Illustrirte Welt.
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Auf Puerto-Nico: Eine Kaffeeplantage. (S. 435.)
Auf Puerto-Nico: Banditen zur Hinrichtung geführt. (S. 435.)
gute Saat zeitigte, ließ auch das Unkraut auf-
schießen, und so brach als das richtige, wenn auch
ungeratene Kind seiner Zeit der berüchtigte Kolpor-
tageroman sich Bahn. Wir Wüllen dieses unschöne
Produkt nichts weniger als beschönigen; im Gegen-
teil, auch uns gilt es als ein Schandfleck unserer
Literatur, und wir sind die ersten, die, wenn es
seine Bekämpfung gilt, Waffen und Mannschaft
zu diesem Kampfe zu stellen bereit fiud. Nur be-
ginne man den Kampf in richtiger und vernünftiger
Weise und amputire nicht da, wo es sich um weg-
zuätzende Geschwüre handelt, gleich ganze Glied-
maßen. Um die Sache kurz zu macheu, der Kolpor-
tageroman ist nichts anderes als die Entartung
eines Genres, das vor noch nicht allzu langer Zeit
als das typische der Romaudichtung gelten konnte,
des Abentenrerromans, ein durch eine lange Gene-
rationsreihe vermittelter, verwildeter und verspäteter
Nachkömmling einerseits des spanischen Lazarillo
de Tormes und andererseits des deutschen Simpli-
zissimus. Das Hauptziel, das er verfolgt, ist
Spannung, und zwar Spannung um jeden Preis;
inhaltlich bietet er nichts dar als eine ungereimte
Verkettung möglichst abenteuerlicher Situationen,
Die deutsche Gesetzgebung und der
Kolportogelmchhündel.
ALHekannt ist der alte Märchenschwank von dem
täppischen Meister Petz, der seinem schlafen-
den Herrn eine Fliege von der Nase scheuchen
wollte und dabei mit seiner Tatze so gröblich drein-
fuhr, daß das arme Menschenkind darüber sein
Leben laßen mußte. Wie oft ist, vielleicht seit
Jahrtausenden, der zottige Held dieses Mürleins
verlacht und wie wenig ist doch der Sinn der
tragi-komischen Fabeldichtung ersaßt worden, und
das gerade innerhalb der gebildeten Schichten unseres
Volkes! Wäre es sonst möglich, daß seit mehr als
einem Jahrzehnt unsere Gesetzgebung dem buch-
händlerischen Gewerbe, um einem seiner Auswüchse
zu begegnen, Schlag auf Schlag hat versetzen
können, und daß sie sich neuerdings anschickt, es in
einem seiner blühendsten Zweige, wenn nicht zu
vernichten, so doch so gut wie brach zu legen! Der
Schund- und Schmutzliteratur und vor allem dem
so viel genannten (und im Grunde genommen doch
fo wenig gekannten) Kolportage- oder Hintertreppen-
romane will man eins versetzen und dem so wichti-
gen Kolportage- oder — um die Sache gleich beim
richtigen Namen zu nennen — Lieferungsbuchhandel
schickt man sich an, die Lebensader zu unterbinden.
Das, und nichts mehr und nicht minder, bezweckt,
mit Absicht oder nicht, der bereits vor Jahresfrist
im deutschen Reichstag eingebrachte und neuerdings
wieder aufgenommene Antrag der Abgeordneten
Gröber, Hitze und Genossen, Abänderung beziehungs-
weise Ergänzung der Gewerbeordnung betreffend.
Als nach dem Fallen innerlich längst vermorschter
und nur uoch durch staatlichen Zwang aufrecht er-
haltener Schranken die freiere Bewegung kam, nahm
der Sortimentsbuchhandel willig die Stütze an, die
der fliegende Buchhandel, das Hausir- und Kol-
portagegeschäft ihm darbot. Der Vertrieb an öffent-
licher Stätte, das Feilbieten und die Nachfrage von
Haus zu Haus erschlossen Absatzgebiete, aus die mau
früher, bei den: schwerfälligen System der Ansicht-
sendung und der Vestellungsentgegennahme lediglich
an der Geschäftsstelle, gar nicht zu hoffen gewagt
hatte. Jetzt erst war, da Abnehmer in Hülle und
Fülle zu/Hand waren und die mit dem Geschäfte
wesentlich verbundene Barzahlung die Aufwendung
großer Mittel gestattete, das eigentliche Lieferungs-
werk möglich, und diesem wandte denn auch im
richtigen Erschauen der gegebenen Verhältnisse der
deutsche Verlag sein wesentliches Augenmerk zu.
Schlag auf Schlag erschienen nunmehr in Aus-
lagen, die man wenige Zeit zuvor noch für geradezu
illusorisch gehalten hätte, Klassikerausgaben, ency-
klopädifche und naturwissenschaftliche Werke und vor
allem, geradezu als Erfordernis der Zeit, illustrirte
Zeitschriften. Derselbe Nährboden aber, der die
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Auf Puerto-Nico: Eine Kaffeeplantage. (S. 435.)
