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531

seines Krankseins sanft wie ein Kind, Weichen und
liebevolleren Herzens. Was er sein Lebtag gering ge-
achtet: weibliche, erbarmungsvolle Fürsorge, jetzt in
seiner Schwäche lernte er den Wert derselben erkennen
und hochachten.
Und doch, trotz der Veränderung, war noch ein gut
Teil Selbstsucht in ihm, denn noch immer dachte er
nur an sein Leiden und nicht an das seiner Tochter
— er sah gar nicht, daß Dorotheas Gesicht immer
schmalwangiger und blasser wurde, daß ihre Augen
gar ost einen unendlich gramvollen Blick hatten.
Dorothea hatte Theodor Germain seit seinem Hoch-
zeitstage nicht mehr wiedergesehen, desto öfter aber den
Christian; wo er nur konnte, kam ihr dieser in die
Wege. In feinem Herzen war eine starke Liebe zu
dem schönen Mädchen emporgewachsen, und darum
suchte er es so oft wie möglich zu sehen und zu sprechen.
Dorothea zeigte sich ihm gegenüber immer freund-
lich und voll Herzlichkeit, und er hoffte darum auch aus
Gegenneigung. Wahr ist es, daß ihr der hübsche, froh-
sinnige Bursche gefiel, so weit eben ein anderer neben
dem Geliebten in Betracht kommen konnte, aber der
Grund ihres Benehmens war doch in anderem zu
suchen, nämlich in dem Schuldgefühl, das sie um der
That ihres Vaters willen gegen ihn empfand; darum
allein trieb es sie, gut gegen ihn zu sein. Und damit
übersah sie gänzlich, daß er ihre Freundlichkeit anders
deuten könne, ja, daß er sogar die Ursache in anderem
suchen müsse.
So war sie voll Verwunderung, als sie an einem
Sonntagnachmittag — es war Ende März — durch
das Fenster in der Wohnstube blickte und Christian,
in seinen besten Sonntagsstaat gekleidet, aus das Haus
zukommen sah. Sie konnte sich nicht denken, was ihn
hieher führte.
Die Verwunderung stand deutlich genug in ihrem
Gesichte, als er eintrat.
„Grüß Dich Gott, Dorothe'!" sagte er und ein
klein wenig Verlegenheit ward in seinem Tone hörbar.
„Gelt, da schaust, daß ich daher komm' heut'?" und
dann setzte er etwas frischer hinzu: „Ich hab' ein
wenig zu reden mit Dir und mit Deinem Vater auch,
wenn ich Verlaub hab' von Dir! Bist allein?"
Sie nickte und erwiderte: „Die Leni ist in der
Kirche, der Knecht auch, uud der Vater ist in der
Kammer dort und schläft eine Weil'!"
„Es geht ihm doch besser jetzt?"
„Ja, ich dank' Dir! Nur gerad' so schwach ist er
noch, kaum daß er ein paar Schritt' gehen kann! Und
wie geht's Dir, wenn man fragen darf?"
Christian blinzelte sie ein wenig von der Seite an,
indem er erwiderte: „Ja, so, wie es einem halt gehen
kann, wenn man 'was begehrt und weiß nicht, ob man's
überhaupt haben kann!"
Dorothea war noch unklar darüber, was er eigent-
lich meinte; so fragte sie: „Und was ist denn das
eigentlich? Oder soll ich's nicht wissen?"
„Gerad' Du mußt es wissen, wenn ich eine Antwort
haben soll!" entgegnete Christian und ging nahe zu
Dorothea.
Er schlang den Arm um sie, guckte tief in ihre
Augen und sagte in herzlich warmem Ton: „Gelt, Du
weißt es, daß ich Dich gern hab'? Und heut' komm'
ich und will Dich fragen, ob Du mein Weibert werden
magst!"
Sie hatte sich jäh frei gemacht und sah ihn nun
mit weit geöffneten,. erschrocken blickenden Augen an.
„Du willst mich heiraten, mich?" sagte sie dann,
schwer atmend. „Nein, red' davon nicht, das darf
nicht sein!"
Ihm war das natürlich unbegreiflich; er meinte
erstaunt:
„Warum denn? Wenn ich will und Du willst uud
Dein Vater auch, wer sollt' denn 'was dagegen haben?"
Sie schwieg.
Da fuhr es ihm auf einmal heftig heraus:
„Oder magst mich nicht, hast einen andern gern?"
