Nur wenige Minuten waren verflossen, da war
auch Dietrich schon wieder an Julias Seite.
„Zürnen Sie noch, Cousine?"
„Ich sollte es; aber ich verzeihe Ihnen, weil Sie
nicht das Glück haben, Preuße zu sein, und daher
nicht wissen, wie stolz ein Preuße aus seinen großen
Friedrich ist."
„War es nur das, was Sie erzürnte, und lockte
Sie nicht etwas anderes fort, der Wunsch, mit jenem
Herrn von Treskow allein zu sein?"
Seine heißen Blicke bohrten sich bei dieser Frage
sest in ihr Antlitz.
„Seien Sie nicht lächerlich, Cousin," entgegnete sie
ihm mit einer Gelassenheit, die ihn wirklich beruhigte.
„Muß ich es Ihnen immer wiederholen, daß mich mit
dem Herrn von Treskow nichts verbindet als das ge-
meinsame Vaterland - "
„Nichts?"
„Und die Hochachtung vor einem klugen und aus-
gezeichneten Manne."
„Und keine wärmeren Gefühle? O, Cousine, nur
dies einemal sagen Sie mir die WahrlM, die volle
Wahrheit."
Sie blickte ihm sest in die Augen.
„Kein anderes Gefühl!"
Er atmete aus. „Ich glaube Ihnen, und," fügte
er bezeichnend hinzu, „hoffe!"
„Dazu habe ich Ihnen keine Veranlassung gegeben,"
entgegnete sie herbe.
„Verbieten Sie es mir?"
„Lassen Sie doch diese Gespräche im Ballsaal,
Vetter; sie sind zu ernst."
„Nun wohl, ein andermal denn, doch lange, Cou-
sine, ertrage ich die Ungewißheit nicht mehr."
„Mair tritt die Menuette au, wollen wir tauzen?"
„Unbarmherzige!"
Dennoch reichte er ihr die Hand und trat zum
Tanze an.
XI.
„Sie gehen also wirklich nach Augsburg, Cousins"
„In Geschäften, nm oousine, Sie wissen, wie viel
lieber ich in Ihrer Nähe bliebe."
Die Familie des Bürgermeisters saß in dem mit
reichen Holzschnitzereien und hohen Paneelen geschmückten
Speisezimmer beim Frühstück, als diese Worte zwischen
Julia und Dietrich gewechselt wurden.
Julia neigte sich zu Elfriede hin, die mit seltsam
bleichem Antlitz und seuchtschimmernden Allgen neben
ihr saß.
„Was meinst Du, Elfriede," fragte sie leise, aber
doch so, daß der neben ihr sitzende Dietrich es hören
konnte, „wollen wir ihn jetzt bitten? Das Wetter ist
ja noch nicht zu kühl, uud klar und heiter."
Elfriede wachte wie aus einem Traume aus.
„Ganz, wie Du willst, Julin!"
„Sie haben einen Wunsch, Cousine?" mischte sich
nun Dietrich ein. „Befehlen Sie ganz über mich."
„O, es ist nur ein Einfall!"
„Und welcher? Ich wäre glücklich. Ihnen dienen
zu können."
„Ihr leichtes Ruderboot bleibt unbenützt während
Ihrer Abwesenheit?"
„Allerdings; Sie wollten — ?"
„Nach Wunsch und Begier mich, wenn auch nur
für kurze Zeit, dem Vergnügen der Wasserfahrt hin-
geben."
„Lieben Sie dasselbe so? Und sind doch seit jenem
Feste bei mir vor mehr als vier Wochen nicht wieder
in Leipheim gewesen trotz meiner dringenden Bitten?"
„Sie wissen, ich war nicht wohl."
„Und jetzt?"
„Jetzt gerade sehne ich mich, noch die letzten Sonnen-
tage dieses Jahres auszunützen."
„Früher wäre das Wetter jedenfalls besser zu
Wasserpartien gewesen als jetzt am Ende des Oktober,"
mischte sich die Bürgermeisterin ein. „Aus dem Wasser
ist es kalt uud neblig, kein Ulmer denkt mehr daran,
jetzt noch aus der Donau Luftfahrten zu unternehmen."
