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Heidelberger Volksblatt (1) — 1868

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Nr. 51 - Nr. 58 (2. December - 30. December)
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206

koſend ſtrich er die dichten braunen Locke

Stirn der Geliebten, und küßte die ſchönen Augen,

welche ihm in trener hingebender Unſchuld entgegen-
leuchteten. Nie war Dora ſo ſchön geweſen, als eben
jetzt, in dieſem ernſten Augenblicke, wo Schmerz und
geträumtes Seelenglück, glänzendes Hoffen und banger
Zweifel ihr Herz beſtürmten. 711
„Oh, ſage es mir nur noch einmal,“ bat Dora,

nach langer Pauſe, „daß Du mich immer ſo lieben

wirſt wie jetzt, wie in den Tagen unſerer Kindheit,

unſerer Jugend! Sage es mir noch einmal, daß Du

mein biſt, mein für ewig; daß ich auf Dich rechnen
könne in Freude und Kummer, in Leben und Tod 1..“
„Dein, Dora, Dein in Leben und Tod,“ flüſterte
leiſe der Geliebte, „ſo wahr mir Gott helfe!“ ö
„Dein, ſo wahr mir Gott helfe!“ wieder-
holte die Jüdin mit feierlichem Ernſte, und faltete in
gläubiger Andacht die. Hände. „Dank, Dank, mein
Eduard,“ lispelte ſie kaum vernehmbar, und blickte

mit ſeelenvollem Entzücken in die Augen ihres Gelieb-

ten, welcher ſie die Liebe, die Anbetung und den Glau-
ben an Chriſtus gelehrt. „Ja, ich will ruhig ſein, und
will beten zu der Mutter Gottes, ſie wird uns ſchützen.
Wenn auch allein, werde ich mich dennoch nie einſam
fühlen, denn der neue Gott, an welchen ich durch Dich
glaube, wird ſtets in meiner Seele und Dein Bild in
meinem Herzen leben. Ich zitterte, ſeit ich erſuhr, Du
müßteſt. in; die große Welt, weit hingus, in große
Städte, wo Glanz und Reichthum, wie ich aber gehört,
auch Trug und der Abſchaum der menſchlichen Laſter
zu finden ſind. Ich weiß nicht, wie es in einer recht
großen Stadt ausſieht, wo es viel reiche vornehme

Leute, wo es Gelegenheit gibt, in tauſend Vergnügun-

gen die Zeit zu tödten; meine Begriffe von all' dem
ſind unklar. Mein ſeliger Vater wohnte auch in ſolch'
einer Stadt, aber er erzähltenichts Gutes von dem
glanzvollen Leben, welches da herrſchen ſoll. Obwohl
damals zreich, ſpäter aber, nachdem er ſich in dieſen
kleinen friedlichen Ort der Hrushka Gora zurückgezogen,
arm, ſehnte er ſich dennoch nie zurück, weder in den
Strudel des Glanzes und der Pracht, noch nach dem
verlorenen Golde. Ich bebte allezeit bei der Frage,
ob das Andenken an Deine ferne Dora genügen werde,
der armen Jüdin Deine Liebe und Dein Herz zu be-
wahrennnnn
Eduard küßte jeden weiteren Zweifel unter neuen
Schwüren von ihren Lippen. ö

gärtchen, welches die ſchöne Dora ſo ſorgfältig pflegte.
Wie vieles hatten ſie ſich nicht an dieſem Abende noch
zu erzählen, dem letzten, welchen die Glücklichen für
eine lange Zeit noch beiſammen ſein durften.