Sie schüttelte den Kops und gab traurig zur Antwort:
„Das ist's nicht! Aber zwischen uns, Christian,
ist'was, das sich nicht wegschieben läßt! Wenn Du's
wissen thät'st, wär's wohl gleich aus mit Deiner Lieb'!"
„Nein, Dorothe', da gehst Du fehl, meine Lieb',
die vergeht nicht so schnell, darfst schon mehr darauf
hallen! Ah ja! Wenn ich auch lustig bin und die
Dirndln mir überhaupt gefall'n, wenn's sauber sind,
so bin ich doch keiner von denen, die heut' so meinen
und morgen wieder anders, das darfst mir glauben!"
Er schaute sie dabei so treuherzig an, daß es sie
tief rührte; um so ernster und nachdrücklicher sagte
sie: „Ja, Christian, ich will Dir schon glauben! Aber
das, was ich mein', ist keine so allgemeine Sach', da
thät'st doch wohl nicht stand halten! Es wird Dir
nichts helfen. Du mußt mich schon aufgeben und Dir
eine andere suchen!"
„Wenn ich aber keine andere mag!" sagte er. „Und
heiraten soll ich doch auch, denn siehst, sowie ich den
Hof übernommen hab' mit die vielen Hypotheken dar-
aus, kann ich ihn kein Vierteljahr länger erhalten.

ILLustrirLe Welt.

wenn ich nicht eine heirat', die ein tüchtig's Stück
Geld mitbringt, — dazu geht es schon viel zu tief
bergab! Schau, es ist ein schweres Ding, wenn ich
ansehen soll, daß meine Mutter vom Haus muß und
auf ihre alten Tag' sich kümmerlich sortbringen soll,
denn bleiben wird ihr nicht viel, wenn der Heff ver-
steigert wird! Und so hab' ich mir denkt, gehst heut'
zu der Dorothe', und mag sie dich nicht, so schaust dir
in Gottes Nam' um eine andere, wenn schon geheirat'
werden muß! Und jetzt, wo ich Dich nicht haben soll,
ja, Dorothe', jetzt kenn' ich's erst, daß ich gar keine
andere mag wie Dich, und wenn's noch so sauber wär'
und hätt' noch so viel Geld, ich möcht's doch nicht!
Und wenn Du meinst, es geht gar nicht, das Heiraten
zwischen uns, so laß ich's halt ganz bleiben! Unser
Herrgott soll mir's vergeben, daß ich's meiner Mutter
und meine Geschwistert' nicht zu lieb thu' — aber ich
kann nicht anders!"
Dorotheas Augen hafteten teilnahmsvoll auf dem
betrübten Gesicht des Burschen.
„Ich kann Dir keinen andern Bescheid geben,
Christian, so gern ich's möcht'!" sagte sie gepreßten
Tones. „Hütt' ich das Geld, das ich einmal bekomm',
jetzt schon, ich wollt' Dir's gern geben, daß Du Dir
Helsen könnt'st! Denn ich thät' es nicht brauchen, ich
könnt' schon auch so leben!"
„Das wär' schon auch nichts!" meinte Christian
kopfschüttelnd. „Wenn ich's nicht bin, der Dich heirat',
so ist's ein anderer, und der könnt' schon auch das Geld
selber brauchen und wär' wohl nicht zufrieden, wenn
Du's auch weiß Gott wie lang ausgeliehen hätt'st!"
„Damit hätt' es keine Umstund', ich heirat' gar
nicht! Würd' keiner eine Ehr' aufstecken mit mir, und
möcht's darum gar keinem anthun!"
Jetzt wurde das braune Gesicht Christians bleich
und aus feinen Hellen Augen leuchtete heftiger Zorn;
er faßte Dorothea derb an den Schultern und sah ihr
scharf ins Gesicht.
„Du, Dorothe', was meinst damit?" fragte er er-
regt. „Am End' doch nicht — ich hab' so 'was läuten
gehört, als wär' zwischen Dir und dem Schullehrer
'was gewesen, eh' er geheirat' hat, — sag, Dirndl,
hat er Dir unrecht gethan? Sag's aufrichtig, denn
wenn er sich vergangen hat an Dir, ich zahl' ihm's
heim und — und," seine Stimme wurde weich und
ganz leise und seine Arme umfaßten fest das zitternde
Mädchen, „so viel als mich das schmerzen thät', wenn's
wahr wär'. Deine Red' von wegen der Unehr', so
kannst Dich dennoch fest an mich halten, ich laß Dich
auch so nicht und will Dich zu Ehren bringen wieder,
weil das dem andern nimmer möglich ist! Und darfst
sicher sein, ich halt' Dich in Ehr'n Dein Leben lang,
trotz alledem!"
