Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Volksblatt (1) — 1868

DOI Kapitel:
Nr. 25 - Nr. 33 (2. September - 30. September)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.43805#0115

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Ich ſage Dir, Nähhammer,“ ſagte Kendelbacher

zu einem der Gefangenen; hängen will ich mich laſſen,

wenn er verlangt, daß ich die Arbeit Sr. Durchlaucht

umſonſt mache. Sollſt ſehen, ob er mir: nicht dafür

etwas zuſchanzt. Natürlich, nur durch die dritte Hand,
denn er ſtraft ja nur.“ ᷣ2
„Ja,“ erwiderte
Hand ſtraft er, mit der andern legt er wiel mehr Pfla-
ſter auf, als Wunden vorhanden ſind.

»Als Michailowitſch ſein Brod und Bier empfan-
gen, that er von dem letzteren haſtig; wie im Fieber-

durſt, einen Zug, dann reichte er beides Kendelbacher.

„Da,“ ſagte er, „nimm, und ſei mir nicht böſe, ö

daß Du meine Arbeit thun mußt!?«

Hienach ließ er ſich von Fahrenwald in das

Zimmer des Hausvaters führen.

Das Zimmer war von einer ſonderbaren⸗Bau-
art. Sehr hoch und groß wie ein Saal, befanden ſich

zwei mäßig große Fenſter ganz oben unter der Decke.

An dieſen Fenſtern hin, welche nach außen Blumen-
bretter hatten, die aber jetzt im Winter leer und ſtatt

deſſen nach Innen mit Blumen und Vogelhäufern be-
ſetzt- waren, unter dieſen Fenſtern hin lief quer über
das Zimmer eine auf Pfeilern ruhende breite Gallerie,

faſt ſo groß wie ein Zimmer. Dort ſtanden die Näh-

tiſche der Töchter Johanna und Antonie, ſowie der
Arbeitstiſch und das Bett des Sohnes⸗Guſtav. Auch

das Steckenpferd des vierjährigen Johannes, eine Flinte,

Peitſchen u. ſ. w. lagen umher, denn obwohl er eigent-
lich unten im Zimmer ſpielen ſollte, hielt ſich doch der
Knabe gern dort oben bei den viel älteren Geſchwiſtern
aüf. Unter dieſer Gallerie, zu welchervon der Stube
aus eine Treppe. hinauf führte, war gleichſam das

Schlafzimmer der Eltern, denn dort, ſtanden die Bet-

ten derſelben, ſowie das des kleinen Hans. Ein grü-

ner Vorhang ſchloßndieſen Raum von dem übrigen Ge-
mach ab, das nochigroß und weit geuug für eine Menge
von Möbeln, als Sopha, großen. Ausziehtiſch, Kom-
mode, ein rieſiges Kleiderſpind u. ſ. w. war, worin

ſich aber ein ſtetes Dämmerlicht befand. Freundlicher

war die ſogenanntezalte „gute Stube“, ein helles, mit

altmodiſcher Malerei und einem großartigen Kamin

verziertes Zimmer. Hier befänden ſich die beſten Mö-

beln, die Familienbilder und das Schreibpult des Va-

ters. Außerdem beſtand die Wohnung aus der Küche
und der Schlafkammer für die Töchter

Oben auf der Gallerie ſaß der Oberinſpektor ne-

ben Johanna, ſeiner Braut, deren Blicke mehr an dem

theuren Manne als an ihrer Handarbeit hingen, ob-
wohl dieſelbe zu ihrer Ausſtattung beſtimmt war. Jo-

hanna war nicht ſchön, aber ſehr lieblich, ein Bild der
Sanftmuth und Hingebung, der Wahrheit und Ein-
fachheit. Ihr dunkelblondes Haar war glatt: aus dem
Geſicht geſcheitelt und wand ſich im Nacken zu einer
großen Muſchel zuſammen. Ihr dunkeles Gewand war
ganz kunſtlos und ohne Verzierung, glatt an den ſchlan-
ken, zierlichen Körper ſich ſchmiegend; ein kleiner,
weißer Kragen bildete die einzige Ausſchmückung ihrer
Toilette. Und doch war ſie ſö anmühig, ſo reizend

Nähhammer, „mit der⸗ einen künſtlicher friſirt.

