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Die zierlichen Möbel waren überladen mit kost-
baren Nippsachen. Das strenge, betäubende Parfüm
Viviennes füllte noch den Raum. Auf dem Boule-
tifchchen lag noch ihr großer Fächer, wie sie ihn achtlos
beiseite geworfen hatte, nicht weit davon ein englischer
Roman mit einem Papiermesser als Lesezeichen zwischen
den Seiten. Alles atmete noch Viviennes Nähe, nur
sie war fern, für ewig fern.
Der Marquis ergriff den Fächer, mit dem die
zarten Finger der Toten so ost getändelt hatten, und
preßte inbrünstig seine Lippen daraus. Ein Spitzen -
tüchlein Viviennes lag dabei. Er drückte es an seine
brennenden Augen.
„Gott, mein Gott," ächzte er abermals, „wofür
strafst du mich so hart? Warum nahmst du mir
nicht lieber das Leben als meines Lebens Sonne?"
Er sank schwer aus den kleinen Sessel vor Viviennes
Schreibtisch nieder. Das Haupt in die Hand gestützt
starrte er düstern Blickes vor sich hin. Da sah er
plötzlich, daß in einem der Thürchen des Schreibtisches
ein winzig kleiner Schlüssel steckte. Unwillkürlich drehte
er denselben um. Brianon wollte sich wollüstig in
seinen Schmerz versenken, indem er sich ganz in die
Erinnerung an die Geliebte vertiefte. In diesem
Schreibtischchen verwahrte sie sicherlich ihre kleinen
Heiligtümer aus, die wenigen Briefe, welche er ihr als
Bräutigam geschrieben — als ihr Gatte hatte er es
nie vermocht, sich von seinem Kleinod zu trennen —
vielleicht auch einige Erinnerungszeichen an ihre früh
verstorbenen Eltern. Durch ihre Hinterlassenschaft
konnte er nochmals einen tiefen Blick in ihre kindlich
reine Seele thun. Ach, und wenn sein Schmerz hundert-
fältig aufgewühlt wurde, er hatte doch einst ein gött-
liches Glück besessen, er hatte einen Engel sein eigen
genannt.
Er öffnete das Thürchen, in dem der Schlüssel
steckte, und griff nach den ersten Gegenständen. Eine
unbezahlte Rechnung nach der andern fiel in seine Hand.
Brianon lächelte wehmütig.
„Arme, süße Vivienne!" murmelte er. „Haushalten
war Deine Sache nicht. Du warst eben noch ein Kind,
ein holdes, unverdorbenes, engelreines Kind!"
Er öffnete ein anderes Thürchen und sand zahl-
reiche Briese, aber keiner derselben war von seiner
Hand. Hin und wieder entfaltete er ein Blatt/ aber
er legte es bald gleichgiltig beiseite. Es waren Hul-
digungsschreiben vornehmer Personen, eine Geburtstags-
gratulation des Prinzen N., ein Gedicht vom Fürsten
H., welches augenscheinlich eine Blumenspende begleitet
hatte, und dergleichen. Brianon schüttelte den Kops.
Vivienne war noch ein Kind gewesen, sonst hätte sie
diese gleichgiltigen Blätter sicher nicht aufbewahrt.
Ganz zu unterst in dem Fach lag ein Päckchen
Briese, welches sorgfältig mit einem rotseidenen Bande
verschnürt war.
„Es werden die meinen sein!" dachte der Marquis.
Er griff begierig darnach, aber seine Miene ver-
düsterte sich im nächsten Augenblick. Die Handschrift
aus der Adresse war eine schöne, kühne Männerhand,
aber nicht die seine.
Minuten lang starrte er finster aus das kleine
Bündel Briefe. Ein heftiger Kampf malte sich in
seinen stolzen Zügen. Sollte er die Briese ungelesen ver-
brennen und ewig in seiner Brust den leisen Argwohn
gegen die teure Tote tragen? Nein, er wollte diese
Blätter lesen, eines nach dem andern, und jedes Wort
würde die Bestätigung von Viviennes Unschuld und
Engelreinheit enthalten.
Der Marquis hatte die letzten Worte mit lauter
Stimme gesprochen, als ob er sich selbst zu überzeugen
wünsche, dann löste er mit fester Hand das rosen-
farbene Band. Eine kleine Photographie fiel zur Erde.