„Das ist es eben, was mich reizt! Sie kennen meine
Neigung, eböro tauts, gerade das nicht zu thun, was
jedermann thut. Das Besondere ist nun einmal meine
Passion."
Der Bürgermeister, der wie gewöhnlich beim Früh-
stück mit dem Durchsetzen der eingelausenen Brief-
schaften beschäftigt war, schüttelte unmutig den Kopf.
„Frauenzimmerlaunen!" brummte er ärgerlich vor
sich hin. Ihm war die schöne eigenwillige Nichte, die
sich vermaß, eine Art Herrschaft im Hause neben ihm
und gegen ihn auszuüben, durchaus nicht sympathisch.
Schon verschiedenemale war er mit seiner Frau ihret-
wegen in Streit geraten und hatte ihr aufs entschie-
denste erklärt, er sei durchaus ihrem Heiratsprojekt
zwischen Dietrich und Julia entgegen. Die Gräfin
Montelieu passe nicht für den Sohn, und es würde
nichts Gutes aus der Ehe werden, wenn der thörichte
Junge aus diesem Bündnis bestünde. Für den Ulmer
Patriziersohn könne die schöne Julia trotz ihrer Reich-
tümer uud ihrer Vornehmheit durch ihre Eigenschaft
als preußische Unterthanin eher ein Hindernis als ein
Vorteil werden. Dennoch war er klug genug, der
Sache ihren Laus zu lassen und durch zu frühzeitige
Einmischung den Widerstand des Sohnes nicht zu
reizen, um so mehr, da Julia sich immer in der gleichen,
freundlich kühlen Weise den Huldigungen ihres Vetters
gegenüber verhielt.
Trotz des Widerspruches von Vater uud Mutter
giug Dietrich doch bereitwillig auf Julias Wuusch iu
Betreff des Bootes ein.
„Es soll von morgen früh an zu Ihrer Disposition
stehen, Cousine. Heute indessen muß ich es noch zur
Rückfahrt uach Leipheim beuützeu."
„Tausend Dank, Cousin."
Sie reichte ihm die Hand hin, über die er sich
galant neigte. In seinem Herzen aber sah es durch-
aus nicht so ruhig aus. Ein Verdacht war in ihm
ausgestiegen. Nicht wie der Vater betrachtete er dieses
Verlangen der schönen Cousine als eine Frauenzimmer-
laune, sondern seine Eifersucht flüsterte ihm zu, sie
wolle den Nachen benützen, um geheime Zusammen-
künfte mit Treskow zu haben. Sollte sein Argwohn
aus Wahrheit beruhen, so bot sich ihm jetzt die beste
Gelegenheit, das Spiel der beiden zu enthüllen. Er
brauchte nur dazu den Unbefangenen zu spielen, Julia
sicher zu machen und sie zu gegebener Zeit zu über-
raschen.
Als man sich vom Frühstückstische erhob, zog sich
der Bürgermeister mit dem Sohne, der sich von den
Damen schon verabschiedet hatte, noch zu kurzem Zwie-
gespräche in den Erker zurück.
Frau von Hochstätten verließ das Gemach, sich nach
den Wirtschastsräumen zu begeben. Elfriede und Julia
jedoch verweilten noch, um das Linnen vom Tische zu-
sammen zu falten und in den Schrank zu legen. Die
beiden im Erker Befindlichen mußten sie indessen nicht
mehr für gegenwärtig halten; denn sie erörterten, ob-
wohl halblaut, so doch für die Mädchen vernehmlich,
einige, die Stadt berührende Angelegenheiten, die der
Herr Bürgermeister sonst vor weiblichen Ohren sorg-
fältig zu hüten pflegte.
„Wann gedenkst Du zurückzukehren?" hörten sie
den Bürgermeister Dietrich' fragen.
„Ich hoffe in einigen Tagen mit meinen Geschäften
in Augsburg fertig zu werden."
„Richte Dich aus jeden Fall so ein, daß Du spä-
testens Freitag früh in Nlm bist. Am Nachmittag
drei Uhr soll die Exekution an dem preußischen Werbe-
offizier vollzogen werden. Ich wünsche, daß Du da-
bei bist."
Dietrich machte eiue abwehrende Bewegung.