Auf Puerto-Nico: Banditen zur Hinrichtung geführt. (S. 435.)
gute Saat zeitigte, ließ auch das Unkraut auf-
schießen, und so brach als das richtige, wenn auch
ungeratene Kind seiner Zeit der berüchtigte Kolpor-
tageroman sich Bahn. Wir Wüllen dieses unschöne
Produkt nichts weniger als beschönigen; im Gegen-
teil, auch uns gilt es als ein Schandfleck unserer
Literatur, und wir sind die ersten, die, wenn es
seine Bekämpfung gilt, Waffen und Mannschaft
zu diesem Kampfe zu stellen bereit fiud. Nur be-
ginne man den Kampf in richtiger und vernünftiger
Weise und amputire nicht da, wo es sich um weg-
zuätzende Geschwüre handelt, gleich ganze Glied-
maßen. Um die Sache kurz zu macheu, der Kolpor-
tageroman ist nichts anderes als die Entartung
eines Genres, das vor noch nicht allzu langer Zeit
als das typische der Romaudichtung gelten konnte,
des Abentenrerromans, ein durch eine lange Gene-
rationsreihe vermittelter, verwildeter und verspäteter
Nachkömmling einerseits des spanischen Lazarillo
de Tormes und andererseits des deutschen Simpli-
zissimus. Das Hauptziel, das er verfolgt, ist
Spannung, und zwar Spannung um jeden Preis;
inhaltlich bietet er nichts dar als eine ungereimte
Verkettung möglichst abenteuerlicher Situationen,
Die deutsche Gesetzgebung und der
Kolportogelmchhündel.
ALHekannt ist der alte Märchenschwank von dem
täppischen Meister Petz, der seinem schlafen-
den Herrn eine Fliege von der Nase scheuchen
wollte und dabei mit seiner Tatze so gröblich drein-
fuhr, daß das arme Menschenkind darüber sein
Leben laßen mußte. Wie oft ist, vielleicht seit
Jahrtausenden, der zottige Held dieses Mürleins
verlacht und wie wenig ist doch der Sinn der
tragi-komischen Fabeldichtung ersaßt worden, und
das gerade innerhalb der gebildeten Schichten unseres
Volkes! Wäre es sonst möglich, daß seit mehr als
einem Jahrzehnt unsere Gesetzgebung dem buch-
händlerischen Gewerbe, um einem seiner Auswüchse
zu begegnen, Schlag auf Schlag hat versetzen
können, und daß sie sich neuerdings anschickt, es in
einem seiner blühendsten Zweige, wenn nicht zu
vernichten, so doch so gut wie brach zu legen! Der
Schund- und Schmutzliteratur und vor allem dem
so viel genannten (und im Grunde genommen doch
fo wenig gekannten) Kolportage- oder Hintertreppen-
romane will man eins versetzen und dem so wichti-
gen Kolportage- oder — um die Sache gleich beim
richtigen Namen zu nennen — Lieferungsbuchhandel
schickt man sich an, die Lebensader zu unterbinden.
Das, und nichts mehr und nicht minder, bezweckt,
mit Absicht oder nicht, der bereits vor Jahresfrist
im deutschen Reichstag eingebrachte und neuerdings
wieder aufgenommene Antrag der Abgeordneten
Gröber, Hitze und Genossen, Abänderung beziehungs-
weise Ergänzung der Gewerbeordnung betreffend.
Als nach dem Fallen innerlich längst vermorschter
und nur uoch durch staatlichen Zwang aufrecht er-
haltener Schranken die freiere Bewegung kam, nahm
der Sortimentsbuchhandel willig die Stütze an, die
der fliegende Buchhandel, das Hausir- und Kol-
portagegeschäft ihm darbot. Der Vertrieb an öffent-
licher Stätte, das Feilbieten und die Nachfrage von
Haus zu Haus erschlossen Absatzgebiete, aus die mau
früher, bei den: schwerfälligen System der Ansicht-
sendung und der Vestellungsentgegennahme lediglich
an der Geschäftsstelle, gar nicht zu hoffen gewagt
hatte. Jetzt erst war, da Abnehmer in Hülle und
Fülle zu/Hand waren und die mit dem Geschäfte
wesentlich verbundene Barzahlung die Aufwendung
großer Mittel gestattete, das eigentliche Lieferungs-
werk möglich, und diesem wandte denn auch im
richtigen Erschauen der gegebenen Verhältnisse der
deutsche Verlag sein wesentliches Augenmerk zu.
Schlag auf Schlag erschienen nunmehr in Aus-
lagen, die man wenige Zeit zuvor noch für geradezu
illusorisch gehalten hätte, Klassikerausgaben, ency-
klopädifche und naturwissenschaftliche Werke und vor
allem, geradezu als Erfordernis der Zeit, illustrirte
Zeitschriften. Derselbe Nährboden aber, der die