Photographie in dem silbernein Rahmen Anspruch auf
mehr Achtung hatte als drei auf dem Schreibtisch öder-
em halbes Dutzend auf dem Kaminsims. Nolan hatte
sie kommen und gehen sehen; er hatte ihren Aufgang
und Untergang beobachtet; er hatte Briefchen und
Bücher und Blumen zu ihnen getragen. Er hatte
dabei geholfen, sie aus dem silbernen Rahmen zu ent-
kernen und sie stufenweise abwärts zu schieben, bis sie
rühmlos in der großen Bronzeschale auf dem Neben-
tisch verschwanden. Nolan billigte diese letzte Wahl
durchaus, obgleich er nicht wußte, welche von den
dreien in der Gruppe es war; aber sie waren alle
drei hübsch und ihre gesellschaftliche Stellung jedenfalls
eine hohe.
Guido, das italienische Modell, welches dem Atelier
Vorstand, und Nolan waren mit Packen beschäftigt,
als Carlton eintrat.
„Guido," sagte Carlton, „es sind zwei Skizzen da,
die ich im vorigen Jahr in Deutschland gemacht habe;
eine stellt einen Staatsminister, die andre den Schau-
spieler Ludwig dar. Bitte, suche sie hervor und packe
sie versandmäßig. — Nolan" — zu diesem gewendet
— „besorge diese Depesche."
Nolan würde keinen Brief gelesen haben, aber er
betrachtete Telegramme als öffentliche Dokumente und
das Lesen derselben als einen Teil seiner Pflichten.
Dies war an Oskar von Holtz, den ersten Sekretär
der deutschen Gesandtschaft in'Washington, gerichtet
und lautete:
„Bitte, telegraphieren Sie mir den vollen Titel
und die genaue Adresse der Prinzessin Atme von Hohen-
wald. Wo würde ein Brief sie treffen?
Morton Carlton."
Am nächsten Morgen trug Nolan eine Kiste zum
Spediteur, welche zwei Oelgemälde in kleinem Format
enthielt; sie war an Carltons Geschäftsagenten in
London adressiert.
*
Es war ein fürchterliches Gedränge auf dein Dampfer
„New Pork". Das Schiff fuhr zu einer sehr bequemen
Stunde, elf Uhr morgens, ab, und folglich erschienen
viele Leute, um Lebewohl zu sagen, die sonst schwerlich
ihr Frühstück zu dem Zweck im Stich gelassen hätten.
Carlton beachtete sie nicht; er wußte aus Erfahrung,
daß die angenehm aussehcnden Leute stets den Dampfer
verlassen, sobald die Pfeife ertönt, und daß die nächst
angenehmen, die an Bord bleiben, die ganze Reise
hindurch seekrank sind. Ein Herr, der ihn kannte, be-
rührte seinen Arm, als er gerade in seine Kajüte
gehen wollte, und fragte, ob er mitreise oder jemand
begleite.
„Gut, dann möchte ich Sie gern Fräulein Morris
und ihrer Tante, Frau Downs, vorstellen. Sie reisen
nach Europa, und ich würde Ihnen dankbar sein, wenn
Sie Ihnen gefällig sein wollten. Kennen Sie sie viel-
leicht ?" Er drehte sich nach Carlton um, der sich ihm
über das Verdeck nachdrängte.
„Ich weiß, wer sie sind," sagte dieser.
Fräulein Edith Morris war von einem dreifachen
Kreis bewundernder Freunde umgeben und schien in
ihrem Element zu sein. Sie schwiegen alle, als Carlton
kam, und sahen ihn neugierig an. Diejenigen, welche
ihn kannten, schienen dies durch eine besonders herz-
liche Begrüßung bekunden zu wollen. Der Herr, der
ihn geholt, that, als ob er eine schwierige und würdige
Aufgabe erfolgreich beendigt habe. Carlton verbeugte
sich und überließ Fräulein Morris ihren Freunden,
indem er sagte, sie werde ihn wahrscheinlich später noch
sehen, ob sie wolle oder nicht. Er ließ sich dann der
Tante vorstellen, die ihn freundlich begrüßte. Es
waren nur wenige Passagiere auf der Liste, und sie
freute sich seiner Gesellschaft. Ehe er sich verabschiedete,
stellte sie ihm einen jungen Mann Namens Abbey vor,
der eifrig um sie bemüht war, und dessen Interesse,
wie sie nötig fand zu erklären, dem Umstand zuzu-
schreiben war, daß er mit Fräulein Morris verlobt
sei. Herr Abbey verließ den Dampfer, als die Pfeife
ertönte, und Carlton sah ihm erleichtert nach. Er
freute sich stets der Bekanntschaft reizender Mädchen,
die verlobt waren, da er dann keine Wahl hatte und
ihm die Mühe erspart blieb, ausfindig zu machen, ob
jene besondere junge Dame die richtige fei.