So viel treue, opferwillige Liebe griff an Dorotheas
Herz; die Arme um seinen Hals schlingend und den
Kopf an seine Brust lehuend, brach sie in heftiges
Weinen aus.
Christian hielt damit seine Vermutung für bestätigt;
er streichelte sanft mit der Hand über ihren Kopf und
murmelte leise über sie hin: „Arme, arme Dorothe'!"
Endlich richtete sie sich ans; sie sah die Augen des
Burschen mit traurigem Blick auf sich gerichtet.
„O, Du guter, guter Mensch!" flüsterte sie in in-
nigem Ton. „Was Du alles thät'st für mich! Aber
thü Dich nicht sorgen, es ist nicht so, wie Du meinst,
aus die Art 'darf ich kein' Kümmernis tragen. Aber
wissen sollst es, daß das wahr ist von wegen dem
Schullehrer und mir. Wir haben uns gern gehabt
und — und ich hab' ihn noch gern, ich kann Dir's
nicht verschweigen! Und ich glaub' auch von ihm, daß
er noch an mich denkt!"
„Und warum ist's denn aus geworden zwischen
euch?" fragte Christian.
Sie senkte den Kopf tief auf die Brust und sagte
schmerzlich bewegt:
„Ich hab' ihn auf'geben! Ich könnt' seinen ehrlichen
Namen nicht tragen, das ist's! Er hat keine Schuld,
daß wir nicht zusammen gekommen sind, jetzt weißt es,
— und er hat nicht von mir lassen wollen! Aber
freilich, wenn er's gewußt hätt', dann möcht' er mich
wohl nimmer angeschaut haben!"
Christian blieb eine Weile stumm, es arbeitete heftig
in seinen Zügen, — sie hatte also doch einen andern
gern! Dann schaute er sie aus einmal mitleidsvoll an
und sagte:
„Das muß schon 'was Außerordentliches sein, daß
Du ihn darum auf'geben hast trotz Deiner Lieb'! Ich
kann mir gar nicht denken, was das sein soll, und
glaub' überhaupt nicht, daß eine Schänd' auf Dir sein
soll! Und, Dorothe', ich hab' Dir's schon vorhin ge-
sagt, wenn auch noch so viel Schänd' aus Dir sein
möcht', ich nehm' Dich doch! Und wenn Dich die Leut'
verachten und verschimpfen thäten, ich hätt' Dich doch
gern und wollt' Dich heiraten. Ja, mein Dirndl, Du
bist eben die einzige, die ich lieb', und da ist mir alles
gleich, wenn ich nur Dich haben kann, und darum thu
Dich nicht lang mehr bedenken und sag ja!"
Sie hielt ihn mit beiden Händen von sich, als er

sie wieder leidenschaftlich umfassen wollte, und sagte
ernst:
„Und wollt'st mich auch dann, wenn ich einen Mord
auf dem Gewissen hätt'?"
„Einen Mord? Thu nicht scherzen, wie könnt' ich
denn so 'was glauben von Dir!" sagte er erschrocken.
„Und wenn's wahr wär'?"
„Und — und wenn's wahr wär'? Ja, ja, ich
nahm' Dich doch, ja, ganz sicher!" Die Stimme des
Burschen bebte vor unbezwinglicher Leidenschaft und
seine Augen schauten mit heißem Glanze in die ihren.
„Aber wem hättest denn Du 'was zu leid gethan?
Da müßten Deine lieben Augen und Dein Gesicht
lügen, anders kann ich mir's nicht denken! — Aber
was auch für eine Schuld auf Dir liegt, ich brauch'
Deinen Richter nicht zu machen! Ich will Dich nur
gern haben, Dorothe', allezeit gern haben, mein bist
und mein bleibst!"
Wieder faßten Christians Arme nach Dorothea,
rissen sie an sich und dann drückten seine Lippen heiße
Kliffe aus ihr Gesicht.
Ein tiefes, qualvolles Stöhnen kam aus der heftig
wogenden Brust Dorotheas, dann löste sie sich sanft
und langsam aus feiner Umschlingung.
