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Illustrirte Welt.
Dir meinst freilich, sie habe kein Herz — aber —
woher weißt Du das so gewiß? Denn daß sie mit
keinem Menschen zärtlich thnt und so üvas Apartes
hat, das ist noch kein Beweis, und nach der-
gleichen Dummheiten frage ich auch nicht,
darüber bin ich hinaus, ich will nur eine
Mutter für mein Kind und eine Haushälterin
für mich haben, und damit basta."
„Sie nimmt Dich aber nicht; denn um
ein fremdes Kind wie sein eigenes aufzuziehen,
dazu muß eins Herz haben," antwortete
Grete.
Aber wider Vermuten nahm Küthe Wie-
demeier den Jochen doch und zog zu ihm
und dem kleinen Mädchen in das Wärter-
hänschen, welches unter ihren fleißigen, ge-
schickten Händen bald viel behaglicher aussah
als vorher. Jochen war wieder ganz zu-
frieden, und eigentlich gefiel ihm Käthe viel
besser als seine erste Frau, wenu uur seine
Schwester nicht recht behalten Hütte — aber
er mußte es sich eingestehen: „Käthe hatte
kein Herz," weder für ihn, noch für das Kind,
wie er meinte. Freilich — er hatte ihr ge-
sagt, daß er keine Liebe von ihr verlangte,
denn er hatte geglaubt, sie würde seinen
Heiratsantrag sonst nicht annehmen; und er
hatte auch gemeint, er habe genug Liebe in
der ersten Ehe genossen und könne dieselbe
jetzt gern entbehren.— er kannte sich eben
nicht, denn wenn er das schöne, kräftige
Weib, welches sich den ganzen Tag für sein
und seines Kindes Wohl abmühte, lange und
immer länger anschnute, dann empfand er
ein recht warmes Etwas unter dem Brust-
tuche, uud seiu Herz schlug gewaltig, wem.
er ihre Nähe spürte, aber — um keinen
Preis hätte er ihr dies sagen können, schon
aus Furcht nicht, daß er ihrem kalten, ab-
weisenden Blick begegnen könnte. Was konnte
sie dafür, sie hatte eben kein Herz, und er mußte oft an
ihre beiderseitige Jugendzeit denken, da war sie doch
anders gewesen, und wenn sie ihm auch nicht entgegen
gekommen war wie Line, sie war damals nicht kalt
gewesen, und er würde sie geheiratet haben, wenn nicht !
P. K. Rosegger. (S. 1t.)
dem um diese Zeit vorüberfahrenden Schnellzuge das
Zeichen geben, daß alles in Ordnung sei, er nahm die
Fahne aus der Ecke des Zimmers und ging damit
hinaus. Gleich darauf betrat die Frau den Raum,
um den Tisch für die Mittagsmahlzcit herzurichten.
Sie stellte die Teller auf den Tisch und trat zum
Fenster, um ihrem Manne nachzusehcn, und der Blick
welchem sie dieses that, verriet es nicht, daß sie
kein Herz hatte. Seufzend wandte sie sich
endlich vom Fenster ab und trat zum Tische.
Wie gut ihr jede Beweguug nustand, und
wie hübsch sie war! Sie war bald mit dein
Arrangement der Teller und Schüsseln fertig,
und sie wußte dem Gauzen einen gar netten
Anstrich zu geben; dann ging sie aus das
große Bett zu, auf dem augenblicklich ein
kleines, fast dreijähriges Mädchen schlummerte.
Mit zärtlichen Blicken betrachtete sie ihrSties-
töchterchen, gab dem blonden Kinderkopfe
eine bequemere Lage und bedeckte das rosige
Gesichtchen mit unzähligen Küssen. — Plötz-
lich horchte sie aus — sie erkannte den Schritt
ihres Mannes, und ihr Haupt eilig von
dem Kissen emporhebend, schüttelte sie nicht
eben saust die Arme des Kindes und rief:
„So steh doch auf. Du Murmeltier —
das denkt den ganzen Tag an nichts anderes
als an Schlafen und Essen und Trinken!"
„Aber, Käthe," ries der eben in die Stube
eingetretene Mann, „das Kind ist noch nicht
drei Jahre alt, wie kannst Du es uur über
das Herz bringen und von einem so kleinen
Kinde unmögliche Leistungen fordern; aber
freilich," fuhr er seufzend fort, „Du kannst
nichts dafür, denn Du hast ja kein Herz."
„Das hast Du mir schvu oft gesagt, hast
es vor unserer Hochzeit gewußt uud hast mich
doch genommen, nun wirst Du schon die Fol-
gen tragen müssen," antwortete sie.
Ihr Mann antwortete nicht, aber vor-
sichtig nahm er sein Kind aus dem Bette,
setzte es auf sein Knie und versuchte ihm
seine Suppe zu geben, während er oftmals
halblaut sagte:
„Armes Kind! Du armes, armes Kiud!"
seiue Liebesmühe war umsonst, das Kind
Doch f
verlangte von ihm fort "zur Mutter, der es leicht
wurde, ihm die Suppe cinzugeben, was dem Vater
nicht gelingen wollte.
Jochen schaute zwischen jedem Lössel Suppe den
Line aus der Stadt zurückgekommen wäre und ihm
gezeigt hätte, was Liebe war.
Es war nun gleich Mittagszeit; Jochen mußte mit
I. Im Sprung getroffen. — 2. Aufholen an Deck. — 3. Ausmessen des Fisches.
Jagd ans Sonnenfische im Atlantic. Origmalzcichnung von Willy Stöw er. (S. 15.)