Frau Downs und ihre Nichte erwiesen sich als er-
fahrene Reisende und nahmen die schwere See, welche
„New Nork" außerhalb Sandy Hooks traf, mit Gleich-
mut aus. Carlton trat zu ihnen, und sie standen zu-
sammen, an das Geländer gelehnt und versuchten, die
Leute, welche vorübergingen, den Namen auf der
Passagierliste anzupassen.
„Die junge Dame im Matrosenanzug," bemerkte
Fräulein Morris, indem sie anscheinend auf die Schorn-
steinspitze blickte, „ist Fräulein Kitty Flood aus Grand
Rapids. Dies ist ihre erste Seereise, und sie denkt,
ein Dampfer ist wie eine Jacht, und kleidet sich dem-
entsprechend. Sie weiß nicht, daß es nichts weiter als
ein schwimmendes Hotel ist."
„Ich fürchte," meinte Carlton, „daß, nach ihrer
Aufregung zu urteilen, ihre Rolle das sein wird, was
Sllustrirte Welt.
die Eingeweihten .Kajüttenrolle- nennen. Woher mag
es nur kommen, daß die Mädchen an Bord, welche
goldene Anker tragen, und die Männer in Jachtmützen
immer zuerst verschwinden? Jener Herr mit dem
Sombrero ist James M. Pollock, Konsul der Ver-
einigten Staaten in Mauritius; er begiebt sich auf
seinen Posten. Ich weiß, daß er der Konsul ist, weil
er aus Fort Worth in Texas kommt und deshalb vor-
züglich befähigt ist, sowohl französisch als die Sprache
der Eingeborenen zu reden."
„O, wir schicken keinen Konsul nach Mauritius,"
lachte Fräulein Morris. „Mauritius ist einer von
den Plätzen, deren Briefmarken man sammelt; aber
niemand lebt dort oder reist dorthin."
„Und darf ich fragen, wohin Sie gehen?" erkun-
digte sich Carlton.
Fräulein Morris erwiderte, sie seien auf dem Weg
nach Konstantinopel und Athen und wollten dann nach
Rom. Da sie keine Zeit gehabt hätten, die südliche
Linie zu benutzen, so sei ihre Absicht, über den Kon-
tinent direkt von Paris nach der türkischen Hauptstadt
mit dem Orient-Expreßzug zu reisen.
„Wir werden ein paar Tage in London bleiben
und in Paris gerade lange genug, um einige Einkäufe
zu machen," setzte sie hinzu.
Die Aussteuer, dachte Carlton. Sie hätte Wochen
sagen sollen!
Sie saßen alle drei am Tisch des Kapitäns; aber
da die See bewegt blieb, sahen sie wenig von ihm
und den andern Gästen und waren daher aus ihre
Gesellschaft angewiesen. Sie hatten zahlreiche gemein-
same Bekannte und Interessen, und Frau Downs, die
überall ziemlich lange gewesen war, zeigte sich ebenso
munter wie ihre Nichte, so daß Carlton eine lebhafte
Zuneigung zu ihr faßte. Sie schien verständig und
gutmütig zu sein und verband, dank ihrem Alter, das
reifere Urteil eines Mannes mit dem teilnehmenden
Interesse einer Frau. Zuweilen saßen sie lesend neben-
einander auf dem Verdeck oder plauderten über das
Gelesene; oder sie versuchten, auf dem schwankenden
Verdeck, gegen d?n Wind an, spazieren zu gehen.
Abends saßen sie dann in einer Ecke des Speisesaals
und aßen späte Soupers, die Carlton bestellte, ober-
ste tranken Thce in der Kajütte des Kapitäns, deren
Benutzung er ihnen gestattet hatte. Vor ihrer Abreise
hatten sie viel voneinander gehört, und dies, sowie die
unvermeidlich enge Nachbarschaft aus einem Dampfer
beschleunigte ihre Bekanntschaft.