„Ich seh' es schon, ich muß Dir alles sagen,
Christian!" sagte sie mit tonloser Stimme. „Sonst
willst Du mich nicht aufgeben! Aber thu Dich nieder-
sitzen, Christian, 'leicht möcht' es Dich gar zu viel an-
greifen, was ich Dir sagen will!"
Damit nahm auch sie auf einem Stuhl dicht neben
ihm Platz, und, die Augen unverwandt auf sein Gesicht
gerichtet, sagte sie in etwas gedämpftem Ton:
„An dem Tag, wo Dein Vater ertrank, traf der
meine mit ihm im Wirtshaus zusammen und sie gingen
mit einander heim. Auf dem Heimweg sind die zwei
streitend geworden, über was, weiß ich gerad' nicht;
sie sind immer ärger in die Hitz' gekommen und zuletzt
rauften sie gar mit einander. Ich hab' nach dem
Vater geschaut draußen bei der Hausthür, und als ich
den Streit gehört, bin ich hingelaufen; sie waren eine
kurze Strecke weiter oben neben dem Fluß angelangt;
da haben sie sich auf der Erde gewälzt bei ihrem
Raufen und sind dabei immer näher zum Fluß 'kom-
men, und wie ich fast dabei bin, hör' ich einen Schrei,
einen Klatsch im Wasser —die Stimme Dorotheas
sank zum Flüstern herab — „und der eine, der am
Rand aussteht — ist mein Vater!"
Die Sprecherin konnte es nicht mehr ansehen, wie
jammervoll der Bursche da vor ihr dreinschaute; es
schüttelte seinen Körper wie im Fieber, und mit beider:
Händen hielt er sich an der Platte des Tisches, neben
dem er saß, fest.
Dorothea schloß die Augen und krampfte ihre Finger
fest in einander, dann fuhr sie fort:
„Was ich gelitten hab' dadurch, daß ich mir denken
muß, mein Vater sei schuld am Tod eines Menschen,
— denn so ist's, wenn's auch nicht vorsätzlich geschehen
- ich kann Dir's nicht sagen! — Und jetzt weißt,
warum ich Dich nicht heiraten will und auch einen
andern nicht, und was es mit der Schänd' ist! Ich
hab' darum den Theodor auf'geben, wie hart mich das
auch an'kommen ist, ich hab' ahn ja so gern, daß ich
mein Leben für ihn lassen könnt'!"
Nun schwieg sie und eine lange Pause trat ein, in
der nichts hörbar wurde als das schwere Atmen der
beiden unglücklichen Menschen.
Endlich vernahm Dorothea eine Bewegung Christians,
sie sah auf; aus feinem Antlitz schien jeder Blutstropfen
gewichen zu sein, so bleich sah es aus; er hatte sich
erhoben und blickte mit starren Augen auf sie.
„Du hast recht, mit uns kann's nichts sein! Und
so will ich denn gehen und Dir b'hüt Dich Gott sagen!"
sagte er und griff nach seinem Hut.
Dann sah sie ihn langsam der Thür zuschreiten; er
hatte ihr die Hand zum Abschied nicht geboten — und
sie begriff das. Ja, sie wußte es, was für eine Unehr'
an ihr haftete, und daß diese nichts und niemand von
ihr nehmen könne. — Mit einem jammervollen, thränen-
lofen Aufschluchzen barg sie das Gesicht in beide Hände.
Drinnen in der Kammer, zu welcher eine Thüre
von der Wohnstube führte, erklang ein unterdrücktes
Stöhnen; seit seiner Krankheit war des Müllers Lager
hier hergerichtet worden.
Während des Gespräches Dorotheas mit Christian
war der Müller erwacht, die Thür zur Wohnstube war
nur angelehnt gewesen und saft jedes der Worte zwi-
schen den beiden war an sein Ohr gedrungen; begierig
hatte er gelauscht. Jetzt barg er sein Gesicht fest in
die Bettkissen, um sein Stöhnen nicht laut werden zu
lassen. — Nun war er nicht allein an dem Tode Jörgs
schuld, auch die Schuld an dem Unglück seines Kindes
fiel auf ihn! Erdrückend wirkte diese doppelte Last
auf ihn. Gab es denn nichts, diese Bürde von sich
abzuwälzen oder sie doch wenigstens geringer zu machen?
Was sollte er nur thun? Mit aller Anspannung seines
Denkens erwog der Müller diese Fragen stundenlang
— und sand keine Antwort.
Er konnte nichts, gar nichts thun, die Schuld ließ
 
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