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Heidelberger Volksblatt (1) — 1868

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Nr. 25 - Nr. 33 (2. September - 30. September)
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über das, was ſie hethan, racten an e Geſund·

heit.
ö Dieſe Erzähtung geſchah beim Mittagstiſch. Gu-
ſtav hatte die Erlaubniß, welche er für die ganze Fe-
rienzeit vom Vater erhalten, benutzt und war noch bei
den Verwandten geblieben. So theilnehmend nun alle
Anderen der Erzählung zugehört, ſo wenig war Mi-

chailowitſch mit ſeiner. Aufmerkſamkeit an derſelben be-

theiligt, ſeine Gedanken gingen augenſcheinlich nach

einer anderen Richtung hin und ſchienen ihn mit fie-

berhafter Unruhe zu erfüllen, denn er aß noch weniger
als ſonſt und ſeine Farbe wechſelte in jeder Minute.
Als man ſich erhob, blieben nur Antonie und Michael
zurüͤck. Dieſer eilte auf ſie zu.
„Sagen Sie mir, welche Nachricht brinzen Sie?“
ſprach er mit leiſer, vor Aufregung bebender Stimme.

„Bei der heiligen Mutter Gottes fleh' ich Sie an. Mar-

tern Sie mich nicht bis zum Wahnſinn!“

„Ach, Michael, hätt' ich dieſes Weib nie geſehen!“

antwortete Antonie weinend. „Iſt es möglich, daß man

ſo rerführeriſchſ chön und ſo ohne alles menſchliche Ge-

fühl ſein kann!“

„Reden Sie! Ich beſchwö re Sie!⸗ rief Michael

zitternd und leichenblaß.
PVein, nein, laſſen Sie mich ſchweigen!“ bat An-
tonie,
werth!“

chailowitſch mit höhniſchem Lachen. „Doch,“ ſetzte er
mit eiſiger Kälte und einem Tone hinzu, der dem
Mädchen wahrhaft imponirte, Yſprechen Sie! Ich
will Alles wiſſen!
„Nun denn! Sie empfing mich ſehr freundlich,
da ſie meine Couſine Helene vor ſich zu haben glaubte,
behandelte mich aber ſchnöde und unfreundlich, als ſie
hbörte, wer ich ſei und was ich wolle, O, wie viel
Worte hab ich verſchwendet, wie viel Bitten, wie viel

Schilderungen Ihrer Leiden Ihres grenzenloſ en Elends .

„Weiter! — Was., fagte.. ſiesꝰ“

„Michael, muß ich es denn ſagen? Erlaſſen Sie

es mir!/

ſie ihn nie aus ſeinem Munde gehört hatte.
„Sie wollen es, ſo muß ich gehorchen,“ fuhr ſie
zitternd fort. „Roſaline lachte ſchadenfroh, und rief:
, „Die ſem Ungeheuer kann es nie ſchlecht genug gehen!““
Bei dieſen Worten erhielt Michael's Geſicht ein

leichenfahles Anſehen, die Augen ſchienen ihm aus dem
Kopfe treten zu wollen, von der Stirn perlte ihm der

Schweiß, er wankte, griff um ſich, als wolle er ſich an
irgend einen Gegenſtand halten, und fiel, ehe ihn An-
tonie unterſtützen konnte, in den furchtbarſten Krämpfen
zu Boden. Angſt und Schmerz ließen Antonie jede

Faſſung und Rückſicht vergeſſen Sie ſtürzte ſich über
Michael,
ſeine Hände, ſeinen Kopf an ihre Bruſt und bedeckte ö
beide mit glühenden Küſſen. In dieſem Augenblick

rief ihn mit den zäptlichſten Namen, preßte

erſchien der Vater. Ein Moment ſtand er ſtarr vor

Entſetzen, dann aber eilte er einem Raſenden gleich

12⁰

„Vergeſſen Sie dieſes Weih, fie iſt Ihrer nicht
„Eines Zuchthausſträflings nicht werth!“ rief Mi-