Am dritten Tag wurde die See ruhiger; die Soune
kam hervor uud beschien das Verdeck, welches so rein
wie ein Servierbrett aussah. Fräulein Morris und
Carlton setzten sich auf die riesigen eisernen Stangen
am Bugspriet, stützten den Ellbogen auf die Brüstung
und sahen in das wirbelnde blaue Wasser. Schweigend
erfreuten sie sich an der gleichmäßigen Bewegung des
großen Fahrzeugs und an der Wärme der Märzsonne.
Carlton saß leewärts von Fräulein Morris und hatte
eine Pfeife im Mund. Er war glücklich und im Frieden
mit der Welt. Seine neue Bekannte sagte ihm sehr zu;
sie schlug sogar einen freundschaftlichen Ton gegen ihn
an und behandelte ihn, als ob er viel jünger sei, wie
das die Gewohnheit kürzlich verheirateter junger Frauen
ist, oder solcher, die sich demnächst verheiraten werden.
Carlton nahm ihr das nicht übel, im Gegenteil, er
war dadurch unbefangener ihr gegenüber, und da sie
selbst ihn als Jüngling behandelte, gestattete er sich
ein entsprechend thörichtes Benehmen.
„Ich weiß nicht," klagte er, „warum jedesmal,
wenn ich seitwärts blicke, uin die Wellen zu beobachten,
ein Mann in fettiger Mütze seinen Kops aus einem
Loch unter mir steckt und ein Faß Asche oder Kartoffel-
schalen in den Ozean wirft. Es verdirbt einem den
Genuß. Wenn er es das nächstemal thut, werde ich
ihm die Asche aus meiner Pfeife auf den Nacken
schütten." Fräulein Morris hielt diese Bemerkung für
keiner Antwort wert, und es folgte eine lange Pause.
„Wohin werden Sie von London aus gehen?" sagte
sie endlich; „nach dem Kontinent?"
»Ich — ich gehe nach Grasse. Es ist llsie Haupt-
stadt von Hohenwald. Kennen Sie den Ort?"
„Ja, wir waren einmal ein paar Tage dort; wir
wollten die Gemälde sehen. Ich vermute, es ist Ihnen
bekannt, daß der alte Herzog, der Vater des jetzigen,
sich beinahe ruiniert hat durch den Ankauf von Ge-
mälden für die Galerie in Grasse. Wir trafen es
schlecht; das Schloß und die Galerie waren für Be-
sucher geschlossen. Sie gehen doch wohl zu demselben
Zweck dorthin?"
„Nein," erwiderte Carlton, den Kopf schüttelnd.
„Nein, der Gemälde wegen nicht. Ich gehe nach Grasse,
um die junge Dame kennen zu lernen, in die ich ver-
liebt bin!"
Fräulein Morris blickte etwas überrascht auf und
lächelte verständnisvoll mit jenem weiblichen Interesse
an einer Liebesgeschichte und noch dazu an einer ge-
heimnisvollen.
„O," sagte sie, „ich bitte um Entschuldigung. Wir
— ich habe nichts davon gewußt."
235
„Nun, es ist auch nichts, was man gerade aus-
posaunt," versetzte Carlton. „Die Sache ist noch im
Werden begriffen. Einstweilen habe ich die junge
Dame persönlich noch nicht einmal gesehen, aber ich be-
absichtige, das nachzuholen. Deshalb gehe ich nach
Europa."
Fräulein Morris sah ihn scharf an, ob er Wohl
lächle, aber er blickte vielmehr schwärmerisch nach dem
Horizont und rauchte nachdenklich seine Pfeife. Er
sprach anscheinend ernsthaft und erwartete, daß sie eine
Bemerkung mache.
„Wie interessant!" war alles, was ihr einfiel.
„Ja, wenn man die Einzelheiten kennt, ist es sehr
interessant. Sie ist die Prinzessin Aline von Hohen-
wald," fügte er erklärend hinzu, den Kops ein wenig
neigend, als wolle er die zwei jungen Damen einander
vorstellen. „Sie hat noch mehrere Namen, sechs im
ganzen, und ist zweiundzwanzig Jahre alt; das ist
alles, was ich von ihr weiß. Ich sah ihr Bild in
einer illustrierten Zeitung gerade, ehe ich mich ein-
schisste, und ich beschloß, sie auszusuchen, und da bin
ich nun! Wenn sie nicht in Grasse ist, werde ich ihr
überall nachreisen." Er schwenkte seine Pfeife gegen
den Ozean und deklamierte mit spöttischem Pathos:
„lieber Hügel in die Ferne,
Durch der Abendröte Gold,
Bei dem milden Licht der Sterne
Folgt ihm die Prinzessin hold.
