich kommeſchon bis morgen ohne dieſen aus,“ er-
widerte der Meiſter. „Das Kind hat doch einmal eine
Erquickung! —.
chluß folgt.)

7• *

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* S 22.

E Reddꝰ wo der Dr. Gemithlich kerzlich

im Verbeigehn im Winterhafe hot halte
ö heere.) —
Ihr Leit, kummt emol do her, ich muß eich ebbes

ſage. All do her zu mir, ihr Männer! — So. —

Orthographie aage-
Dr. Gemithlich.
 
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