ſpektors.

daß man kaum das Auge von ihr abzuwenden ver-

mochte. Johanna zählte ſiebzehn Fahre. Glänzender

war die fünfzehnjährige Antonie, mit ſchönem, kaſtanien-
braunem Haar und Augen, regelmäßig hübſchen Zügen
und lebhaftem blendem Teint. Ihr Anzug war auch
keineswegs ſo einfach als der der Schweſter, ihr Haar
Auch ſie war oben auf der Gallerie
mit einer Handarbeit beſchäftigt. Guſtav, ein Knabe

von dreizehn Jahren, machte eben dort ſeine Schular-

beiten und Johannes ritt auf dem Knie des Oberin-

und der Vater war
beſchäftigt.
Fahrenwald klopfte an die
mers und öffnete dann dieſelbe.

ſen hinein, ſchloß die Thür und ging.
ö „Komm herauf, Michael,“ ſagte Norrmann. „Ich
diene meinem Schwager als Gaul und da kann ich

ich nicht abkommen. Tony, gieb doch Michailowitſch

den Franzbranntwein zum Waſchen ſeiner Hände
Michael kam; ſein Antlitz wechſelte oft die Farbe,

er ſah Niemand an. Antonie brachte die Flaſche mit

dem Franzbranntwein und einen Napf über welchem
Jener die Hände waſchen ſollte; doch einige Schritte

von ihm blieh ſie wie angewurzelt ſtehen, ſo überraſchte

ſie die wunderbare Schönheit des zungen Mannes.

„Mun wäſche Deine Hände!“ ſprach Curt, und theil.

nehinend fragte er: „ſchmerzen ſie noch ſehr?“

„RNicht, wenn ich bei Ihnen bin, lieber Herrl,
auntwortete der Gefangene in leiſem und weichem Tone.

liehe Hanna zeigen!“

ſtav arbeitete.
„Run ö
Als er ſich wieder vor ihr und dem Bruder, wie
hörher gegen Alle, mit dem feinſten, graziöſeſten An-
ſtande verbeugte und ſeinen Dank in den gewählteſten,

Die Murter bereitete in der Küche den Kaffee
im Vorderzimmer mit Schreiben

Thür des Wohnzin,

ö „Herr Oberinſpektor,“ rief er, „hier iſt Michailo-
witſch, wie Sie befohlen haben.“ Damit

ſchoh er die-

Iuzwiſchen hatte ſich Antonie wieder gefaßt; ſie
jetzte die Flaſche und den Napf auf den Tiſch, wo Gu-

kommen Sie!“ ſagte ſie freundlich einladend.

obwohl kurzen Worten ausſprach, erſtaunten Alle, einen

Zuchthausgefangenen vor ſich zu ſehen. In jeder ſei-

ner Mienen und Bewegungen lag Adel und Anſtand.
Zücht-

Er war noch immer der Fürſt und die graue
lingsjacke that dieſem Eindruck keinen Abbruch.

„Nun ſieh', das iſt meine Hanna!“ ſagte Curt,

als Michael herangetreten war. „Gieb ihm die Hand,
mein Lieb. . . *

Sie that es; Michael drückte dieſelbe an ſeine Liy-
pen; aber er zitterte und ſchwankte, denn er gedachte

des Abends, als Norrmann bei der Majorin dieſe Ver-

löbung erklärt, er gedachte ſeines eigenen zerſtörten
Glücks und der theuern Roſaline. Die Kraft verließ
ihn. Der Oberinſpektor zog einen Stuhl heran und
ſetzte Michael auf denſelben nieder. ö

FFaſſen Sie ſich, armer Unglücklicher!“ redete Jo-
hanna ihn liebevoll an.
. ſetzte ſie hinzu, indem ſie ſich zärtlich an dieſen ſchmiegte,

„Norrmann iſt ja ſo gut,“
 
Annotationen