„Nur daß in diesem Fall, wie Sie sehen, ich der
holden Prinzessin folge."
„Aber im Ernst," antwortete Fräulein Morris,
„was soll das heißen? Wollen Sie sie malen?"
„Daran habe ich noch gar nicht gedacht!" rief
Carlton entzückt. „Ihre Idee scheint mir prachtvoll!
Fräulein Morris, das ist ein großartiger Gedanke!"
Er nickte beifällig. „Es war nicht unrecht. Ihnen zu
vertrauen. Ich bin vielleicht zu frei gewesen, aber da
Sie es nicht so ansehen, freue ich mich, gesprochen zu
haben."
„Aber wollen Sie mich denn wirklich glauben machen,"
rief das Mädchen, sich zu ihm wendend, „daß Sie
übers Meer einer Frau nachreisen, die Sie niemals
gesehen haben, nur weil Ihnen ihr Bild in einer
Zeitung gefallen hat?"
„Wirklich!" sagte Carlton. „Weil mir ihr Bild
gefällt, und weil sie eine Prinzessin ist."
„Nun, aus mein Wort," versetzte Fräulein Morris,
indem sie ihn mit augenscheinlicher Bewunderung an-
starrte, „mein jüngerer Bruder würde das entschieden
einen großartigen Einfall nennen. Mir ist nur noch
nicht klar, was es damit zu thun hat, daß sie eine
Prinzessin ist."
„Das wissen Sie nicht?" lachte Carlton vergnügt.
„Das ist ja gerade die Hauptsache — darin liegt das
Hauptvergnügen! Das Schöne daran, wenn man eine
Prinzessin liebt, Fräulein Morris, ist, daß man sie
nicht heiraten kann. Sie können sie heiß und ewig
lieben, und niemand wird es einsalleu. Sie nach Ihren
Absichten zu fragen oder anzudeutcn, daß Sie nach
solch einer Gefühlsentfaltung etwas Entscheidendes thun
müssen. Ein Mädchen, das keine Prinzessin ist —
wenn sie selbst auch die Sachlage begreift und sic
um nichts in der Welt heiraten möchte —, hat doch
immer irgend jemand, einen Vater oder eine Mutter-
oder irgend einen guten Freund, der sich ein Geschäft
daraus macht, sich hineinzumischen, und der darüber-
schwatzt und sie beide belästigt. Aber bei einer Prin-
zessin, sehen Sie, ist das alles ausgeschlossen. Sie
können keine Prinzessin heiraten, weil es nicht gestattet
ist. Eine Prinzessin muß einen wirklichen königlichen
Prinzen heiraten, und deshalb können Sie nach Be-
lieben nach ihr seufzen, ihr hübsche Reden halten, sie
so ost wie möglich sehen und in Ihrer Verehrung und
unerwiderten Liebe schwelgen!"
Fräulein Morris sah ihn zweifelnd an; sie mochte
nicht zu leichtgläubig erscheinen. „Und soll ich wirklich
glauben, Herr Carlton, daß Sie nur darum nach
Europa gehen?"
„Sehen Sie," antwortete Carlton, „wenn Sie mich
nur besser kennten, würden Sie gar nicht daran zwei-
feln. Ich gebe zu, daß manche Männer so etwas nicht
thun würden; aber alle meine Bekannten würden sicher-
derartiges von mir erwarten. Wenn ich den in Frage
stehenden jungen Mann seit einiger Zeit kennte, so
würde ich es als äußerst bezeichnend für ihn erklären.