„Sie wissen, Herr Vater, daß ich dergleichen Schau-
spiele nicht liebe, und nun gar, da es sich nm einen
Verwandten des preußischen Ministerresidenten handelt,
in dessen Hause wir verkehreu. Für meinen Herrn
Vater erfordert es das Amt, aber für mich? Schon
neulich an jenem Festabende kam es zu unliebsamen
Erörterungen über diese Angelegenheit zwischen mir
und den anwesenden Preußen."
„Gleichviel, Du wirst dabei seiu. Du keuust die
politische Bedeutung, die diese Hinrichtung für die
Stadt Ulm hat. Ein Wahrzeichen soll sie sein des
selbst gegen den stolzen König von Preußen aufrecht
erhaltenen heiligen Rechtes der freien Stadt, jede gegen
einen ihrer Bürger begangene Uebelthat nach dem
Gesetz zu strafen, wesst Standes und welcher Nation
auch der Verbrecher sei. Uud daß wir sür unsere
That mit Leib und Leben auch einzustehen bereit sind,
das werden alle Ulmer Bürger, und voran der Magi-
strat und die Patrizier, durch ihre Gegenwart bei der
Hinrichtung öffentlich bezeugen. Du begreifst, daß mein
Sohn dabei nicht fehlen darf."
„Wenn Sie befehlen, Herr Vater, ich habe natürlich
zu gehorchen. Doch haben Sie auch schon an die Frauen
gedacht? Unmöglich können diese an jenem Tage in
Ulm gegenwärtig sein, vielleicht gar den Zug mit dem
Delinquenten an den Fenstern vorbeiziehen sehen. Das
hieße den zarten Nerven unserer Elfriede, die ja ein
besonderes Interesse sür jenen Favrat hegt, zu viel
zumuten, und Cousine Julia zudem ist preußische Unter-
thanin."
„Das habe ich längst erwogen und schon mit der
Mutter mich verständigt, daß sie schon am Abend vor-
her mit den Mädchen nach Biberach zu unseren Freun-
den, den Rumzenhagens, aus Besuch gehen wird. Der
alte Konrad wird sie sicher hingeleiten."
Elfriede war einer Ohnmacht nahe, sie vermochte
kaum mit den zitternden Fingern den geöffneten Schrank
wieder zu schließen. Stützend legte Julia ihren Arm
um die zarte Gestalt und zog sie sanft mit sich hinaus.
Auch sie fühlte sich kaum noch ihrer Sinne mächtig,
vor ihren Augen flimmerte es; sie sah das schauerliche
Gerüst auf dem Galgenberge im Geiste vor sich aus-
steigen und Favrat, ihren Favrat von rohen Henkers-
knechten dorthin geführt. Dennoch suchte sie ihre Er-
regung gewaltsam niederzuzwingen. Nur jetzt keine
Schwäche, nun alles davon abhiug, daß sie Akut und
Illustriere Welt.
127
Fassung zu dem großen Nettungswerke behielt; ein
Scheitern desselben mußte ja auch sür sie das Ende
sein. Denn noch weiter zu leben, wenn der Geliebte
wirklich in Schmach und Elend geendigt hatte, das
deuchte ihr eine Unmöglichkeit. Entweder mit ihm das
höchste Glück des Lebens iu gegenseitigem Besitz er-
ringen oder mit ihm sterben.
Mit diesem Entschlüsse war sie von Berlin fort-
gegangen, und so stand es auch jetzt iu ihrer Seele
fest. Elfriede ließ sich geduldig von dem starken Arme
Julias bis zu ihrer Kammer geleiten. Dort sank sie
aufschluchzend an der Cousine Brust.
„Er wird sterben," jammerte sie, „sterben, Julia,
und ich kann nichts thun, ihn zu retten."
Sanft drückte Julia des Mädchens blondes Haupt
an sich, während ihre Augen wie verloren in die Weite
schweiften.
„Ist unsere Macht zu Ende, Elfriede, so bleibt
noch Gott, vertrau aus ihn!"
„Jetzt kann auch Gott nicht mehr Helsen! So nah
schon das Entsetzliche! O, daß Dein König, den Du
so sehr liebst, von dem Du mir so viel Großes und
Herrliches erzählt hast, doch nichts, nichts zu thun
vermag, um einen Getreuen, der im Eifer sür seinen
Dienst gefehlt hat, vom schimpflichen Tode zu erretten!"