„Dora war die einzige Tochter einer in dem klei-
nen Orte J. g des Königreichs Slavonien ſeit vielen

Jahren anſäſſigen israelitiſchen Familie. Ihr Vater
ſam aus dem fernen Prag, wo gewagte Speculationen
ſeinen Reichthum Plötzlich zerſtört hatten, und gründete
mit dem geringen Kapital, welches er aus ſeinem

Schiffbruch gerettet, ein kleines Krämer geſchäßt Die

von der

ſchöne größe Meſſe und der alte Herr

Chrlichkeit des alten Iſaak gewann ihm bald die Liebe-
und das Vertrauen ſeiner neuen Umgebung, ſeiner

fremden Glaubensgenoſſen, und obwohl in einem Lande

wohnend, wo ſich die verſchiedenen zuſammengewürfel-
ten Religionen ziemlich feindlich gegenüber ſtanden,
gelang es ihm doch, alle Vorurtheile ſeiner Umgebung
zu beſiegen, und binnen kurzer Zeit hatte man ver-
geſſen, daß der alte grundehrliche Iſaak ein Jude ſei.
Iſaak ſchloß ſich von den Zirkeln ſeiner chriſtlichen

Umgebung keineswegs aus, welche ängſtliche Abſonde-

rung ſeinen meiſten Glaubensgenoſſen ſo eigen iſt und
und hauptſächlich den Grund zu einer allgemeinen Miß-

achtung bildet; er begriff ſeine Stellung, und oft

ſoigte er freundlichen Einladungen, um an einem Feſte
Theil zu nehmen, das zu Ehren eines katholiſchen
oder griechiſchen Heiligen gefeiert wurde, wenn ſeine
Ehehälfte, die alte Rebecca, zu ſo ketzeriſchem Unter-
nehmen auch kein beſonderes freundliches Geſicht machte.
An manchen Schabes⸗Abende ſaßen auch einige
chriſtliche Freunde an Iſaak's feſtlich geſchmücktem
Tiſche und nahmen mit Freuden Theil an dem kleinen
Feſtmahle, und die kleine ſchöne Dora, welche bald
Dieſer, bald Jener auf der Straße abfing und lieb-
koſte, verirrte ſich ſogar manchmal mit einem ihr be-
ſonders lieb gewordenen Geſpielen, mit dem kleinen
ſchwarzlockigen Eduard D. z in die katholiſche Kirche.
Eduard hatte früh ſeine Eltern verloren und ſeit
mehreren Jahren ſorgten Onkel und Tante für den
verwaiſten Kleinen. Der Onkel, ein geſcheidter Herr,
welcher ſich durch eine kleine Apotheke und einigen-
Weinhandel ein für die Landesverhältniſſe bedeuten-

des Vermögen erworben hatte, lebte blos ſeinem Nef-
fen und hatte denſelben zum Nachfolger im Geſchäfte
beſtimmt; die alte Tante aber machte es ſich zur ſtren-
gen Pflicht, 1— Lieblinge Herz und Seele für den
d nenndd
Das gleiche Alter von Dora und Eduard, ihr glei-
ches Fühlen und Denken, die Vorliebe zu gleichen Spie-
len und Beſchäftigungen führte bald die kleinen Nach-
barn näher zuſamimen. In kurzer Zeit umſchloß die
Beiden ein inniges feſtes Band, wie es oft unſchuldige
Kinderherzen vereint. ö

„Cduard brachte ſeiner kleinen, täglich ſchöner wer-
den Freundin die erſten Wald⸗ und Wieſenblumen,
das erſte reiſe Obſt,gehorte ihr, und wenn er es auch
manchmal in dem. Garten eines Zweiten ſtehlen mußte.
Mit Gefahr erſtieg er oſt die höchſten Bäume in dem
nahen Walde, um ſeiner Dora ein zierliches Reſt mit
ſchönen ſcheckigen Eiern oder kleinen zwikſchernden
Vögeln zu bringen. Dat ihn dann die kleine Freun-
din mit thräneſeuchten Angen, doch die lieben Vögel
wieder hinzutragen, weil die Eltern der unglücklichen
Thiere troſtlos ſein würden, ſo folgte er willig, küßte
ihre großen braunen Augen, und flehte herzinniglich,
nur nicht, zu weinen, denn er habe ihr damit eine
Freude zu machen geglaubt
„Heute gehen wir in die Kirche,“ flüſterte Eduard
mauchmal⸗ ſeiner kleinen Geſpielin zu; „es iſt eine
Miarrer wärd.
 
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