Und dann, denken Sie doch, was für eine prachtvolle
Geschichte das giebt! Jeder, der diesen Sommer in
Europa war, wird von seinen Reisen erzählen wollen,
wenn er nach New Jork zurückkehrt, uud wie gewöhn-
lich wird keiner ihm zuhören mögen. Aber mir muß
man stillhalten! ,Sie sind in Europa gewesen, seit
ich Sie zuletzt sah? Was haben Sie dort erlebt?-
wird man mich höflich fragen. Und statt dann einfach
zu erzählen, daß ich in Paris und London war, kann
ich berichten: ,O, ich bin durch die ganze Welt der
Prinzessin Aline von Hohenwald nachgelaufen.- Das
klingt interessant, nicht wahr? Aber wenn man darüber
mehr Achtung hatte als drei auf dem Schreibtisch öder-
em halbes Dutzend auf dem Kaminsims. Nolan hatte
sie kommen und gehen sehen; er hatte ihren Aufgang
und Untergang beobachtet; er hatte Briefchen und
Bücher und Blumen zu ihnen getragen. Er hatte
dabei geholfen, sie aus dem silbernen Rahmen zu ent-
kernen und sie stufenweise abwärts zu schieben, bis sie
rühmlos in der großen Bronzeschale auf dem Neben-
tisch verschwanden. Nolan billigte diese letzte Wahl
durchaus, obgleich er nicht wußte, welche von den
dreien in der Gruppe es war; aber sie waren alle
drei hübsch und ihre gesellschaftliche Stellung jedenfalls
eine hohe.
Guido, das italienische Modell, welches dem Atelier
Vorstand, und Nolan waren mit Packen beschäftigt,
als Carlton eintrat.
„Guido," sagte Carlton, „es sind zwei Skizzen da,
die ich im vorigen Jahr in Deutschland gemacht habe;
eine stellt einen Staatsminister, die andre den Schau-
spieler Ludwig dar. Bitte, suche sie hervor und packe
sie versandmäßig. — Nolan" — zu diesem gewendet
— „besorge diese Depesche."
Nolan würde keinen Brief gelesen haben, aber er
betrachtete Telegramme als öffentliche Dokumente und
das Lesen derselben als einen Teil seiner Pflichten.
Dies war an Oskar von Holtz, den ersten Sekretär
der deutschen Gesandtschaft in'Washington, gerichtet
und lautete:
„Bitte, telegraphieren Sie mir den vollen Titel
und die genaue Adresse der Prinzessin Atme von Hohen-
wald. Wo würde ein Brief sie treffen?
Morton Carlton."
Am nächsten Morgen trug Nolan eine Kiste zum
Spediteur, welche zwei Oelgemälde in kleinem Format
enthielt; sie war an Carltons Geschäftsagenten in
London adressiert.
*
Es war ein fürchterliches Gedränge auf dein Dampfer
„New Pork". Das Schiff fuhr zu einer sehr bequemen
Stunde, elf Uhr morgens, ab, und folglich erschienen
viele Leute, um Lebewohl zu sagen, die sonst schwerlich
ihr Frühstück zu dem Zweck im Stich gelassen hätten.
Carlton beachtete sie nicht; er wußte aus Erfahrung,
daß die angenehm aussehcnden Leute stets den Dampfer
verlassen, sobald die Pfeife ertönt, und daß die nächst
angenehmen, die an Bord bleiben, die ganze Reise
hindurch seekrank sind. Ein Herr, der ihn kannte, be-
rührte seinen Arm, als er gerade in seine Kajüte
gehen wollte, und fragte, ob er mitreise oder jemand
begleite.
„Gut, dann möchte ich Sie gern Fräulein Morris
und ihrer Tante, Frau Downs, vorstellen. Sie reisen
nach Europa, und ich würde Ihnen dankbar sein, wenn
Sie Ihnen gefällig sein wollten. Kennen Sie sie viel-
leicht ?" Er drehte sich nach Carlton um, der sich ihm
über das Verdeck nachdrängte.
„Ich weiß, wer sie sind," sagte dieser.
Fräulein Edith Morris war von einem dreifachen
Kreis bewundernder Freunde umgeben und schien in
ihrem Element zu sein. Sie schwiegen alle, als Carlton
kam, und sahen ihn neugierig an. Diejenigen, welche
ihn kannten, schienen dies durch eine besonders herz-
liche Begrüßung bekunden zu wollen. Der Herr, der
ihn geholt, that, als ob er eine schwierige und würdige
Aufgabe erfolgreich beendigt habe. Carlton verbeugte
sich und überließ Fräulein Morris ihren Freunden,
indem er sagte, sie werde ihn wahrscheinlich später noch
sehen, ob sie wolle oder nicht. Er ließ sich dann der
Tante vorstellen, die ihn freundlich begrüßte. Es
waren nur wenige Passagiere auf der Liste, und sie
freute sich seiner Gesellschaft. Ehe er sich verabschiedete,
stellte sie ihm einen jungen Mann Namens Abbey vor,
der eifrig um sie bemüht war, und dessen Interesse,
wie sie nötig fand zu erklären, dem Umstand zuzu-
schreiben war, daß er mit Fräulein Morris verlobt
sei. Herr Abbey verließ den Dampfer, als die Pfeife
ertönte, und Carlton sah ihm erleichtert nach. Er
freute sich stets der Bekanntschaft reizender Mädchen,
die verlobt waren, da er dann keine Wahl hatte und
ihm die Mühe erspart blieb, ausfindig zu machen, ob
jene besondere junge Dame die richtige fei.