„Weißt Du denn, ob er ihn nicht doch noch errettet?
Urteile nicht zu früh, Elfriede."
- Diese richtete sich plötzlich mit einem leisen Auf-
schrei empor und blickte der Cousine sest ins Gesicht.
„Julia, wenn Du etwas weißt, so sei barmherzig.
Plant man eine Rettung?"
„Und wenn ich Dir sagte, ja, was hoffst Du da-
von sür Dich, armes Kind? Deine Liebe zu Favrat
ist eine Thorheit, lösche sie ans Deinem Herzen aus;
auch der Gerettete wäre Dir sür alle Zeit verloren,
nie dürfte sein Fuß mehr Ulm betreten. Du würdest
ihu niemals Wiedersehen."
„Sei's drum. Ich begehre ihn ja nicht sür mich.
Nur leben soll er, leben, nicht so furchtbar zu Grunde
gehen. Sei jetzt nur offen zu mir. Du sprachst neulich
so lange im geheimen mit dem Herrn von Treskow.
Favrat ist sein Landsmann. Beabsichtigt er etwas sür
den Bedrohten zu thun?"
„Frage mich nicht, Kind. Wüßte ich selbst etwas,
müßte ich doch schweigen."
„Auch gegen mich, die ihr Leben hingeben möchte,
nm den Aermsten zu befreien?"
„Glaube mir, es ist besser so/Du bleibst der Sache
fern. Bist Du doch des Bürgermeisters Tochter, nach
dessen Machtspruch er zum Tode geführt werden soll."
„Und deshalb? — O, Julia!"
„Sei ruhig, Liebling, wir werden uns Deiner Hilfe
bedienen, soweit es in Anbetracht der Verhältnisse
möglich ist - ja heute, gleich —"
Ueber Elsriedens bleiches Gesichtchen zog cs wie ein
lichter Glanz.
„Dank, tausend Dank! O, sage rasch, was kaun
ich thun?"
„Nur uns noch einmal Deine Rose leihen, uud sie
mit einem Korbe, den aber ich Dir geben werde, und
den Du, wie auch sonst schon, mit Früchten des Gartens
füllen wirst, zu dem Gefangenen senden. Du verstehst,
Elfriede, nicht wahr? uud beobachtest die größte Vor-
sicht?"
„Verlaß Dich aus mich, Julia!"
„Vor allem beherrsche Deine Mienen, selbst vor der
Mutter. Bedenke, alles steht aus dem Spiele, alles
hängt von unserer Besonnenheit, unserer Fassung ab."
„Ich verspreche Dir, stark zu sein. O, wenn er
nur sein Leben rettet — alles, alles sonst will ich ge-
lassen ertragen, seinen Tod nur vermöchte ich nimmer
zu verwinden."
Weinend sank sie an Julias Brust und umfing sie
mit ihren Armen. Diese beugte sich über das blonde
Haupt der Cousine und berührte es leise mit ihren
Lippen. In ihren dunklen Augen flammte es auf
eine feste Entschlossenheit lag auf ihren schönen Zügen.
Sie war über das Zagen und Zittern, das des sanften
Kindes Sein durchbebte, das sich schluchzend an ihrem
Halse ausweinte, lange hinaus. Ob so, oder so, nicht
Welt noch Menschenmacht sollte sie mehr von ihm
scheiden, entweder Freiheit und Glück sür sie beide, oder
mit ihm den Tod! Das hatte sie sich g-elobt.
„Still, still!" flüsterte sie leise zu der Weinenden
herab. „Thun wir das unsere, und seien wir gefaßt
auf alles, wie es auch kommen mag."
Sanft löste sie sich aus Elsriedens Armen und
wandte sich der Thüre zu. „Jetzt heißt es jeden Augen-
blick benützen und handeln, komm, folge mir, Elfriede,
daß wir das Nötige bereiten." (Fortsetzung folgt.)
Am Renaler Strand.
(Bild S. 121.)
Wenn man von Norden her mit dem Tampfboot, vorüber
an den vorgelagerten Inseln Wulf und Nargen, in die Nevaler
Bucht einfährt, fühlt man sich angenehm überrascht beim Anblick
auch Dietrich schon wieder an Julias Seite.