Brianon bückte sich begierig darnach. Im nächsten Augen-
blick stieß er einen halberstickten Schrei aus. Sein
dunkles Gesicht wurde aschfahl. Stieren Auges blickte
er auf das schöne, junge Männerantlitz, das ihn so
übermütig aus dem Bildchen anlachte.
„Der Baron Saint-Armand!" murmelte er ver-
stört. „Wie kommt Vivienne zu seinem Bilde?"
Er wendete die Photographie um; aber die Rück-
seite trug keine Widmung. Ein entsetzlicher Argwohn
erhob sich in der Brust des unglücklichen Mannes.
„Gott im Himmel!" stöhnte er. „Nur das nicht!
Nur das nicht! — Nein," tröstete er sich selbst, „es
kann nicht sein! Dieser Argwohn ist ein Frevel, ein
Verbrechen an der teuren Verklärten! Gott weiß, durch
welchen Zufall sie in den Besitz des Bildes gelangt
ist! Vielleicht geben diese Briefe einen Ausschluß dar-
über!"
Seine Hand bebte wie im Fiebersrost, als er das
erste Schreiben entfaltete. Während er las, wich jeder
Blutstropfen aus seinem Gesicht, sein Haar sträubte
sich, ein entsetzliches Stöhnen entrang sich seiner Brust,
ein Stöhnen so qualvoll, so schmerzzerrissen, wie es
das zu Tode verwundete Tier in der Agonie ausstößt.
Er wollte ausspringen und davonrasen; aber er bezwang
sich mit übermenschlicher Gewalt. Ob ihm die Blätter
wie höllisches Feuer in der Hand brannten, ob ihm

Illustrirte Welt.

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das Herz zu zerspringen drohte, er las einen Bries
nach dem andern, diese nichtswürdigen Briefe, die seine
Ehre besudelten, welche sonnenklar die Schuld seines
Weibes erwiesen.
Als der letzte Brief feiner Hand entglitt, sank
Brianon wie gebrochen in seinen Sessel zurück. Seine
Züge waren bis zur Unkenntlichkeit verzerrt, sein
starker Körper bebte wie Espenlaub. Mit blutunter-
laufenen, unheimlich funkelnden Augen stierte er wie
gebannt aus die glühenden Liebesbriefe, welche ein
anderer seinem Weibe geschrieben hatte. Er hatte Vi-
vienne angebetet wie eine Heilige, er hatte zu ihr auf-
geblickt wie zu einer Göttin, er hatte gewähnt, daß
ein Engel ohne Schuld und Fehl aus die Erde her-
niedergestiegen wäre, um ihn zu beglücken; und jetzt
tagte in ihm die furchtbare Erkenntnis, daß seine
Heilige, seine Göttin, sein fleckenloser Engel ein falsches,
lügenhaftes, ehrloses Weib gewesen war. Seine
zärtliche Liebe hatte sie nur geduldet, weil sie mußte,
wie ost mochte sie über seine schrankenlose Hin-
gebung höhnisch gelächelt, wie mochte sie ihn in ihrem
Innern verspottet und verachtet haben, weil der alte
Thor so blind war für ihren Lug und Trug. Dieses
Weib mit den süßen, schuldlosen Kinderaugen hatte
ihm mit jedem Wort, mit jedem Blick gelogen. Er
hatte sie vergöttert, und sie hatte seine Ehre mit
Schmutz besudelt und seinen Namen durch den Schlamm
der Sünde geschleift.
Brianon stöhnte laut. Was war der Schmerz, den
er an dem offenen Grabe Viviennes gefühlt hatte, gegen
den Jammer, der jetzt seine Brust mit tausend Dolchen
durchbohrte? Wie köstlich war die tiefe, heilige Trauer
feines Herzens gewesen gegen die wilde, wütende Ver-
zweiflung, welche jetzt in seiner Brust tobte! Jetzt er-
kannte er, daß das Glück seines Lebens aus einer Lüge
ausgebaut war, daß er sich von dem Irrlicht der Lüge
hatte leiten und führen lassen, daß ein Netz von Lug
und Trug ihn umstrickt hatte. Mit einem Schlage
war ihm alles genommen, was bisher sein Herz hatte
höher schlagen lassen. Das Glück der Vergangenheit
war in eitel Nichts zerronnen, die Trauer der Gegen-
wart war jäh erloschen, ihpr blieb nichts übrig als die
Verzweiflung.