Frau Downs und ihre Nichte erwiesen sich als er-
fahrene Reisende und nahmen die schwere See, welche
„New Nork" außerhalb Sandy Hooks traf, mit Gleich-
mut aus. Carlton trat zu ihnen, und sie standen zu-
sammen, an das Geländer gelehnt und versuchten, die
Leute, welche vorübergingen, den Namen auf der
Passagierliste anzupassen.
„Die junge Dame im Matrosenanzug," bemerkte
Fräulein Morris, indem sie anscheinend auf die Schorn-
steinspitze blickte, „ist Fräulein Kitty Flood aus Grand
Rapids. Dies ist ihre erste Seereise, und sie denkt,
ein Dampfer ist wie eine Jacht, und kleidet sich dem-
entsprechend. Sie weiß nicht, daß es nichts weiter als
ein schwimmendes Hotel ist."
„Ich fürchte," meinte Carlton, „daß, nach ihrer
Aufregung zu urteilen, ihre Rolle das sein wird, was
Sllustrirte Welt.
die Eingeweihten .Kajüttenrolle- nennen. Woher mag
es nur kommen, daß die Mädchen an Bord, welche
goldene Anker tragen, und die Männer in Jachtmützen
immer zuerst verschwinden? Jener Herr mit dem
Sombrero ist James M. Pollock, Konsul der Ver-
einigten Staaten in Mauritius; er begiebt sich auf
seinen Posten. Ich weiß, daß er der Konsul ist, weil
er aus Fort Worth in Texas kommt und deshalb vor-
züglich befähigt ist, sowohl französisch als die Sprache
der Eingeborenen zu reden."
„O, wir schicken keinen Konsul nach Mauritius,"
lachte Fräulein Morris. „Mauritius ist einer von
den Plätzen, deren Briefmarken man sammelt; aber
niemand lebt dort oder reist dorthin."
„Und darf ich fragen, wohin Sie gehen?" erkun-
digte sich Carlton.
Fräulein Morris erwiderte, sie seien auf dem Weg
nach Konstantinopel und Athen und wollten dann nach
Rom. Da sie keine Zeit gehabt hätten, die südliche
Linie zu benutzen, so sei ihre Absicht, über den Kon-
tinent direkt von Paris nach der türkischen Hauptstadt
mit dem Orient-Expreßzug zu reisen.
„Wir werden ein paar Tage in London bleiben
und in Paris gerade lange genug, um einige Einkäufe
zu machen," setzte sie hinzu.
Die Aussteuer, dachte Carlton. Sie hätte Wochen
sagen sollen!
Sie saßen alle drei am Tisch des Kapitäns; aber
da die See bewegt blieb, sahen sie wenig von ihm
und den andern Gästen und waren daher aus ihre
Gesellschaft angewiesen. Sie hatten zahlreiche gemein-
same Bekannte und Interessen, und Frau Downs, die
überall ziemlich lange gewesen war, zeigte sich ebenso
munter wie ihre Nichte, so daß Carlton eine lebhafte
Zuneigung zu ihr faßte. Sie schien verständig und
gutmütig zu sein und verband, dank ihrem Alter, das
reifere Urteil eines Mannes mit dem teilnehmenden
Interesse einer Frau. Zuweilen saßen sie lesend neben-
einander auf dem Verdeck oder plauderten über das
Gelesene; oder sie versuchten, auf dem schwankenden
Verdeck, gegen d?n Wind an, spazieren zu gehen.
Abends saßen sie dann in einer Ecke des Speisesaals
und aßen späte Soupers, die Carlton bestellte, ober-
ste tranken Thce in der Kajütte des Kapitäns, deren
Benutzung er ihnen gestattet hatte. Vor ihrer Abreise
hatten sie viel voneinander gehört, und dies, sowie die
unvermeidlich enge Nachbarschaft aus einem Dampfer
beschleunigte ihre Bekanntschaft.