„Zürnen Sie noch, Cousine?"
„Ich sollte es; aber ich verzeihe Ihnen, weil Sie
nicht das Glück haben, Preuße zu sein, und daher
nicht wissen, wie stolz ein Preuße aus seinen großen
Friedrich ist."
„War es nur das, was Sie erzürnte, und lockte
Sie nicht etwas anderes fort, der Wunsch, mit jenem
Herrn von Treskow allein zu sein?"
Seine heißen Blicke bohrten sich bei dieser Frage
sest in ihr Antlitz.
„Seien Sie nicht lächerlich, Cousin," entgegnete sie
ihm mit einer Gelassenheit, die ihn wirklich beruhigte.
„Muß ich es Ihnen immer wiederholen, daß mich mit
dem Herrn von Treskow nichts verbindet als das ge-
meinsame Vaterland - "
„Nichts?"
„Und die Hochachtung vor einem klugen und aus-
gezeichneten Manne."
„Und keine wärmeren Gefühle? O, Cousine, nur
dies einemal sagen Sie mir die WahrlM, die volle
Wahrheit."
Sie blickte ihm sest in die Augen.
„Kein anderes Gefühl!"
Er atmete aus. „Ich glaube Ihnen, und," fügte
er bezeichnend hinzu, „hoffe!"
„Dazu habe ich Ihnen keine Veranlassung gegeben,"
entgegnete sie herbe.
„Verbieten Sie es mir?"
„Lassen Sie doch diese Gespräche im Ballsaal,
Vetter; sie sind zu ernst."
„Nun wohl, ein andermal denn, doch lange, Cou-
sine, ertrage ich die Ungewißheit nicht mehr."
„Mair tritt die Menuette au, wollen wir tauzen?"
„Unbarmherzige!"
Dennoch reichte er ihr die Hand und trat zum
Tanze an.
XI.
„Sie gehen also wirklich nach Augsburg, Cousins"
„In Geschäften, nm oousine, Sie wissen, wie viel
lieber ich in Ihrer Nähe bliebe."
Die Familie des Bürgermeisters saß in dem mit
reichen Holzschnitzereien und hohen Paneelen geschmückten
Speisezimmer beim Frühstück, als diese Worte zwischen
Julia und Dietrich gewechselt wurden.
Julia neigte sich zu Elfriede hin, die mit seltsam
bleichem Antlitz und seuchtschimmernden Allgen neben
ihr saß.
„Was meinst Du, Elfriede," fragte sie leise, aber
doch so, daß der neben ihr sitzende Dietrich es hören
konnte, „wollen wir ihn jetzt bitten? Das Wetter ist
ja noch nicht zu kühl, uud klar und heiter."
Elfriede wachte wie aus einem Traume aus.
„Ganz, wie Du willst, Julin!"
„Sie haben einen Wunsch, Cousine?" mischte sich
nun Dietrich ein. „Befehlen Sie ganz über mich."
„O, es ist nur ein Einfall!"
„Und welcher? Ich wäre glücklich. Ihnen dienen
zu können."
„Ihr leichtes Ruderboot bleibt unbenützt während
Ihrer Abwesenheit?"
„Allerdings; Sie wollten — ?"
„Nach Wunsch und Begier mich, wenn auch nur
für kurze Zeit, dem Vergnügen der Wasserfahrt hin-
geben."
„Lieben Sie dasselbe so? Und sind doch seit jenem
Feste bei mir vor mehr als vier Wochen nicht wieder
in Leipheim gewesen trotz meiner dringenden Bitten?"
„Sie wissen, ich war nicht wohl."
„Und jetzt?"
„Jetzt gerade sehne ich mich, noch die letzten Sonnen-
tage dieses Jahres auszunützen."
„Früher wäre das Wetter jedenfalls besser zu
Wasserpartien gewesen als jetzt am Ende des Oktober,"
mischte sich die Bürgermeisterin ein. „Aus dem Wasser
ist es kalt uud neblig, kein Ulmer denkt mehr daran,
jetzt noch aus der Donau Luftfahrten zu unternehmen."