„Nein! 14 rief er mit ſo rauhem, hartem Tone, wie

Blut,
blicklich combinirte ſich Norrmann, was hier vorgefallen,

auf! die Tochter f. zu, rih ſie an den Hoaren fort von
Michailowitſch und ſchlug mit dem Strick, den er zu-
fällig in der Hand hielt

ſo⸗ gewaltſam auf ſie los,

daß ſie zuſammenſank. Dennoch verſuchte ſie, halb

ohnmächtig ſich aufzuraffen, um ſeine Knie zu umfaſſen,

er aber ſtieß ſie mit dem Fuße von ſich und ſchleuderte

ſie in das Vorderzimmer, wo ſie ohnmachtig zu Boden

ſank. Moller rief Fahrenwald und einen anderen Ge-
fangenen. ö
„Fort mit Dieſem da in's Lazareth!“ rief er, noch
ganz athemlos vor Zorn. Die Gefangenen ſahen ein-

ander an.

„Soll ich nicht erſt dem Herrn Oberinſpektor die
Meldung machen?“ fragte Fahrenwald.
„Ich werde Dich gleich eine Meldung an den Pro-

foß machen laſſen, damit er Dich gehorchen lehrt!“

ſchrie ihn der Hausvater an, und blaß, mit zuſammen-

gebiſſen Zähnen, winkte Fahrenwald dem Andern. Sie
nahmen den Kranken auf und trugen ihn hinüber in's
Lazareth“ Moller ging hinab in die Arbeitsſäle.

Als
er nach einiger Zeit aus dem erſten derſelben heraus-

kam, trat ihm der Oberinſpektor Er der Thür, die

in's Lazareth führte, entgegen. r ſah finſter aus
und fragte mit ruhigem, doch uherſt ſcharfem Ton:
„Wer gab den Befehl, Michailowitſch ins Laza-

reth zu bringen?“

„Ich!“ derf ſetzte der Haus Svater trotzig kalt. Jener

aber richtete ſich zu ſeiner Lanzen gigantiſchen Hoöhe
empor.

4 muß ich Ihnen bemerken, daß ich, wenn ich

auch als Ihr Schwiegerſohn mich Ihnen gern in jeder
billigen Sache unterordne, doch als Beamter die Rochte
eines Ihneir Vorgeſetzten in Anſpruch nehme und mir
aen eine jede ſolche eigenmächtige Handlung ver-
itte.

„Danke unterthänigſt⸗ für gnädigſte Belehrung! *

erwiderte Moller voll Hohn und Wuth übei eine Sprache,
wie er ſie noch nie h tte zu hören bekommen.
mann antwortete nit

Norr-
er ſchritt majeſtätiſch wie eine
wandelnde Ceder davon, um zu erfragen. was die Ver-
ankaſſung von Michael's Krankheit ſei. In der Wohn-

ſtube fand. er niemand, er trat daher in das Vorder-
zimmer.
Auf den Dielen lag Antonie,

Hier bor ſich ihm ein entſetlicher Anblick.
leiſe wimmernd, bleich
wie Schnee, mit zerrauftem Haar und überſtrömt von
das aus ihrem Munde hervordrang. Augen-

er hob die Arme empor, die bei dem Berühren, ſo

bs es auch, nur ſtärker wimmerte, und trug ſie auf
das

Sopha.
„Du armes, armes Kind!“ ſagte er milde. „Iſt
Deine Liebe nicht ſchon eine Mißhandlung des Schick-
ſals, mußt Du auch noch der Rohheit der Menſchen
verfallen? Ich bin Dir zu ſtreng „was iſt Dir aber

der eigne Vater?ꝰ

Sie ſchien ſeine Worte verſtünden zu haben, denn

ſie lehnte ihre bleiche Wange auf ſeine Hand, die bei
dieſer ront witde. wieder von vent herporſtürzenßen Binté

überſtrömt wurd
 
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