Illustrirte Welt.
Dir meinst freilich, sie habe kein Herz — aber —
woher weißt Du das so gewiß? Denn daß sie mit
keinem Menschen zärtlich thnt und so üvas Apartes
hat, das ist noch kein Beweis, und nach der-
gleichen Dummheiten frage ich auch nicht,
darüber bin ich hinaus, ich will nur eine
Mutter für mein Kind und eine Haushälterin
für mich haben, und damit basta."
„Sie nimmt Dich aber nicht; denn um
ein fremdes Kind wie sein eigenes aufzuziehen,
dazu muß eins Herz haben," antwortete
Grete.
Aber wider Vermuten nahm Küthe Wie-
demeier den Jochen doch und zog zu ihm
und dem kleinen Mädchen in das Wärter-
hänschen, welches unter ihren fleißigen, ge-
schickten Händen bald viel behaglicher aussah
als vorher. Jochen war wieder ganz zu-
frieden, und eigentlich gefiel ihm Käthe viel
besser als seine erste Frau, wenu uur seine
Schwester nicht recht behalten Hütte — aber
er mußte es sich eingestehen: „Käthe hatte
kein Herz," weder für ihn, noch für das Kind,
wie er meinte. Freilich — er hatte ihr ge-
sagt, daß er keine Liebe von ihr verlangte,
denn er hatte geglaubt, sie würde seinen
Heiratsantrag sonst nicht annehmen; und er
hatte auch gemeint, er habe genug Liebe in
der ersten Ehe genossen und könne dieselbe
jetzt gern entbehren.— er kannte sich eben
nicht, denn wenn er das schöne, kräftige
Weib, welches sich den ganzen Tag für sein
und seines Kindes Wohl abmühte, lange und
immer länger anschnute, dann empfand er
ein recht warmes Etwas unter dem Brust-
tuche, uud seiu Herz schlug gewaltig, wem.
er ihre Nähe spürte, aber — um keinen
Preis hätte er ihr dies sagen können, schon
aus Furcht nicht, daß er ihrem kalten, ab-
weisenden Blick begegnen könnte. Was konnte
sie dafür, sie hatte eben kein Herz, und er mußte oft an
ihre beiderseitige Jugendzeit denken, da war sie doch
anders gewesen, und wenn sie ihm auch nicht entgegen
gekommen war wie Line, sie war damals nicht kalt
gewesen, und er würde sie geheiratet haben, wenn nicht !
P. K. Rosegger. (S. 1t.)
dem um diese Zeit vorüberfahrenden Schnellzuge das
Zeichen geben, daß alles in Ordnung sei, er nahm die
Fahne aus der Ecke des Zimmers und ging damit
hinaus. Gleich darauf betrat die Frau den Raum,
um den Tisch für die Mittagsmahlzcit herzurichten.
Sie stellte die Teller auf den Tisch und trat zum
Fenster, um ihrem Manne nachzusehcn, und der Blick
welchem sie dieses that, verriet es nicht, daß sie
kein Herz hatte. Seufzend wandte sie sich
endlich vom Fenster ab und trat zum Tische.
Wie gut ihr jede Beweguug nustand, und
wie hübsch sie war! Sie war bald mit dein
Arrangement der Teller und Schüsseln fertig,
und sie wußte dem Gauzen einen gar netten
Anstrich zu geben; dann ging sie aus das
große Bett zu, auf dem augenblicklich ein
kleines, fast dreijähriges Mädchen schlummerte.
Mit zärtlichen Blicken betrachtete sie ihrSties-
töchterchen, gab dem blonden Kinderkopfe
eine bequemere Lage und bedeckte das rosige
Gesichtchen mit unzähligen Küssen. — Plötz-
lich horchte sie aus — sie erkannte den Schritt
ihres Mannes, und ihr Haupt eilig von
dem Kissen emporhebend, schüttelte sie nicht
eben saust die Arme des Kindes und rief:
„So steh doch auf. Du Murmeltier —
das denkt den ganzen Tag an nichts anderes
als an Schlafen und Essen und Trinken!"
„Aber, Käthe," ries der eben in die Stube
eingetretene Mann, „das Kind ist noch nicht
drei Jahre alt, wie kannst Du es uur über
das Herz bringen und von einem so kleinen
Kinde unmögliche Leistungen fordern; aber
freilich," fuhr er seufzend fort, „Du kannst
nichts dafür, denn Du hast ja kein Herz."
„Das hast Du mir schvu oft gesagt, hast
es vor unserer Hochzeit gewußt uud hast mich
doch genommen, nun wirst Du schon die Fol-
gen tragen müssen," antwortete sie.
Ihr Mann antwortete nicht, aber vor-
sichtig nahm er sein Kind aus dem Bette,
setzte es auf sein Knie und versuchte ihm
seine Suppe zu geben, während er oftmals
halblaut sagte:
„Armes Kind! Du armes, armes Kiud!"
seiue Liebesmühe war umsonst, das Kind
Doch f
verlangte von ihm fort "zur Mutter, der es leicht
wurde, ihm die Suppe cinzugeben, was dem Vater
nicht gelingen wollte.
Jochen schaute zwischen jedem Lössel Suppe den
Line aus der Stadt zurückgekommen wäre und ihm
gezeigt hätte, was Liebe war.
Es war nun gleich Mittagszeit; Jochen mußte mit
I. Im Sprung getroffen. — 2. Aufholen an Deck. — 3. Ausmessen des Fisches.
Jagd ans Sonnenfische im Atlantic. Origmalzcichnung von Willy Stöw er. (S. 15.)