„Das ist es eben, was mich reizt! Sie kennen meine
Neigung, eböro tauts, gerade das nicht zu thun, was
jedermann thut. Das Besondere ist nun einmal meine
Passion."
Der Bürgermeister, der wie gewöhnlich beim Früh-
stück mit dem Durchsetzen der eingelausenen Brief-
schaften beschäftigt war, schüttelte unmutig den Kopf.
„Frauenzimmerlaunen!" brummte er ärgerlich vor
sich hin. Ihm war die schöne eigenwillige Nichte, die
sich vermaß, eine Art Herrschaft im Hause neben ihm
und gegen ihn auszuüben, durchaus nicht sympathisch.
Schon verschiedenemale war er mit seiner Frau ihret-
wegen in Streit geraten und hatte ihr aufs entschie-
denste erklärt, er sei durchaus ihrem Heiratsprojekt
zwischen Dietrich und Julia entgegen. Die Gräfin
Montelieu passe nicht für den Sohn, und es würde
nichts Gutes aus der Ehe werden, wenn der thörichte
Junge aus diesem Bündnis bestünde. Für den Ulmer
Patriziersohn könne die schöne Julia trotz ihrer Reich-
tümer uud ihrer Vornehmheit durch ihre Eigenschaft
als preußische Unterthanin eher ein Hindernis als ein
Vorteil werden. Dennoch war er klug genug, der
Sache ihren Laus zu lassen und durch zu frühzeitige
Einmischung den Widerstand des Sohnes nicht zu
reizen, um so mehr, da Julia sich immer in der gleichen,
freundlich kühlen Weise den Huldigungen ihres Vetters
gegenüber verhielt.
Trotz des Widerspruches von Vater uud Mutter
giug Dietrich doch bereitwillig auf Julias Wuusch iu
Betreff des Bootes ein.
„Es soll von morgen früh an zu Ihrer Disposition
stehen, Cousine. Heute indessen muß ich es noch zur
Rückfahrt uach Leipheim beuützeu."
„Tausend Dank, Cousin."
Sie reichte ihm die Hand hin, über die er sich
galant neigte. In seinem Herzen aber sah es durch-
aus nicht so ruhig aus. Ein Verdacht war in ihm
ausgestiegen. Nicht wie der Vater betrachtete er dieses
Verlangen der schönen Cousine als eine Frauenzimmer-
laune, sondern seine Eifersucht flüsterte ihm zu, sie
wolle den Nachen benützen, um geheime Zusammen-
künfte mit Treskow zu haben. Sollte sein Argwohn
aus Wahrheit beruhen, so bot sich ihm jetzt die beste
Gelegenheit, das Spiel der beiden zu enthüllen. Er
brauchte nur dazu den Unbefangenen zu spielen, Julia
sicher zu machen und sie zu gegebener Zeit zu über-
raschen.
Als man sich vom Frühstückstische erhob, zog sich
der Bürgermeister mit dem Sohne, der sich von den
Damen schon verabschiedet hatte, noch zu kurzem Zwie-
gespräche in den Erker zurück.
Frau von Hochstätten verließ das Gemach, sich nach
den Wirtschastsräumen zu begeben. Elfriede und Julia
jedoch verweilten noch, um das Linnen vom Tische zu-
sammen zu falten und in den Schrank zu legen. Die
beiden im Erker Befindlichen mußten sie indessen nicht
mehr für gegenwärtig halten; denn sie erörterten, ob-
wohl halblaut, so doch für die Mädchen vernehmlich,
einige, die Stadt berührende Angelegenheiten, die der
Herr Bürgermeister sonst vor weiblichen Ohren sorg-
fältig zu hüten pflegte.
„Wann gedenkst Du zurückzukehren?" hörten sie
den Bürgermeister Dietrich' fragen.
„Ich hoffe in einigen Tagen mit meinen Geschäften
in Augsburg fertig zu werden."
„Richte Dich aus jeden Fall so ein, daß Du spä-
testens Freitag früh in Nlm bist. Am Nachmittag
drei Uhr soll die Exekution an dem preußischen Werbe-
offizier vollzogen werden. Ich wünsche, daß Du da-
bei bist."
Dietrich machte eiue abwehrende Bewegung.