So grübelte und brütete der unglückliche Mann,
während er einen Bries Saint-Armands nach dem
andern von der Flamme des Lichts verzehren ließ.
Zuletzt waren die Beweise von Viviennes Sündenschuld
zu Staub und Asche verkohlt. Brianon stierte finster
auf die Reste der Zeugen einer verbrecherischen Leiden-
schaft. Wie diese Flammenworte von Viviennes Mit-
schuldigem, so war auch sein Leben in Staub und Asche
zerfallen.
Eine Stunde nach der andern verging, und noch
immer saß Brianon auf derselben Stelle und starrte
mit erloschenen Blicken ins Leere. Sein Kammerdiener
wartete vergebens aus den Gebieter. Die Nacht schlich
mit bleischweren Füßen dahin, und der Marquis wich
nicht aus dem Gemach seines toten Weibes. Erst als
die Sonne strahlend durch die Fenster lachte, trat
Brianon mit schweren, müden Schritten in sein eigenes
Zimmer.
Der Kammerdiener fuhr jäh zurück bei dem Anblick
seines Herrn und stierte ihn fassungslos an. In dieser
Nacht war das Haar des Marquis de Brianon schnee-
weiß geworden, und sein Antlitz zeigte die tiefen
Furchen des Greisenalters.
Mit keinem Wort berührte Brianon die furchtbare
Veränderung seiner selbst. Er machte wie gewöhnlich
Toilette und schrieb dann einen Brief an den Baron
de Saint-Armand:
.Monsieur le Laron,
Würden Sie mir die Ehre geben, heute mit mir ein
Dejeuner einzunehmen? Ich habe mit Ihnen eine Sache
von Wichtigkeit zu besprechen.
Ergebenst
Brianon."
Als er den Boten abgesandt hatte, schloß der
Marquis sich in sein Zimmer ein. Der Kammerdiener
versuchte einigemale durch das Schlüsselloch zu blicken,
aber er konnte des Gebieters Thun und Treiben nicht
beobachten. Nach Stunden verließ Brianon erst sein
Gemach.
„Ist die Antwort von dem Baron de Saint-Armand
schon da?" fragte er ruhig.
Ein parfümirtes Billet wurde ihm aus silbernem
Teller überreicht. Brianon starrte düster auf das Blatt.
Das waren dieselben kühn geschwungenen Züge, in
denen Saint-Armand Vivienne glutatmende Liebes-
briefe geschrieben hatte. Der Baron versicherte höflich,
daß er es sich zur Ehre rechnen würde, der Aufforde-
rung des Herrn Marquis Folge zu leisten.
Brianons Züge wurden von einem grimmigen
Lächeln verzerrt.
„Wenn noch ein Funken von Ehre in ihm lebt,
so muß er kommen!" dachte er finster. „Er wird
ahnen, was ihn erwartet."
Er befahl in gelassenem Ton, zum Dejeuner ein
zweites Couvert aufzulegen.

„In dem Wandschrank in meinem Zimmer steht
eine Flasche mit Portwein!" sagte er zu dem Diener.
„Ich wünsche, daß dieselbe servirt wird. Hüten Sie
sich, die Flasche zu verwechseln! Es ist eine besonders
alte und edle Sorte."
Pünktlich, zur Zeit des Gabelfrühstücks, erschien
der Baron de Saint-Armand. Sein schönes Gesicht
war totenbleich. Die sonst so kecken Augen vermieden
scheu den Blick seines Gastgebers. Er wagte es nicht,
den Mann anzusehen, den er verraten hatte.
„Seien Sie mir willkommen. Herr Baron!" sagte
der Marquis ruhig; aber er streckte seinem Gast nicht
die Hand zur Begrüßung entgegen.
„Der Herr Marquis haben besohlen!" murmelte
der jüngere Mann verlegen.
„Wir werden zuerst unser kleines Dejeuner mit
einander einnehmen, und dann von der Angelegenheit
reden, welche ich erörtern möchte!" versetzte Brianon
mit unheimlicher Ruhe.
Nach kurzer Frist meldete ein Diener, daß servirt
sei. Beide Herren traten in den Speisesaal, wo ein
üppiges Mahl ihrer harrte. Zwei Diener servirten
die erlesenen Speisen; in den Gläsern funkelten die
edelsten Weine, die Tafel prangte im Schmuck silberner
und kristallener Geräte, aber die Tafelnden vermochten
nicht, .dem köstlichen Mahl Gerechtigkeit anzuthun.
