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Heidelberger Volksblatt (1) — 1868

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Nr. 25 - Nr. 33 (2. September - 30. September)
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10²⁷

doch nun ennal michts! — Indem kam auch Moller 2223

heraus,

Junge. 5 Junge, nimm Dich zuſammen!“ ſprach er
mit rauher Gemüthlichkeit: „Du ſiehſt, wo er hinaus
will der — Gönn ihm doch nicht dieſen Thriumph und

mache meinem armen Sohn den Schmerznicht!“

„Würde er Schmerzen Var wer emnpfinden? 2* fragte

Michael.
* „Welche Fragel Er, der mit einem Thiere Mit-
leid empfindet, er ſollte nicht leiden, wenn Du — wenn

Dir dergleichen geſchähe!“

„„Ich will gut ſein, Väterchen,“ 1 verſiherte Michael

ichmeichelnd, folgſan und muthig.
„Nun, das iſt gut,
machen!“

Welch eine entſebliche Pein nun auch für Michailo-
witſch darin lag, all den Anordnungen und Einrich-

tungen für die Sträflinge ſich zu unterwerfen, that er

es doch ſchweigend und mit ängſtlicher Gewiſſenhaftig-

keit, ſo daß ihn ſchon am erſten Tage ſeine Mitgefan

genen verhöhnten.

„Ah, der will ſich zum lieben Kind⸗ machen 10. bieß

es Aueein — 0
Wie ſchrecklich war es im Arbeitsſaal, wo ſo viele
beſhaf tigt waren!

ſie ihn betrachteten! Doch er heftete ſeine ganze Auf-
merkſamkeit auf die zu erlernende Arbeit, dien er auch

bald begriff, von der ihm aber nach den wenigen Stun-
den dieſes Nachmittags die Hände ſchrecklich ſchmerzten.

Um vier Uhr ging es nach dem Hofe, wo als letzte
Mahlzeit des Tages Brod: und Bier vertheilt wurde
And wo alle Blicke auf ihm hafteten.
en. 6 iſt der Fürſt!“ hörte er ſie mit höhniſchem
Lachen ſagen. „Ein feiner Junge! Ein Zzierliches
Herrchen!“
Wie peinlich war das! Aber jetzt mußte er vor-
treten, um ſein Brod und Bier in Empfang zu neh-

men. Er that es und mit Schrecken blickte er auf das
große Stück Schwarzbrod, das er in ſeinen zarten Hän-

den hielt. Gleichſam Rath ſuchend, was er damit be-
ginnen ſollte, ſah er empor und faſt hätte er das Bier
verſchüttet und das Brod zu Boden fallen laſſen, denn
vor ihm ſtand der berinſpektor.
„Michailowit ſch,“ ſagte Dieſer, „wenn Du lieber

eine Suppe magſt, ſo gieb das Bier zurück; Du kannſt

ſie um 6 Uhr erhalten.“
Obhne zu bedenken, daß er das Bier dem verthei-
lenden Unterbeamten geben müſſe, reichte er in ſeiner
Verwirrung den Napf ſchweigend dem Oberinſpektor,
der ihm demſelben auch abnahm. „OGleichzeitig hörte
er die anderen Gefangenen lachen:
„Der macht's gut! Dummer Teufel!“ hieß es
von allen Seiten. Und ein junger, blonder Menſch,
im Arbeitsſaale ſein Nachbar, mit dem er ſchon be-
kannt war, flüͤſterte ihm zu: „Was thuſt Du?ꝰ Das
iſt Ia der Oberinſpektor! *2—
„Laſſ' ihn nur, Fahrenwald, 1 ſagte 2

der
es gehört hatte, „er iſt hier noch zu frend. 74

dann wirſt Du ihn Freude ö

Faſt Allen ſtand das Verbrechen
auf der Stirn geſchrieben; und mit wie frechen Blicken

„Verzeihung!“ ſtammelte Michael. Norrmann
winkte ihm begütigend und entfernte ſich. Jener wandte

ſich um zu Fahrenwaldz:

„Befreie mich von dem Brode!“ bat er. *
„Wie, Du willſt es fortgeben?“ fragte der An-
dere erſtaunt. Weißt Du, daß wir heute nichts mehr
als dies zu eſſen kriegen?“ ö
„Ich weiß es; doch ich bekomme ja noch die Suppe.
Nimm es mir doch ab!“
„Behalte wenigſtens die Hälfte oder 16 ein paar
Biſſen davon!“
„Ich kann nicht, der Hals iſt mir wie zugeſchnürt!
Mit dieſen Worten reichte Michael Jenem abermals
das Brod.
Fia/rchtbar war die Nacht. In dem großen Schlaf-
ſaale ſchon um 7 Uhr mit vielen ſeiner Unglücksge-
fährten eingeſchloſſen, war er nicht allein gezwun-

gen, noch. mehrere Stunden lang die entſetzlichſten Dinge

mit anzuhören, ſondern auch die roheſten Neckereien
zu ertragen. Sie verſpotteten ſeine Niedergeſchlagen-
heit, ſein vornehmes Weſen und meinten höhniſch: ſie
könnten ſich wohl denken, daß Se. Durchlaucht ſich hier
nicht gefielen aber ſie wollten ihm etwas Spaß vor-
machen, wielleicht würden Dieſelben dadurch heiterer
werden. Fahrenwald, der ſich des Unglücklichen an-
nahm, wurde verhöhnt, ſie nahmen den Unglücklichen
in ihre Mitte, riſſen ihn mit ſich im Kreiſe herum
oder tanzten um ihn her. Da miſchte ſich Fahrenwald
darein.
„Ihr Lumpenhunde „ rief er, „Ihr ſeid ſo ſchlech
wie der Direktor!ꝰ
„Wie; was?“ tobten ſie. „Was ſagt der Kerl?
„Ja, das ſage ich,“ ſchrie Fahrenwald ihnen ent-
gegen. „Quält Ihr nicht mit derſelben Luſt wie er
einen Unglucklichen? Uebt Ihr nicht dieſelbe Harther-
zigkeit wie er gegen die Bitten des Gequälten? Pfui,
ich dachte, ſo ſchlecht könne nür ein Mucker ſein!
Alle waren ſtill geworden. Nach einer Pauſe ſagte
einer von ihnen, der bei Allem der Anführer war und
den ſie Kendelbacher Hannten, ein großer, furchtbar
häßlicher, rothhaariger Kerl: ö
„Na, höre Du, wir ſollten Dir eigentlich das Fell
vollklopfen für Deinen ſchändlichen Vergleich, aber wir
wollen Dir beweiſen, daß wir nicht ſo ſchlecht ſind,
wie der verfluchte Jeſuit, und wollen Deinen Fürſten
zufrieden laſſen, da der Einfaltspinſel doch keinen Spaß
rihen ö Geruhen alſo“ Cuer Durchlaucht wohl zu
ruhen!ꝰ
Hierüber brac der ganze Chor in ein ſchallendes
Gelächter aus. In demſelben Augenblick wurde aber
ſtark an die Thür geklopft und des Oberinſpektors
mächtige Stimine erſcholl draußen: „Ruhe da drin-
nen!“ 1.
Alle ſchwiegen erſchrocken und ſtanden ein Weil-
chen erſchrocken regungslos, dann ſchlich ein Jeder zu
ſeinem Lager. Kendelbacher brummte leiſe: „Den hat
auch der Satan überall!ꝰ
Bald lagen Alle im tiefſten Schlaf. Nur Michael

wachte mit ſeinem fuͤrchtbaren, zerſtörenden Schrierz.
 
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