Am dritten Tag wurde die See ruhiger; die Soune
kam hervor uud beschien das Verdeck, welches so rein
wie ein Servierbrett aussah. Fräulein Morris und
Carlton setzten sich auf die riesigen eisernen Stangen
am Bugspriet, stützten den Ellbogen auf die Brüstung
und sahen in das wirbelnde blaue Wasser. Schweigend
erfreuten sie sich an der gleichmäßigen Bewegung des
großen Fahrzeugs und an der Wärme der Märzsonne.
Carlton saß leewärts von Fräulein Morris und hatte
eine Pfeife im Mund. Er war glücklich und im Frieden
mit der Welt. Seine neue Bekannte sagte ihm sehr zu;
sie schlug sogar einen freundschaftlichen Ton gegen ihn
an und behandelte ihn, als ob er viel jünger sei, wie
das die Gewohnheit kürzlich verheirateter junger Frauen
ist, oder solcher, die sich demnächst verheiraten werden.
Carlton nahm ihr das nicht übel, im Gegenteil, er
war dadurch unbefangener ihr gegenüber, und da sie
selbst ihn als Jüngling behandelte, gestattete er sich
ein entsprechend thörichtes Benehmen.
„Ich weiß nicht," klagte er, „warum jedesmal,
wenn ich seitwärts blicke, uin die Wellen zu beobachten,
ein Mann in fettiger Mütze seinen Kops aus einem
Loch unter mir steckt und ein Faß Asche oder Kartoffel-
schalen in den Ozean wirft. Es verdirbt einem den
Genuß. Wenn er es das nächstemal thut, werde ich
ihm die Asche aus meiner Pfeife auf den Nacken
schütten." Fräulein Morris hielt diese Bemerkung für
keiner Antwort wert, und es folgte eine lange Pause.
„Wohin werden Sie von London aus gehen?" sagte
sie endlich; „nach dem Kontinent?"
»Ich — ich gehe nach Grasse. Es ist llsie Haupt-
stadt von Hohenwald. Kennen Sie den Ort?"
„Ja, wir waren einmal ein paar Tage dort; wir
wollten die Gemälde sehen. Ich vermute, es ist Ihnen
bekannt, daß der alte Herzog, der Vater des jetzigen,
sich beinahe ruiniert hat durch den Ankauf von Ge-
mälden für die Galerie in Grasse. Wir trafen es
schlecht; das Schloß und die Galerie waren für Be-
sucher geschlossen. Sie gehen doch wohl zu demselben
Zweck dorthin?"
„Nein," erwiderte Carlton, den Kopf schüttelnd.
„Nein, der Gemälde wegen nicht. Ich gehe nach Grasse,
um die junge Dame kennen zu lernen, in die ich ver-
liebt bin!"
Fräulein Morris blickte etwas überrascht auf und
lächelte verständnisvoll mit jenem weiblichen Interesse
an einer Liebesgeschichte und noch dazu an einer ge-
heimnisvollen.
„O," sagte sie, „ich bitte um Entschuldigung. Wir
— ich habe nichts davon gewußt."
235
„Nun, es ist auch nichts, was man gerade aus-
posaunt," versetzte Carlton. „Die Sache ist noch im
Werden begriffen. Einstweilen habe ich die junge
Dame persönlich noch nicht einmal gesehen, aber ich be-
absichtige, das nachzuholen. Deshalb gehe ich nach
Europa."
Fräulein Morris sah ihn scharf an, ob er Wohl
lächle, aber er blickte vielmehr schwärmerisch nach dem
Horizont und rauchte nachdenklich seine Pfeife. Er
sprach anscheinend ernsthaft und erwartete, daß sie eine
Bemerkung mache.
„Wie interessant!" war alles, was ihr einfiel.
„Ja, wenn man die Einzelheiten kennt, ist es sehr
interessant. Sie ist die Prinzessin Aline von Hohen-
wald," fügte er erklärend hinzu, den Kops ein wenig
neigend, als wolle er die zwei jungen Damen einander
vorstellen. „Sie hat noch mehrere Namen, sechs im
ganzen, und ist zweiundzwanzig Jahre alt; das ist
alles, was ich von ihr weiß. Ich sah ihr Bild in
einer illustrierten Zeitung gerade, ehe ich mich ein-
schisste, und ich beschloß, sie auszusuchen, und da bin
ich nun! Wenn sie nicht in Grasse ist, werde ich ihr
überall nachreisen." Er schwenkte seine Pfeife gegen
den Ozean und deklamierte mit spöttischem Pathos:
„lieber Hügel in die Ferne,
Durch der Abendröte Gold,
Bei dem milden Licht der Sterne
Folgt ihm die Prinzessin hold.