„Sie wissen, Herr Vater, daß ich dergleichen Schau-
spiele nicht liebe, und nun gar, da es sich nm einen
Verwandten des preußischen Ministerresidenten handelt,
in dessen Hause wir verkehreu. Für meinen Herrn
Vater erfordert es das Amt, aber für mich? Schon
neulich an jenem Festabende kam es zu unliebsamen
Erörterungen über diese Angelegenheit zwischen mir
und den anwesenden Preußen."
„Gleichviel, Du wirst dabei seiu. Du keuust die
politische Bedeutung, die diese Hinrichtung für die
Stadt Ulm hat. Ein Wahrzeichen soll sie sein des
selbst gegen den stolzen König von Preußen aufrecht
erhaltenen heiligen Rechtes der freien Stadt, jede gegen
einen ihrer Bürger begangene Uebelthat nach dem
Gesetz zu strafen, wesst Standes und welcher Nation
auch der Verbrecher sei. Uud daß wir sür unsere
That mit Leib und Leben auch einzustehen bereit sind,
das werden alle Ulmer Bürger, und voran der Magi-
strat und die Patrizier, durch ihre Gegenwart bei der
Hinrichtung öffentlich bezeugen. Du begreifst, daß mein
Sohn dabei nicht fehlen darf."
„Wenn Sie befehlen, Herr Vater, ich habe natürlich
zu gehorchen. Doch haben Sie auch schon an die Frauen
gedacht? Unmöglich können diese an jenem Tage in
Ulm gegenwärtig sein, vielleicht gar den Zug mit dem
Delinquenten an den Fenstern vorbeiziehen sehen. Das
hieße den zarten Nerven unserer Elfriede, die ja ein
besonderes Interesse sür jenen Favrat hegt, zu viel
zumuten, und Cousine Julia zudem ist preußische Unter-
thanin."
„Das habe ich längst erwogen und schon mit der
Mutter mich verständigt, daß sie schon am Abend vor-
her mit den Mädchen nach Biberach zu unseren Freun-
den, den Rumzenhagens, aus Besuch gehen wird. Der
alte Konrad wird sie sicher hingeleiten."
Elfriede war einer Ohnmacht nahe, sie vermochte
kaum mit den zitternden Fingern den geöffneten Schrank
wieder zu schließen. Stützend legte Julia ihren Arm
um die zarte Gestalt und zog sie sanft mit sich hinaus.
Auch sie fühlte sich kaum noch ihrer Sinne mächtig,
vor ihren Augen flimmerte es; sie sah das schauerliche
Gerüst auf dem Galgenberge im Geiste vor sich aus-
steigen und Favrat, ihren Favrat von rohen Henkers-
knechten dorthin geführt. Dennoch suchte sie ihre Er-
regung gewaltsam niederzuzwingen. Nur jetzt keine
Schwäche, nun alles davon abhiug, daß sie Akut und
Illustriere Welt.
127
Fassung zu dem großen Nettungswerke behielt; ein
Scheitern desselben mußte ja auch sür sie das Ende
sein. Denn noch weiter zu leben, wenn der Geliebte
wirklich in Schmach und Elend geendigt hatte, das
deuchte ihr eine Unmöglichkeit. Entweder mit ihm das
höchste Glück des Lebens iu gegenseitigem Besitz er-
ringen oder mit ihm sterben.
Mit diesem Entschlüsse war sie von Berlin fort-
gegangen, und so stand es auch jetzt iu ihrer Seele
fest. Elfriede ließ sich geduldig von dem starken Arme
Julias bis zu ihrer Kammer geleiten. Dort sank sie
aufschluchzend an der Cousine Brust.
„Er wird sterben," jammerte sie, „sterben, Julia,
und ich kann nichts thun, ihn zu retten."
Sanft drückte Julia des Mädchens blondes Haupt
an sich, während ihre Augen wie verloren in die Weite
schweiften.
„Ist unsere Macht zu Ende, Elfriede, so bleibt
noch Gott, vertrau aus ihn!"
„Jetzt kann auch Gott nicht mehr Helsen! So nah
schon das Entsetzliche! O, daß Dein König, den Du
so sehr liebst, von dem Du mir so viel Großes und
Herrliches erzählt hast, doch nichts, nichts zu thun
vermag, um einen Getreuen, der im Eifer sür seinen
Dienst gefehlt hat, vom schimpflichen Tode zu erretten!"