Saint-Armand berührte kaum die Speisen auf seinem
Teller, mit bebender Stimme beantwortete er Brianons
Fragen, in seiner Erregung leerte er wiederholt sein
volles Glas.
In seltsamem Kontrast zu seiner Unrast stand die
eisige Ruhe des Marquis. Er machte in weltmännischer
Art den Wirt und führte das Gespräch über allerhand
Tagesfragen. Mit keinem Wort erwähnte er des Schick-
salsschlages, der ihn vor wenig Tagen getroffen hatte.
Nur als der Portwein servirt wurde, sagte er mit
tiefer Stimme:
„Herr Baron, Sie werden sich nicht weigern, mir
Bescheid zu thun, denn ich weihe dieses Glas dem
Andenken der Verewigten!"
Saint-Armand errötete dunkel, um dann tötlich zu
erbleichen. Er stieß mit dem Marquis an, ohne densel-
ben anzusehen, dann leerte er sein Glas in einem Zuge.
Der Marquis beobachtete ihn mit adlersscharfen
Blicken, dann erst leerte er sein eigenes Glas. Im
nächsten Augenblick hob er die. Tafel auf.
„Louis," befahl er dem Diener, „bringen Sie die
angefangene Flasche Portwein in mein Arbeitszimmer."
Der Diener gehorchte und zog sich zurück. Saint-
Armand saß in stummer, peinlicher Verwirrung seinem
Gastgeber gegenüber. Er harrte ängstlich daraus, daß
Brianon endlich die Maske fallen lassen würde. Aber
der Marquis schwieg noch immer. Er trat an den
leeren Kamin, in dem ein großes Makartbouquet die
Stelle eines winterlichen Feuers vertrat und goß den
Rest des Portweins aus den Rost aus. Saint-Armand
beobachtete ihn staunend, an seinem Verstände zweifelnd,
ohne jedoch eine Frage zu wagen.
Da trat der Marquis plötzlich dicht vor ihn hin
und sagte mit dröhnender Stimme:
„Sie sind ein Schurke, mein Herr Baron de Saint-
Armand!"
Saint-Armand fuhr empor wie von einer Viper
gestochen. Er hatte auf dieses Wort beständig geharrt,
er war aus diesen Angriff gewappnet.
„Sie werden mir Rechenschaft für diese Beleidigung
geben, Herr Marquis!" ries er mit funkelnden Augen.
„Nein," entgegnete Brianon in schneidendem Ton.
„Das werde ich nicht! Glauben Sie, ich werde meinen
Namen an den Pranger der öffentlichen Meinung
stellen, indem ich mich mit Ihnen schlage? Glauben
Sie, es ist mein Wille, daß die Schmach, welche Sie
und das Weib, das meinen Namen trug, über mich
gebracht haben, in alle Winde hiuausgeschrieen wird?
Sollen alle Klatschmäuler in ganz Paris sich zuraunen,
der Marquis de Brianon hat sich mit dem Liebhaber
seiner Frau geschlagen? Nein, mein Herr Baron, ich
kann den Schimpf nicht auslöschen, mit dem Sie meinen
Namen besudelt haben; aber ich kann ihn in tiefes
Geheimnis hüllen vor der neugierigen, schadenfrohen
Welt. Aus diesem Grunde begehre ich nicht Ihr Blut."
„Ziehen Sie ein amerikanisches Duell vor?" stam-
melte Saint-Armand verwirrt. „Es ist unter Kava-
lieren verpönt; aber ich bin zu jeder Genugthuung
bereit!"
Brianon stieß ein grausiges, hohles Lachen aus,
das schauerlich in seines Gegners Ohren dröhnte.
„Ich habe Sie nicht gefragt, ob Sie bereit sind
oder nicht!" versetzte der Marquis mit ätzendem Hohn.
„Ich habe mir meine Genugthuung genommen, ich bin
gerächt. Ehe die Sonne untergeht, sind Sie ein toter
Ptann, Herr Baron. Sie und ich, wir beide werden
heute noch Vivienne ins Jenseits folgen. Der Port-
wein, den wir aus das Andenken der Toten tranken,
enthielt den Todestrank!"
Saint-Armand stieß einen gellenden Schrei des
Entsetzens aus. Er stierte den Marquis mit weit ge-
öffneten, glanzlosen Augen an.
 
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