„Nur daß in diesem Fall, wie Sie sehen, ich der
holden Prinzessin folge."
„Aber im Ernst," antwortete Fräulein Morris,
„was soll das heißen? Wollen Sie sie malen?"
„Daran habe ich noch gar nicht gedacht!" rief
Carlton entzückt. „Ihre Idee scheint mir prachtvoll!
Fräulein Morris, das ist ein großartiger Gedanke!"
Er nickte beifällig. „Es war nicht unrecht. Ihnen zu
vertrauen. Ich bin vielleicht zu frei gewesen, aber da
Sie es nicht so ansehen, freue ich mich, gesprochen zu
haben."
„Aber wollen Sie mich denn wirklich glauben machen,"
rief das Mädchen, sich zu ihm wendend, „daß Sie
übers Meer einer Frau nachreisen, die Sie niemals
gesehen haben, nur weil Ihnen ihr Bild in einer
Zeitung gefallen hat?"
„Wirklich!" sagte Carlton. „Weil mir ihr Bild
gefällt, und weil sie eine Prinzessin ist."
„Nun, aus mein Wort," versetzte Fräulein Morris,
indem sie ihn mit augenscheinlicher Bewunderung an-
starrte, „mein jüngerer Bruder würde das entschieden
einen großartigen Einfall nennen. Mir ist nur noch
nicht klar, was es damit zu thun hat, daß sie eine
Prinzessin ist."
„Das wissen Sie nicht?" lachte Carlton vergnügt.
„Das ist ja gerade die Hauptsache — darin liegt das
Hauptvergnügen! Das Schöne daran, wenn man eine
Prinzessin liebt, Fräulein Morris, ist, daß man sie
nicht heiraten kann. Sie können sie heiß und ewig
lieben, und niemand wird es einsalleu. Sie nach Ihren
Absichten zu fragen oder anzudeutcn, daß Sie nach
solch einer Gefühlsentfaltung etwas Entscheidendes thun
müssen. Ein Mädchen, das keine Prinzessin ist —
wenn sie selbst auch die Sachlage begreift und sic
um nichts in der Welt heiraten möchte —, hat doch
immer irgend jemand, einen Vater oder eine Mutter-
oder irgend einen guten Freund, der sich ein Geschäft
daraus macht, sich hineinzumischen, und der darüber-
schwatzt und sie beide belästigt. Aber bei einer Prin-
zessin, sehen Sie, ist das alles ausgeschlossen. Sie
können keine Prinzessin heiraten, weil es nicht gestattet
ist. Eine Prinzessin muß einen wirklichen königlichen
Prinzen heiraten, und deshalb können Sie nach Be-
lieben nach ihr seufzen, ihr hübsche Reden halten, sie
so ost wie möglich sehen und in Ihrer Verehrung und
unerwiderten Liebe schwelgen!"
Fräulein Morris sah ihn zweifelnd an; sie mochte
nicht zu leichtgläubig erscheinen. „Und soll ich wirklich
glauben, Herr Carlton, daß Sie nur darum nach
Europa gehen?"
„Sehen Sie," antwortete Carlton, „wenn Sie mich
nur besser kennten, würden Sie gar nicht daran zwei-
feln. Ich gebe zu, daß manche Männer so etwas nicht
thun würden; aber alle meine Bekannten würden sicher-
derartiges von mir erwarten. Wenn ich den in Frage
stehenden jungen Mann seit einiger Zeit kennte, so
würde ich es als äußerst bezeichnend für ihn erklären.
Und dann, denken Sie doch, was für eine prachtvolle
Geschichte das giebt! Jeder, der diesen Sommer in
Europa war, wird von seinen Reisen erzählen wollen,
wenn er nach New Jork zurückkehrt, uud wie gewöhn-
lich wird keiner ihm zuhören mögen. Aber mir muß
man stillhalten! ,Sie sind in Europa gewesen, seit
ich Sie zuletzt sah? Was haben Sie dort erlebt?-
wird man mich höflich fragen. Und statt dann einfach
zu erzählen, daß ich in Paris und London war, kann
ich berichten: ,O, ich bin durch die ganze Welt der
Prinzessin Aline von Hohenwald nachgelaufen.- Das
klingt interessant, nicht wahr? Aber wenn man darüber