472
All u strirte Welt.
„Was guckst du hier, du Mann?" fragte der Kleine
zum zweitenmal. ohne sich stören zu lassen.
Firnhoff mußte lachen über den Naseweis.
„Ich sehe mir euer Haus an. mein Junge."
„Das ist meinem Papa sein Haus!"
„Das glaub' ich schon."
„Weshalb guckst du denn?" inquirierte Erwin zum
drittenmal.
Da scholl eine Helle Frauenstimme vom Hause her.
„Erwin, Meta, wo steckt ihr denn? Rasch, kommt
herein, es ist Zeit!"
Firnhoff wandte lauschend den Kopf. Der Klang
der Stimme war so hell, so eigentümlich hell, er
weckte in seinem Gehör irgend etwas, eine Erinnerung.
„Ja, ja," schrie der Junge, „gleich, gleich, hier guckt
Einer!"
„Aber so laßt doch." Und dann kam eine hohe,
schlanke Gestalt eilig unter den Kastanien näher, und
das Sonnenlicht spielte in blonden, schimmernden
Haaren, und sie ging mit großen, elastischen Schritten.
Nun wandten sich die Kinder und liefen ihr entgegen.
„Ihr kleinen Taugenichtse!" Sie beugte sich herab.
„Wartet nur, eure Suppe wird ganz kalt. Erwin,
du darfst nicht mit Leuten draußen sprechen; laß doch
den alten Herrn!"
Sie schaute flüchtig aus der ziemlich großen Ent-
fernung herüber und schritt dann, die Kinder führend,
eilig zurück.
„Fanny!" murmelte Firnhoff ganz leise und stand
da, den Blick aus die vergoldeten Pfeilspitzen des Eisen-
gitters gerichtet. Er sah alles! Pension G.den
alten Rennberg am Schachbrett, den Watzmann und
den Eckersattel, alles so genau, als ob statt zehn Jahren
zehn Tage dazwischen lägen.
Dann ging er langsam hinweg, ohne recht zu
wissen, wohin, bis er wieder vor Numero 14 stand,
hineinging und die Tafel in der Hausflur musterte, an
welcher die Namen der Inwohner verzeichnet standen.
Richtig, Advokat Müller, dritter Stock.
Nun fiel es ihm erst ein, daß er dieselbe schlechte
Holztreppe vor zehn Jahren hinaufgegangen war, und
daß ihm damals das Treppensteigen doch leichter
wurde.
Herr Müller war noch kleiner und schrumpfeliger
Graf Franz von Thun-Hohenstein,
der neue österreichische Ministerpräsiden!.
und dessen Schlafrock noch fadenscheiniger geworden;
er erkannte den Besucher nicht wieder.
„Ich wollte nur fragen, ob das Grundstück
Numero 12 vielleicht zu verkaufen wäre?"
Das alte Männchen mußte sich erst besinnen.
„Warten Sie mal, was weiß ich — ich habe nichts
mehr damit zu thun; aber es kostet ja nur eine An-
frage, wenn Sie wünschen."
„Nein, nein; wissen Sie, wer der jetzige Be-
sitzer ist?"
Der Alte legte den hageren Zeigefinger an die
Nase, ergriff dann ein Bündel alter Akten und suchte,
von unten beginnend, darin umher.
„Sehen Sre," meinte Firnhoff lächelnd, „jetzt suchen
Sie von unten nach oben."
Herr Müller hörte aus in seiner Beschäftigung und
blickte den Sprecher groß an.
„Das hat mir einer vor langer Zeit geraten."
„Dieser war ich!"
„Ah, jetzt erinnere ich mich; es ist schon lange her,
ja, ja! Ich bin ein verrückter Kerl, glauben Sie mir,
denn seit jenem Tage suche ich von unten nach oben."
„Und geht es jetzt besser, Herr Müller?"
Dieser schnitt eine Grimasse, den kahlen Kopf
schüttelnd.
„Nein, es bleibt dasselbe, das Gesuchte liegt jetzt
stets oben auf; aber wissen Sie, diese Art, alte Ge-
schichten zu suchen, paßt mehr zu unfern Jahren,
wenigstens zu den meinigen. Wenn man alt wird,
sucht man ja in allen Dingen von unten nach oben,
bis — ja, bis ein schwarzer Deckel draus liegt; dann
hört das Suchen überhaupt auf, ja, ja. Uebrigens
! jetzt fällt mir die Geschichte ein. Damals kaufte es
ein Mexikaner, der nachher mit Argentinern verkrachte,
und dann — nein, mir fällt der Name nicht ein!"
„Wissen Sie, ob der Besitzer verheiratet ist?" fragte
Firnhoff, seinen Hut vom Tisch nehmend, während ihn
Herr Müller erstaunt ansah.
„Wieso?"
„Ach, nur eine beiläufige Frage. Ich sah soeben
in jenem Grundstück eine Dame, ja eine Dame, deren
Gesicht mir bekannt vorkam."
„So, richtig, ich entsinne mich, ja, ja, eine junge
Frau, gewiß wird es seine Frau sein; ich gehe dort
oft vorbei — Kinder sieht man auch im Garten
j spielen. Wie gesagt, ich kann einmal hinhorchen, ob
Numero 12 wieder zu haben ist."
Ein Lilienfeld auf der Insel Bennnda.