„Weißt Du denn, ob er ihn nicht doch noch errettet?
Urteile nicht zu früh, Elfriede."
- Diese richtete sich plötzlich mit einem leisen Auf-
schrei empor und blickte der Cousine sest ins Gesicht.
„Julia, wenn Du etwas weißt, so sei barmherzig.
Plant man eine Rettung?"
„Und wenn ich Dir sagte, ja, was hoffst Du da-
von sür Dich, armes Kind? Deine Liebe zu Favrat
ist eine Thorheit, lösche sie ans Deinem Herzen aus;
auch der Gerettete wäre Dir sür alle Zeit verloren,
nie dürfte sein Fuß mehr Ulm betreten. Du würdest
ihu niemals Wiedersehen."
„Sei's drum. Ich begehre ihn ja nicht sür mich.
Nur leben soll er, leben, nicht so furchtbar zu Grunde
gehen. Sei jetzt nur offen zu mir. Du sprachst neulich
so lange im geheimen mit dem Herrn von Treskow.
Favrat ist sein Landsmann. Beabsichtigt er etwas sür
den Bedrohten zu thun?"
„Frage mich nicht, Kind. Wüßte ich selbst etwas,
müßte ich doch schweigen."
„Auch gegen mich, die ihr Leben hingeben möchte,
nm den Aermsten zu befreien?"
„Glaube mir, es ist besser so/Du bleibst der Sache
fern. Bist Du doch des Bürgermeisters Tochter, nach
dessen Machtspruch er zum Tode geführt werden soll."
„Und deshalb? — O, Julia!"
„Sei ruhig, Liebling, wir werden uns Deiner Hilfe
bedienen, soweit es in Anbetracht der Verhältnisse
möglich ist - ja heute, gleich —"
Ueber Elsriedens bleiches Gesichtchen zog cs wie ein
lichter Glanz.
„Dank, tausend Dank! O, sage rasch, was kaun
ich thun?"
„Nur uns noch einmal Deine Rose leihen, uud sie
mit einem Korbe, den aber ich Dir geben werde, und
den Du, wie auch sonst schon, mit Früchten des Gartens
füllen wirst, zu dem Gefangenen senden. Du verstehst,
Elfriede, nicht wahr? uud beobachtest die größte Vor-
sicht?"
„Verlaß Dich aus mich, Julia!"
„Vor allem beherrsche Deine Mienen, selbst vor der
Mutter. Bedenke, alles steht aus dem Spiele, alles
hängt von unserer Besonnenheit, unserer Fassung ab."
„Ich verspreche Dir, stark zu sein. O, wenn er
nur sein Leben rettet — alles, alles sonst will ich ge-
lassen ertragen, seinen Tod nur vermöchte ich nimmer
zu verwinden."
Weinend sank sie an Julias Brust und umfing sie
mit ihren Armen. Diese beugte sich über das blonde
Haupt der Cousine und berührte es leise mit ihren
Lippen. In ihren dunklen Augen flammte es auf
eine feste Entschlossenheit lag auf ihren schönen Zügen.
Sie war über das Zagen und Zittern, das des sanften
Kindes Sein durchbebte, das sich schluchzend an ihrem
Halse ausweinte, lange hinaus. Ob so, oder so, nicht
Welt noch Menschenmacht sollte sie mehr von ihm
scheiden, entweder Freiheit und Glück sür sie beide, oder
mit ihm den Tod! Das hatte sie sich g-elobt.
„Still, still!" flüsterte sie leise zu der Weinenden
herab. „Thun wir das unsere, und seien wir gefaßt
auf alles, wie es auch kommen mag."
Sanft löste sie sich aus Elsriedens Armen und
wandte sich der Thüre zu. „Jetzt heißt es jeden Augen-
blick benützen und handeln, komm, folge mir, Elfriede,
daß wir das Nötige bereiten." (Fortsetzung folgt.)
Am Renaler Strand.
(Bild S. 121.)
Wenn man von Norden her mit dem Tampfboot, vorüber
an den vorgelagerten Inseln Wulf und Nargen, in die Nevaler
Bucht einfährt, fühlt man sich angenehm überrascht beim Anblick