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Heidelberger Volksblatt (1) — 1868

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Nr. 34 - Nr. 42 (3. Oktober - 31. Oktober)
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ren noch gr aben ne
ihrer Heimath keinen Vertratten, Ke 1 Eroſt, keinen
Rath. Helené war eine feine, ſchlanks, arffetrariſhe
Erſcheinung mit tiefbraunem Haar und Augen, einer
hohen, edlen Stirn, kleiner fein gebogener Naſe und
einem lieblichen mit den ſchönſten Zähnen verſehenen
Munde. Ihr Teint war blüthenweiß und Hände und
Füße von der zierlichſten Form. —
Die Moller'ſche Familie empfing ſie mit der größ-
ten Herzlichkeit, war jedoch nicht wenig erſchüttert von
ihrem kranken Ausſehen und tief gebeugten Weſen.
Der Oheim ſchloß' ſie ebenfalls liebevoll in ſeine Arme,

eue in

konnte ſich aber nicht enthalten ihr in ſeiner derben

Manier zu ſagen:
„Mein armes Mädchen, wärſt Du meine Tochter
geweſen, ſo würdeſt Du- heut nicht ſo unglücklich ſein,
denn ich würde Dich gelehrt haben, den Mann, den
Du Dir zu Deinem Herrn erwählt, mit mehr Achtung
zu behandeln.“
„O wie ſehr würde ich *s meinen Eltern danen
wenn ſie dies gethan hätten, antwortete ſie ſeuſꝛend
Nach Vollendung der „Erzählungen der Sträflinge“
hatte Steppanoff die ihm von Nordenhielm proponirte
Arbeit begonnen, welche die öffentliche Gerichtsbarkeit
in all ihren Segnungen zu zeigen beſtimmt war. Der
Aſſeſſor war gekommen, hätte den jungen Schriſtſteller
kennen gelernt, ihm das nöthige Material zu der Ar-
beit gegeben, und war ganz bezalbert von Michael's
Lebenswürdigkeit äbgereiſt, um bäld wieder zu kommen.

Er eine Abſchriſt von dieſer Arbeit Steppa-

noff's. Norrmann veranlaßte Helene, um ihr eine

ſie zerſtrenende Arbeit zu geben, dieſe Abſchrift zu fer

tigen, ohne ihr jedoch zu ſagen, für wen dieſelbe be-
ſtimmt ſei oder ihr mützulheilen, daß Rordenhielm ſchon
bei ihm geweſen
So ſaß nun Helene mehrere Stunden des Tages
und ſchrieb die ihren Geiſt ſo ſehr intereſſirende Arbeit
ab. Dies geſchah in einem Zimmer, welches zur Woh-
nung des Oberinſpektors gehörte, bisher aber leer ge-
ſtanden und nun erſt, da Norrmann's cheliche Verbin·
rung bevorſtand, eingerichtet worden war.
Inzwiſchen waren auch die Urtheile über die auf-
ſtändiſchen Gefangenen eingetroffen und in der That
glimpflich genug ausgefallen. Curt ward namentlich
glücklich, die ihn ganz empörende Prügelſtrafe ausge-
ſchloſſen zu finden. Da der Anführer Kendelkacher

ſchon durch den Verluſt des einen Armes ſchwer be-

ſtraft war, ſo wurde ihm nur eine verlängerte Frei-
heitsſtrafe von einem Jahre zudiktirt, die Uebrigen,
melche nun ſchon ſo lange bei Waſſer und Brod in den
Eachots ſchmächteten oder verwundet danieder lagen,
erbielten nur einige Monate verlängerter Strafzeit und
durften ſogleich von ihrer Habevigen Strafe enthun-
den werden.
Wie oft hatten die Verwundeten und die Cinge-
kerkerten den Oberinſpektor bitten laſſen, doch nur ein
einziges Mal⸗zu ihnen zu kommen, er hatte es ſtets

entſchiden abgeſchlagen und ihnen ſagen laſſen: er habe

mit Meuterern, die ſein Vertrauen getäuſcht und ſeine

NAndigen Gatten zu verlaſſen.