All u strirte Welt.
„Was guckst du hier, du Mann?" fragte der Kleine
zum zweitenmal. ohne sich stören zu lassen.
Firnhoff mußte lachen über den Naseweis.
„Ich sehe mir euer Haus an. mein Junge."
„Das ist meinem Papa sein Haus!"
„Das glaub' ich schon."
„Weshalb guckst du denn?" inquirierte Erwin zum
drittenmal.
Da scholl eine Helle Frauenstimme vom Hause her.
„Erwin, Meta, wo steckt ihr denn? Rasch, kommt
herein, es ist Zeit!"
Firnhoff wandte lauschend den Kopf. Der Klang
der Stimme war so hell, so eigentümlich hell, er
weckte in seinem Gehör irgend etwas, eine Erinnerung.
„Ja, ja," schrie der Junge, „gleich, gleich, hier guckt
Einer!"
„Aber so laßt doch." Und dann kam eine hohe,
schlanke Gestalt eilig unter den Kastanien näher, und
das Sonnenlicht spielte in blonden, schimmernden
Haaren, und sie ging mit großen, elastischen Schritten.
Nun wandten sich die Kinder und liefen ihr entgegen.
„Ihr kleinen Taugenichtse!" Sie beugte sich herab.
„Wartet nur, eure Suppe wird ganz kalt. Erwin,
du darfst nicht mit Leuten draußen sprechen; laß doch
den alten Herrn!"
Sie schaute flüchtig aus der ziemlich großen Ent-
fernung herüber und schritt dann, die Kinder führend,
eilig zurück.
„Fanny!" murmelte Firnhoff ganz leise und stand
da, den Blick aus die vergoldeten Pfeilspitzen des Eisen-
gitters gerichtet. Er sah alles! Pension G.den
alten Rennberg am Schachbrett, den Watzmann und
den Eckersattel, alles so genau, als ob statt zehn Jahren
zehn Tage dazwischen lägen.
Dann ging er langsam hinweg, ohne recht zu
wissen, wohin, bis er wieder vor Numero 14 stand,
hineinging und die Tafel in der Hausflur musterte, an
welcher die Namen der Inwohner verzeichnet standen.
Richtig, Advokat Müller, dritter Stock.
Nun fiel es ihm erst ein, daß er dieselbe schlechte
Holztreppe vor zehn Jahren hinaufgegangen war, und
daß ihm damals das Treppensteigen doch leichter
wurde.
Herr Müller war noch kleiner und schrumpfeliger
Graf Franz von Thun-Hohenstein,
der neue österreichische Ministerpräsiden!.
und dessen Schlafrock noch fadenscheiniger geworden;
er erkannte den Besucher nicht wieder.
„Ich wollte nur fragen, ob das Grundstück
Numero 12 vielleicht zu verkaufen wäre?"
Das alte Männchen mußte sich erst besinnen.
„Warten Sie mal, was weiß ich — ich habe nichts
mehr damit zu thun; aber es kostet ja nur eine An-
frage, wenn Sie wünschen."
„Nein, nein; wissen Sie, wer der jetzige Be-
sitzer ist?"
Der Alte legte den hageren Zeigefinger an die
Nase, ergriff dann ein Bündel alter Akten und suchte,
von unten beginnend, darin umher.
„Sehen Sre," meinte Firnhoff lächelnd, „jetzt suchen
Sie von unten nach oben."
Herr Müller hörte aus in seiner Beschäftigung und
blickte den Sprecher groß an.
„Das hat mir einer vor langer Zeit geraten."
„Dieser war ich!"
„Ah, jetzt erinnere ich mich; es ist schon lange her,
ja, ja! Ich bin ein verrückter Kerl, glauben Sie mir,
denn seit jenem Tage suche ich von unten nach oben."
„Und geht es jetzt besser, Herr Müller?"
Dieser schnitt eine Grimasse, den kahlen Kopf
schüttelnd.
„Nein, es bleibt dasselbe, das Gesuchte liegt jetzt
stets oben auf; aber wissen Sie, diese Art, alte Ge-
schichten zu suchen, paßt mehr zu unfern Jahren,
wenigstens zu den meinigen. Wenn man alt wird,
sucht man ja in allen Dingen von unten nach oben,
bis — ja, bis ein schwarzer Deckel draus liegt; dann
hört das Suchen überhaupt auf, ja, ja. Uebrigens
! jetzt fällt mir die Geschichte ein. Damals kaufte es
ein Mexikaner, der nachher mit Argentinern verkrachte,
und dann — nein, mir fällt der Name nicht ein!"
„Wissen Sie, ob der Besitzer verheiratet ist?" fragte
Firnhoff, seinen Hut vom Tisch nehmend, während ihn
Herr Müller erstaunt ansah.
„Wieso?"
„Ach, nur eine beiläufige Frage. Ich sah soeben
in jenem Grundstück eine Dame, ja eine Dame, deren
Gesicht mir bekannt vorkam."
„So, richtig, ich entsinne mich, ja, ja, eine junge
Frau, gewiß wird es seine Frau sein; ich gehe dort
oft vorbei — Kinder sieht man auch im Garten
j spielen. Wie gesagt, ich kann einmal hinhorchen, ob
Numero 12 wieder zu haben ist."
Ein Lilienfeld auf der Insel Bennnda.