als er

hin.

kuhic Zu ärhülte tlißachte hätien, lichts
Id diesmol fruͤchteke jelbſt. die Für hitte Mi-
nicht, die ſomſt Alles bei Ahm erwirken ounte.
Hatte RMörrmann gleich bisher alle wichtigeren Unge-
legenheiten an Stelle des Direktors angeordnet, ſo that

er dies doch immer im Namen deſſelben und als ſei

er von ihm dazu beauftragt. Als es jetzt galt, die
Urtheile zu verkünden, wollte er den Direktor der Ge-

legenheit nicht berauben, die. Herzen der Gefangenen
durch Verkündigung ſo milder Strafen ſich einiger-
maßen zu gewinnen.

Aber Jerſowich, vor Wuth ſchäu-
mend, weigerte ſich entſchieden, die Sträflinge mit den
Urtheilen bekannt zu machen. Waren doch die Armen
den furchtbaxen Strafen entrückt, welche er ſich ausge-
Hrnn und durchzuſetzen gehof ffſt hatte; der verhaßte
Michael lebte und war frei, ja nicht einmal das Haupt;

ö buch des Oberinſpektors, dieſen ſchrecklichen Bel aſtungs-

zeugen hatte er bei Seite bringen können, denn da
Michael geſehen, daß er daſſelbe in den Händen ge-
habt, ſo konntener es nicht fortbringen, ohne ſogleich
verrathemzu ſein. Außerdem. halte ihn noch ein ande-
res Unglück getroffen. Seine Frau hatte am Tage

der Zurückkunft des Oberinſpektors die Vorwürfe ge-
hört,

welcher dieſer dem Direktor— machte, und die
Aeußernng. deſſelben, daß Jer ſowich die jungen gefan-
genen Weiber mißbrauche hatte ſie beſtimmt, ihren
Alle ſeine Bitten konn-
ten ſie nicht zur Rückkehr bewehen. Es erſchien ihen
daher wie küne Verhöhnung von. Rorrmann's⸗ Seite,
ihn zum Lerkendiger ⁰o milder Urtheile machen
wolltre
An einem Sonntag früh wurden jeht die Gefan-
genen der Cachots, ſowie die geneſenen Verwundeten
aus den Lazurelhen. entlaffen Aund nachdem ſie ihr
Frühſtuck genoſſen, abermals in den Hof eittrt, wo ſie-
nun zum erſten. Male den Oberinſpektor wirderſahen,

der ſie erwartend in der Mitte des Hofes ſtand. Ein-

Aus rui der Frinde erſcholl aus Aller Munde.
„Still! Ich bin hier, Euch Eure Urthrite zu ver ·
künden,“ rief Norrmann ſtreng.
Viele erbleichtim, Einige zittorten, jelbn die Frech-
ſten Risten Angſt und Beſorgniß nur Kendelbacher
lehntt mit einer Ruhe und Gleichgültigkeit an dem

Pfoſten der Hausthure als ginge ihn der gauze Akt
nicht au.

So hörte er auch der Verleſung des Negie-
rungsertuſſes zu. Nur einmal erhob er ſein Auge,
als. Rormann's Stimme vor Bewegung ein werlig bebte.
Nach der Verleſung ſtanden Alle einen Augenblick
ſtarr vor Erſtannen, daun aber entſtand vine allgemeine
Bewegung der Freude und Alle drängten⸗ an Normann
Die ſer jedoch winkte ihnen zurück.
„In die Rirche!“ rief Uer gebietend And Hritt
voran. In. hergebrachter Ordnung folgten die Gefan-

geurn. Hier in der Kirche waren auch der Inſpektor,

der Arzt, der Hausvater, Michael, die Mitter,Johanna
und Helene. Der Prediger: hielt eine perzergreifende
Rode und einigr der Gefangenen weinten·
Als die Kirche zu Ende war, drängten wieder
Alle zu Norrmann hin, der eben abermals im Begriff
 
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